Das ZDF will wissen, wie viel Macht der amerikanische Vizepräsident neben Donald Trump tatsächlich hat. Was als Suche nach einer spannenden Antwort beginnt, verkommt nach und nach zu einer Vance-Erzählung, wie er sie einst selbst viel besser präsentiert hatte.
Am Anfang war der Mann eine wandelnde Antwort. Als J. D. Vance 2016 mit seinem Buch «Hillbilly Elegy: A Memoir of a Family and Culture in Crisis» plötzlich vom Elite-Uni-Absolventen zu einer öffentlichen Figur wurde, schien er gekommen, um zu erklären.
Am eigenen Beispiel zeigte Vance die Brüche und Brüchigkeiten vieler Biografien aus dem amerikanischen Rostgürtel auf. Warum diese Menschen, die manche «White Trash» nennen, weissen Müll, reihenweise auf die leeren Versprechen Donald Trumps hereingefallen sind.
Heute dagegen ist der Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika für viele ein einziges grosses Fragezeichen. Hier setzt die ZDF-Dokumentation «Trumps Mann fürs Grobe: Wie viel Macht hat J. D. Vance?» an. Oder versucht das zumindest.
Superman aus dem Rostgürtel
Um Vance zu verstehen, müsse man wissen, wo er herkomme, heisst es beim ZDF. Also blendet man zurück. Spricht mit Leuten aus Middletown, Ohio, wo Vance geboren wurde. Hört von Menschen mit wilden Haaren und schlechten Zähnen, woran es fehlt im Rust Belt. An allem. Was es für sie bedeutet, dass einer von ihnen jetzt im Weissen Haus sitzt? Alles.
Für die meisten dort ist «Vize» synonym für «Vorstufe». Er wäre ein grossartiger Präsident, sagt etwa der Republikaner Joe Statzer aus Ohio in die Kamera. Hört man diesen Leuten zu, dann ist Trump bloss ein Wegbereiter, auf den etwas Neues folgen wird: J. D. Vance. Aus welchen Gründen und mit welchen Folgen? Das ergründen die Filmemacher nicht weiter.
Stattdessen springt die Doku von Ohio zur Eliteuniversität Yale. Dort werden ehemalige Kommilitonen in teuren Anzügen und mit gebleichten Zähnen befragt; das Milieu hat sich verändert.
Die einen Kommilitonen erkennen im Politiker von heute den Freund von damals nicht wieder. Andere hatten alles längst kommen sehen. Dann verändert sich das Milieu erneut. Republikanisches Rot und das trumpsche Gelbblond tauchen auf, während die Dokumentation durch Vance’ öffentliche Auftritte zappt: vom «Never-Trumper» zu Trumps vehementestem Verteidiger.
Eine Dokumentation wie ein Vorwort
Zu fragen, wo einer herkommt, wenn man herauszufinden versucht, wo er hinwill, ist nicht verkehrt. Doch während der ersten 35 von insgesamt 45 Minuten folgt die Dokumentation des ZDF brav dem Narrativ, das Vance mit seiner Biografie selbst absteckte und seither gekonnt instrumentalisiert. Der Erklärungsversuch verkommt zur Nacherzählung. Denn gerade weil diese zugegebenermassen reizvolle Geschichte von ganz unten nach fast ganz oben genau die Geschichte ist, die Vance über sich erzählt haben will, verliert sie an Aussagekraft.
Wo sich Tiefenbohrungen lohnen würden, bleibt bloss noch Zeit zum Durchzappen: Tucker Carlson, in dessen Sendungen Vance seinen politischen Lautstärkeregler justierte, dann die bereits lange bestehende Freundschaft zwischen Trumps ältestem Sohn und Vance. Zappen zur Unterstützung aus dem Silicon Valley, vor allem durch den rechtslibertären Tech-Unternehmer und Milliardär Peter Thiel und Elon Musk, zappen zum «Project 2025», das die amerikanische Regierung grundlegend umbauen wollte, zappen zu Vance’ Freundschaft mit dem «Project 2025»-Initiator Kevin Roberts.
Bei diesen Menschen, ihren Verbindungen und Ideologien, liegen womöglich Antworten auf die Titelfrage: Wie viel Macht hat Vance? Glaubt er wirklich, was er zu glauben vorgibt? Und was ist das überhaupt? Oder geht es ihm nur um die maximal mögliche Karriere? Benutzt Trump ihn – oder umgekehrt? Und was könnte folgen, wenn J. D. Vance einmal ganz nach oben kommt?
Antworten liessen sich am ehesten bei den Menschen und Ereignissen finden, die den erwachsenen Vance formten. Doch selbst seine Frau Usha, laut Vance der wichtigste Mensch in seinem Leben, bleibt ein Phantom. Damit verkommt die Dokumentation zu einem gut sortierten Vorwort.
In der ZDF-Mediathek.