Der illegale Handel mit Dopingmitteln boomt in der Schweiz. Wie der Schmuggel funktioniert, zeigt der Fall eines zwielichtigen Grosshändlers.
Antonio Berger ist eine schillernde Figur im kriminellen Milieu. Einer, der auch vor Erpressung nicht zurückschreckt. Und einer, der selbst dann weitermacht, wenn er bereits im Visier der Ermittler steht. Immer und immer weiter.
Berger (Name geändert) ist ein Grosshändler. Der 59-Jährige besorgt das, wonach die Bodybuilding- und Fitnessszene immer häufiger verlangt: verbotene Mittel zum Muskelaufbau, sogenannte Anabolika.
Inzwischen ist der Missbrauch leistungssteigernder Präparate in der Schweiz ein gesellschaftliches Massenphänomen. Gedopt wird im Fitnessstudio um die Ecke, bei Amateurwettkämpfen und auch in der Arbeitswelt.
Mehr als 200 000 Menschen verwenden im Verlauf ihres Lebens laut einer Studie des Zürcher Zentrums für Suchtmedizin (Arud) Anabolika. Tendenz: steigend. Das zeigt sich auch daran, dass laufend mehr illegale Präparate beschlagnahmt werden. Innert fünf Jahren hat sich die Menge mehr als verdoppelt.
Dem Wunsch nach grösseren Muskeln und dem perfekten Sixpack wird alles untergeordnet – auch die eigene Gesundheit. Denn die Konsumenten müssen sich die Mittel auf dem Schwarzmarkt besorgen. Und dort gibt es keine Garantie, dass in den Ampullen auch drin ist, was draufsteht. Sie müssen sich auf unbekannte Hersteller und Händler im Internet verlassen.
Und auf Männer wie Antonio Berger, die mit dem illegalen Handel Millionen verdienen.
Karriere eines Anabolikahändlers
Es ist ein missglückter Brandanschlag, der Antonio Bergers Geschäfte ans Licht bringt. Im April 2012 brechen Unbekannte in ein Fitnesscenter in Villmergen ein, verschütten 15 Liter Treibstoff in den Räumlichkeiten und zünden ein Frotteetuch an. Doch sie schaffen es nicht, das Gebäude in Brand zu setzen.
Bald zeigt sich: Der Besitzer des Studios, der in finanziellen Nöten steckte, hat den Auftrag für den Brandanschlag gegeben. Er wollte damit Versicherungsgelder erschwindeln.
Und die Ermittler finden noch etwas heraus: Über das Fitnesscenter lief ein schwungvoller Handel mit Medikamenten und illegalen Dopingmitteln. Eine der zentralen Figuren: Antonio Berger. Laut einem CH-Media-Bericht sollen die Geschäfte derart gut gelaufen sein, dass der Anabolikahändler Millionen verdient und mit seinen Luxuswagen geprotzt habe.
Berger wird dies vor Gericht später einmal anders darstellen: Er habe nie Luxuswagen besessen. Aber er sei gelegentlich mit solchen Fahrzeugen unterwegs gewesen. Allerdings nicht zu seinem Vergnügen, sondern beruflich. Sein Geld habe er sich über Jahrzehnte hinweg mit harter Arbeit verdient. Und nicht mit illegalen Methoden.
Einer der früheren Geschäftspartner belastet Berger während der Ermittlungen schwer. Doch das ändert sich plötzlich – kurz nachdem Berger im Dezember 2014 aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist.
Berger leiht sich das Handy eines Anabolikahändlers und telefoniert mit einem Produzenten. Die Staatsanwaltschaft hört mit, weil sie die Handys der beiden überwacht. Am Telefon spricht Berger davon, dass der Geschäftspartner wirklich alles erzählt habe, was er gewusst habe. Aber er «scheisst jetzt nur noch in die Hosen». Der Mann habe bloss noch drei Optionen: «Den Schaden zu bezahlen, auf den Mond zu fliegen oder sich eine Kugel zu geben.»
Zwei Männer aus dem Zürcher Milieu tauchen schliesslich bei dem Mann auf. Sie überbringen Bergers Forderungen und drohen ihm körperliche Gewalt an. Die Masche wirkt: Der Mann zieht kurz vor der Verhandlung 2015 alle Aussagen zurück.
Die Ermittler haben auch ohne die Aussagen des Belastungszeugen genug gegen den Anabolikagrosshändler in der Hand. Berger wird verurteilt, zu einer Geldstrafe sowie einer Ersatzforderung in der Höhe von 500 000 Franken. Auch für die Erpressung wird er einige Jahre später bestraft: Im September 2020 verurteilt ihn das Aargauer Obergericht. Dieses Mal zu einer Freiheitsstrafe von 57 Monaten. Wegen Erpressung, Nötigung und Widerhandlung gegen das Sportförderungsgesetz.
Doch da ist Berger bereits wieder im kriminellen Geschäft aktiv.
Vorbild ist der Körperkult der Social-Media-Stars
Das Geschäft mit den Präparaten läuft auch deshalb gut, weil sie die Konsumenten in die psychische oder körperliche Abhängigkeit treiben. Experten gehen davon aus, dass jeder dritte abhängig wird.
Und Konsumenten finden sich längst nicht mehr nur in der relativ kleinen Bodybuilding-Szene. Das sagt Philip Bruggmann, Co-Chefarzt Innere Medizin des Suchtmedizin-Zentrums Arud. «In unseren Beratungsgesprächen sehen wir vor allem junge Männer, die einem Körperkult nacheifern, der ihnen von Social-Media-Stars vorgelebt wird. Es geht nicht darum, einen Bodybuilding-Wettbewerb zu gewinnen, sondern seinen Sixpack in der Letten-Badi präsentieren zu können.»
Bei den meisten Konsumenten handle es sich um Männer im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Aber auch bei Jugendlichen sei inzwischen ein Zunahme zu beobachten. Die gesundheitlichen Folgen sind laut Bruggmann verheerend: «Sie sehen durchtrainiert und topfit aus. Doch sie haben Herzprobleme, Leberprobleme, geschrumpfte Hoden, Prostatakrebs.»
Während eines Einnahmezyklus konsumieren die jungen Männer bis zu fünfzehn verschiedene Substanzen. Medizinische Beratung suchen sich die wenigsten. Stattdessen vertrauen sie selbsternannten Experten aus dem Internet oder im Freundeskreis. «Dabei ist es für Ärzte schon schwierig, die Wechselwirkungen und Nebenwirkungen all dieser Stoffe abzuschätzen», sagt Bruggmann.
Die Konsumenten greifen nicht nur zu Aufbaupräparaten, sondern schlucken auch gleich noch Medikamente, welche die Nebenwirkungen eindämmen sollen. So ist es verbreitet, dass Brustkrebsmedikamente eingenommen werden, um dem Wachstum der Brustdrüsen entgegenzuwirken, das mit dem Anabolikakonsum einhergehen kann.
Der Trick mit dem Paket-Shop an der Grenze
Antonio Berger lässt sich von Verurteilungen nicht abschrecken. Er mischt auch danach weiter im Anabolika-Business mit und reaktiviert seine Kontakte ins Milieu.
Als er sich im September 2020 wegen des Erpressungsfalls vor dem Aargauer Obergericht verantworten muss, wird Berger in Handschellen vor die Richter geführt. Denn er sitzt schon wieder in Untersuchungshaft. Die Ermittler werfen ihm illegalen Handel mit Dopingsubstanzen vor. Rund ein Jahr verbringt er so hinter Gittern.
Die Zürcher Staatsanwaltschaft, die dieses Mal für die Ermittlungen zuständig ist, deckt ein illegales Vertriebssystem auf. Das Vorgehen von Antonio Berger und seinen beiden Komplizen ist simpel, wie dem Strafbefehl gegen Berger zu entnehmen ist, der inzwischen rechtskräftig geworden ist.
Auch hier ist Berger der Drahtzieher im Hintergrund. Laut Strafbefehl gehen die drei Männer immer ähnlich vor. Einer der beiden Komplizen bestellt in Litauen, Rumänien und China leistungsfördernde Substanzen.
Es ist eine lange Liste, welche die Staatsanwaltschaft im Strafbefehl aufführt: Trenbolone, Turinabol, Nandrolon, Testosteron, GHRP-2, Peptidhormone, Wachstumshormone, Chloramphenicol und Dutzende von weiteren illegalen Mitteln.
Sie lassen sich die verbotenen Substanzen in die Filiale eines Paket-Shops in Waldshut-Tiengen an der deutsch-schweizerischen Grenze liefern. Dort holt der zweite Komplize die Pakete ab, verlädt sie in sein Auto und bringt sie zum Wohnort von Antonio Berger in der Innerschweiz. Die Ermittler registrieren, wie der Kurier fast einmal monatlich mit Paketen über die Grenze fährt. Sie notieren, wann er die Pakete in Empfang nimmt, wann er den Grenzübergang passiert und wann er die Substanzen abliefert.
Innerhalb eines Jahres importieren die drei Männer illegale Dopingmittel im Wert von rund 220 000 Franken. Im Oktober 2019 schlagen die Ermittler schliesslich zu. Sie nehmen Antonio Berger und zwei Komplizen fest. Bei der Razzia in Bergers Haus stossen die Polizisten auf grössere Mengen von Anabolika, die für den Weiterverkauf bestimmt gewesen wären.
Die Präparate stammen aus Untergrundlabors
Das Vorgehen der Berger-Truppe ist typisch. Denn der Grossteil der Anabolika wird auf dem Postweg in die Schweiz eingeführt. Einerseits gehen sie an Dealer, andererseits bestellen die Konsumenten ihren Stoff oft gleich selbst. Im Internet sind die illegalen Substanzen nur ein paar Klicks entfernt.
Vielleicht ist es auch diese leichte Verfügbarkeit, die den Konsum in die Höhe schnellen lässt. In den letzten Jahren war ein steiler Anstieg der sichergestellten Sendungen mit Anabolika zu beobachten, wie Swiss Sports Integrity berichtet. Die gemeinnützige Stiftung ist für die Dopingbekämpfung in der Schweiz zuständig, sämtliche Fälle müssen ihr gemeldet werden. Die Zunahme ist frappant: Wurden 2019 noch 649 Sendungen sichergestellt, waren es 2023 bereits 1462.
Viel zu befürchten haben die Besteller nicht, sofern es sich um eine Menge für den Eigenkonsum handelt. Wird ein Paket am Zoll beschlagnahmt, werden die Dopingmittel auf Kosten des Bestellers vernichtet, eine Strafe gibt es jedoch nicht. Die Behörden schreiten erst ein, wenn sie den Verdacht haben, dass jemand einen Handel betreibt. Dann macht er sich strafbar und wird angezeigt.
Die meisten Konsumenten bestellen ihre Ware bei Anbietern im Ausland, vor allem in Osteuropa, Asien und den USA. Die Stoffe stammen aus dubiosen Quellen. Sie werden in Untergrundlabors hergestellt und dann auf dem Schwarzmarkt verkauft. Entsprechend schlecht ist deren Qualität. Eine Untersuchung der Arud hat ergeben, dass drei Viertel der Produkte falsche Wirkstoffe oder eine Über- oder Unterdosierung enthalten.
Gegen die Hersteller im Ausland vorzugehen, sei schwierig, sagt Ernst König, Direktor von Swiss Sports Integrity. «Oft werden die Stoffe in mobilen Labors hergestellt. Bis man ihnen auf die Spur kommt, sind sie oft schon weitergezogen.» Trotzdem sei man manchmal erfolgreich. So gelang es den deutschen Behörden im September, ein Dopingnetzwerk in Hannover zu zerschlagen. Grundlage der Ermittlungen war die Sicherstellung von 27 Paketsendungen durch das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit in der Schweiz.
Für die Experten ist das Thema in der Öffentlichkeit noch zu wenig bekannt. Die Schweiz müsse dem wachsenden Anabolikaproblem entgegentreten, findet Philip Bruggmann von der Arud. Zwar werde in der Repression einiges getan. Wie in der Drogenpolitik müsste man aber noch mehr in die Schadensminderung investieren. «Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen: Ein gewisser Teil der Gesellschaft konsumiert diese Substanzen, und trotz gesundheitlichen Problemen trauen sie sich oft nicht, einen Arzt aufzusuchen.» Das Arud hat dazu das Forum Anabolika lanciert, wo sich Fachleute aus Medizin und Fitnessbranche sowie Konsumenten austauschen können.
Teil dieser Strategie der Schadensminderung ist es auch, dass die Konsumenten ihre Stoffe inzwischen beim Drogeninformationszentrum testen lassen können.
Auch Ernst König begrüsst, dass das Thema in den betroffenen Institutionen angegangen wird, besonders wichtig sei dabei der präventive Ansatz. Sie seien diesbezüglich auch mit dem Bundesamt für Gesundheit in Kontakt. Denn die Frage, wie man mit Anabolikasüchtigen umgehen solle, betreffe eher das BAG. «Das Thema ist auf dem Radar, aber wir stehen bei der Lösungssuche noch am Anfang.»
Strafbefehl akzeptiert
Antonio Berger hat den Strafbefehl inzwischen akzeptiert. Es ist das dritte Urteil gegen ihn in den letzten zehn Jahren. Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat ihn im Strafbefehl zu einer Freiheitsstrafe von 180 Tagen verurteilt. Weil er während eines laufenden Verfahrens delinquiert hat, wird die Strafe als Zusatzstrafe zum Urteil des Aargauer Obergerichts vom September 2020 ausgesprochen. Zudem muss Berger die Verfahrenskosten tragen. Die Verfahren gegen seine beiden Komplizen sind laut Angabe der Staatsanwaltschaft noch hängig.
Berger verbüsst derzeit seine Freiheitsstrafe. Die Frage, die sich alle stellen, lautet: Wird er weitermachen, wenn er aus dem Gefängnis kommt? Abnehmer und Kontakte hätte er wohl genug.