Seit Jahren sind Vincenz’ Vermögenswerte eingefroren. Sein Jugendfreund Spuhler versucht nun, zumindest einen Teil eines Millionendarlehens zurückzuerhalten.
«Peter Spuhler betreibt Pierin Vincenz», titelte die «Handelszeitung» diese Woche. Wäre diese Schlagzeile vor zehn Jahren erschienen, hätte sie niemand geglaubt. Damals standen die Jugendfreunde Spuhler und Vincenz auf dem Höhepunkt ihrer Karrieren.
Nun aber soll Spuhler laut dem Bericht der Geduldsfaden gerissen sein. Er hat eine Betreibung gegen Vincenz eingeleitet. Es ist ein Wendepunkt in der jahrzehntelangen Freundschaft der beiden Wirtschaftsführer.
Gleiche Universität, gleiche Division im Militär
Die beiden Männer lernen sich Anfang der 1980er Jahre beim Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen kennen. Sie stammen aus unterschiedlichen Welten.
Spuhlers Vater war ein international tätiger Spitzenkoch. Der drei Jahre ältere Vincenz entstammt einer in Chur verankerten, einflussreichen Familie. Vincenz rebelliert als Jugendlicher und dreht mehrere schulische Ehrenrunden. Beide sind Sportler, dienen im Militär in der gleichen Division als Kompaniekommandanten: Spuhler bei den Gebirgsgrenadieren, während Vincenz die Füsiliereinheit führt.
Sie werden Freunde – und später schweizweit bekannt. Der Industrielle Spuhler, der die Universität ohne Abschluss verlassen hat, als Politiker, Unternehmer und Chef des Schienenfahrzeugherstellers Stadler Rail. Der Banker Vincenz, der die Uni in Rekordzeit abschliesst, als Lenker von Raiffeisen, der drittgrössten Bankengruppe des Landes.
Ein Freund in der Krise
Diese persönliche Freundschaft hält über viele Jahre. Und hält auch bei Vincenz’ Absturz. Zunächst. Mitte 2016 macht das Onlineportal «Inside Paradeplatz» Vorwürfe bekannt, dass sich Vincenz und andere privat auf Kosten von Arbeitgebern wie Raiffeisen bereichert haben sollen. Ab dann werden immer mehr Details bekannt, die Behörden fangen an zu untersuchen, Freunde und Bekannte wenden sich ab.
Nicht aber Spuhler. Er hält seinem Freund die Treue. Für Vincenz’ damalige Ehefrau Nadja Ceregato, zuletzt Rechtschefin bei Raiffeisen, organisiert er einen neuen Job in einer seiner Firmen. Anfang 2019 gibt er zudem Vincenz selbst einen Kredit in Höhe von 6,5 Millionen Franken.
Damit kann dieser die von der Raiffeisen per sofort geforderte Ablösung einer Hypothek durchführen, um seine Villa im appenzellischen Teufen weiter zu finanzieren. Vincenz ist zu jenem Zeitpunkt noch nicht angeklagt, doch ist bereits klar, dass eine Strafuntersuchung gegen ihn läuft. Wegen Betrugsvorwürfen sass er drei Monate in Untersuchungshaft.
Die Geldsorgen von Pierin Vincenz türmten sich
Fünf Jahre später ist es mit der finanziellen Freigiebigkeit Spuhlers gegenüber seinem Jugendfreund vorbei. Spuhlers Anwalt leitete Ende Oktober die Betreibung auf Pfandverwertung der Villa ein. Da keiner der beiden Eigentümer, neben Vincenz seine Ex-Frau, Rechtsvorschlag eingelegt hat, ist damit der Weg für eine Zwangsversteigerung der Immobilie frei.
Spuhler habe noch lange zu Vincenz gehalten, sogar, als dieser trotz entsprechendem Darlehensvertrag Ende 2022 seine Zinszahlungen einstellte, ist in der «Handelszeitung» zu lesen. Spuhlers Geduld sei wohl am Ende, weshalb er möglichst viel von seinem Kredit zurückhaben wolle.
Belegt ist das nicht. Der Betrag dürfte für Spuhler jedenfalls nicht wirklich ins Gewicht fallen im Vergleich zu seinem Vermögen, das 2023 vom Wirtschaftsmagazin «Bilanz» auf 4,3 Milliarden Franken geschätzt wurde. Es ist allerdings zum Grossteil in Firmen angelegt.
Verbürgt ist dagegen, dass Vincenz vor allem in seinen letzten Jahren als Raiffeisen-Chef – er trat 2015 zurück – immer öfter Geld brauchte. Und dafür Freunde um Unterstützung bat.
Es handelte sich meist um grössere Geldbeträge, die Vincenz laut gut informierten Quellen oft nicht zurückzahlen konnte. Vincenz sprach dann jeweils von vorübergehenden Liquiditätsengpässen und davon, dass genügend Geld in seiner Pensionskasse vorhanden sei. Als dann mit der Anklageerhebung im November 2020 bekanntwurde, wie angespannt die Finanzlage des einstigen Grossverdieners tatsächlich war, fühlten sich Bekannte hintergangen.
Vielleicht auch Pragmatismus?
Im Fall Spuhler ist es auch möglich, dass der Unternehmer das leidige Thema mittels der Betreibung von Vincenz rasch und mit so wenig Verlust wie möglich aus der Welt schaffen will. Die Villa in Teufen befindet sich seit über zwei Jahren auf dem Markt, bisher hat sich niemand gefunden, der den verlangten zweistelligen Millionenbetrag bezahlen wollte. Der Preis sei zu hoch, sagen Befragte.
Ein früherer Besucher berichtet nur Gutes vom neuen Teil der Villa. Diesen benutzte Vincenz gerne für Partys, hier befindet sich auch die spektakuläre Terrasse mit dem weiten Blick über den Alpstein. Der alte Teil der Villa, in dem sich auch das Hallenbad befindet und der teilweise unter der Erde liegt, müsste aber dringend renoviert werden, heisst es weiter. Die Zwangsversteigerung dürfte dennoch einen ansehnlichen Millionenbetrag bringen.
Vincenz’ Vermögenswerte sind nach wie vor eingefroren, Richter müssen jedem Zugriff wie wohl auch dem Verkauf der Liegenschaft zustimmen. Nachdem er wegen diverser Wirtschaftsdelikte zu knapp vier Jahren Gefängnis verurteilt worden war, reichte Vincenz wie die anderen Verurteilten Berufung ein. Das Obergericht wies die Anklage in der Folge bekanntlich als ungenügend zurück an die Staatsanwaltschaft, die sich wiederum ans Bundesgericht wandte. Der Entscheid wird in den nächsten Monaten erwartet.