Mit einem Riesenaufgebot an Einsatzkräften soll ein Attentat an der Eröffnungsfeier der Spiele verhindert werden. Eine neue Überwachungstechnologie sorgt dabei für Kritik.
In den vergangenen Tagen ist das Zentrum von Paris immer mehr zur Festung geworden. Ein gigantisches Labyrinth aus über 40 000 Bauzäunen sperrt den Bereich um die Seine grossflächig ab. An jeder Ecke patrouillieren Polizisten und Soldaten. Am Freitag soll auf dem Fluss auf sechs Kilometern Länge die Eröffnungsfeier stattfinden, mit knapp 10 000 Teilnehmern, 94 Booten und mehr als 300 000 Zuschauern. Einen Plan B gebe es nicht, sagte Präsident Emmanuel Macron am Dienstag im Fernsehen.
Schon seit März gilt in Frankreich die höchste Terrorwarnstufe. In Paris wurden 97 Prozent aller verfügbaren Einsatzkräfte mobilisiert, 45 000 werden allein bei der Eröffnungsfeier im Einsatz sein. Zusätzlich zu den Polizeikräften bewachen 15 000 Armeeangehörige die Stadt. Dazu kommen in begrenzter Zahl Sicherheitskräfte aus anderen Ländern, die teilweise zum Schutz der eigenen Sportler anreisen. So sind derzeit Polizeifahrzeuge aus Katar auf den Strassen von Paris unterwegs.
Der Innenminister gibt sich zuversichtlich
Innenminister Gérald Darmanin, der nach dem Rücktritt der Regierung nur noch geschäftsführend im Amt ist, tingelte in den vergangenen Tagen und Wochen durch sämtliche französischen Medien, um ein positives Bild der Sicherheitslage zu vermitteln. Es gebe «keine charakteristische Bedrohung», betonte Darmanin immer wieder, die Spiele seien sicher.
Dennoch sorgten in jüngster Zeit mehrere Verhaftungen und Vorfälle für Aufsehen: So wurde am Montagmorgen ein Minderjähriger festgenommen, der islamistische Posts veröffentlicht haben soll. Am Vortag war ein russischer Staatsbürger unter dem Verdacht der Sabotage in Polizeigewahrsam genommen worden. Ende Mai vereitelten Ermittler Pläne für einen islamistischen Terroranschlag auf ein Fussballspiel während der Spiele. Und im Juni verletzte sich ein russisch-ukrainischer Doppelbürger in einem Hotel bei der Explosion eines selbstgebauten Sprengsatzes.
In Paris gab es im Juli zwei Messerattacken auf einen Polizisten und einen Soldaten, ausserdem raste ein Auto in die Terrasse eines Restaurants. Bei letztgenanntem Ereignis handelte es sich zwar um einen Unfall. Doch es sind genau solche Vorfälle, auf die sich die Behörden überwiegend einstellen: Einzeltäter, die zwar aus politischen Motiven handeln, aber nicht organisiert vorgehen.
Denn auch wenn Terrorgruppen wie der Islamische Staat und sein Zweig in Khorasan (IS-K) derzeit erstarken, wird die Gefahr eines grossangelegten, aus dem Ausland geplanten Anschlags als eher gering eingestuft. Das Intelligence-Unternehmen Recorded Future geht in einer Analyse zwar davon aus, dass Anhänger des IS und der al-Kaida «mit ziemlicher Sicherheit» beabsichtigten, die Olympischen Spiele anzugreifen. Wegen der Sicherheitsvorkehrungen seien erfolgreiche Anschläge aber unwahrscheinlich geworden.
Neues Gesetz weitet Befugnisse aus
Dennoch hat das Innenministerium bislang 155 Überwachungsmassnahmen und Reisebeschränkungen für Personen angeordnet, ohne dass konkrete Tatabsichten nachgewiesen werden konnten. Die Zeitung «Le Parisien» schildert in diesem Zusammenhang den Fall eines Ingenieurs, der in einem Atomkraftwerk in Südfrankreich arbeitet und während der Spiele sein Departement nicht verlassen darf. Er soll vor mehr als sechs Jahren Vorbehalte gegenüber Frauen geäussert und provokative Äusserungen gemacht haben.
Um die Sicherheit der Spiele zu gewährleisten, hat die französische Nationalversammlung bereits im Mai 2023 ein neues Gesetz verabschiedet. Es verschafft den Sicherheitskräften mehr Befugnisse bei der Durchsuchung von Einzelpersonen und erlaubt unter anderem den Einsatz von Ganzkörperscannern bei Grossanlässen mit mehr als 300 Besuchern. Zudem wurden zwei neue Straftatbestände geschaffen: Einer stellt den unerlaubten, wiederholten Zutritt zu einer Sportstätte unter Strafe, der andere das Betreten der Wettkampffläche oder des Wettkampfgeländes.
Für am meisten Aufsehen – und Kritik – sorgt eine Technologie, die bei den Olympischen Spielen erstmals in Europa zum Einsatz kommt: die sogenannte biometrische Überwachung, ein mit künstlicher Intelligenz (KI) ausgestattetes Kamera-System.
Eine Vorstufe zur Gesichtserkennung?
Dabei handelt sich, wie das Innenministerium stets betont, nicht um eine Technologie zur Gesichtserkennung. Stattdessen soll die KI erkennen können, wenn bestimmte vorab festgelegte Ereignisse eintreten – zum Beispiel, dass ein Gegenstand zurückgelassen wurde oder eine bestimmte Personenanzahl für einen Platz überschritten wurde.
Aktivisten sind dennoch alarmiert. Olympia-Kritiker wie das Kollektiv «Saccage 24» sehen in den Kameras einen ersten Schritt zur Massenüberwachung. Wenn die Technologie erst einmal zum Einsatz kommt, so die Befürchtung, wird sie bald auch ausgeweitet werden.
Diese Sorge teilt auch Erik Schönenberger, Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft, die sich für Freiheitsrechte einsetzt. «Die Technik könnte in Zukunft auch eingesetzt werden, um Personen zu identifizieren und Bewegungsprofile zu erstellen. Im Grunde ist es eine Vorstufe zur Gesichtserkennung.»
Viele fürchten, dass die Technologie bleibt
Der Einsatz der Kameras ist vorerst bis März 2025 vorgesehen – weit über die Dauer der Olympischen Spiele hinaus. Danach sollen die Erfahrungen ausgewertet werden. Für Schönenberger und andere Kritiker spricht diese Herangehensweise dafür, dass die Kameras im Anschluss nicht verschwinden dürften: «Wenn eine Technologie einmal im Einsatz ist, bleibt sie für gewöhnlich. Schliesslich will sich kein Politiker vorwerfen lassen, nicht ausreichend für die Sicherheit gesorgt zu haben. Zudem war die Anschaffung der Technik sehr teuer.»
In Frankreich sei ein solches Vorgehen nicht unüblich, erklärt Schönenberger. So seien nach dem Anschlag in Nizza im Jahr 2016 zahlreiche Regelungen, die während des Ausnahmezustands verhängt wurden, beibehalten worden. Das Attentat, bei dem ein LKW in eine Menschenmenge raste und 86 Personen tötete, wird auch von den Befürwortern der Technik als Beispiel herangezogen: Mithilfe künstlicher Intelligenz hätte der Lastwagen entdeckt und gestoppt werden können, bevor er in die Menge fuhr, so das Argument.
Erik Schönenberger bezweifelt das: «Wenn ein Lastwagen normal fährt und dann plötzlich auf eine Menge zurast, erkennt die Kamera zwar, dass das ungewöhnlich ist.» Aber ein rechtzeitiges Eingreifen sei dennoch unmöglich. «Kameras verhindern keine Attentate», ist Schönenberger überzeugt.
Weniger Sicherheit, mehr Sport
Dennoch hätten sie massive Auswirkungen auf den öffentlichen Raum – etwa, weil Menschen ihr Verhalten anpassen oder Menschenmengen meiden, um nicht aufzufallen. Das Bündnis «Saccage 24» kritisiert unter anderem, dass Obdachlose, die in der Regel lange an einem Ort verbleiben, von den Kameras als verdächtig eingestuft werden könnten.
Für Innenminister Darmanin spielen diese Bedenken keine Rolle – er will, dass alles möglichst reibungslos über die Bühne geht. «Nach der Eröffnungsfeier werden wir weniger über Sicherheit sprechen», versprach der Minister kürzlich in einem Interview mit «Le Parisien», «und mehr über Sport.»







