Jahrelang haben die Grünliberalen jede Wahl gewonnen, derzeit scheitern sie an der Realität. Über eine Bewegung, die ihr Bauchgefühl sucht.
Die Zürcher Sektion der Grünliberalen Partei hat in diesen Tagen eine ungewöhnliche Nachricht verkündet. Sie arbeitet neu mit einer Branding-Agentur zusammen, gemeinsam sollen «Werte und Positionierung» definiert werden.
Man mag diesen Versuch belächeln, vor allem wenn der Agenturinhaber von einer «inneren Schönheit» spricht, die «nach aussen strahlen» müsse, um ihr «Potenzial zu entfalten». Aber dass die GLP einen neuen Ansatz wählt, ist nachvollziehbar. Es läuft nicht für die Grünliberalen. Bei den eidgenössischen Wahlen im Herbst vorletzten Jahres hat die Partei zwar nur wenig Wählerprozente, aber 7 von 17 Sitzen verloren. In den kantonalen Ausmarchungen wurde es seither nicht besser. In sieben von zehn Kantonen hat man (deutlich) verloren. Kumulierter Verlust: acht Sitze. Den bisher grössten Taucher gab es am Sonntag in Neuenburg – mit einem Minus von 3,6 Prozentpunkten.
Das ist viel für eine Sieben-Prozent-Partei. Ins Verhältnis gesetzt wirken da acht verlorene Sitze stärker als etwa die elf, die die in den Kantonen rund dreimal so grosse FDP eingebüsst hat – und die (nicht zu Unrecht) jeden Tag lesen muss, dass sie in der Krise sei.
Wie war das noch vor drei Jahren, als alles für die Grünliberale Partei lief. Bei jeder kantonalen Wahl legte sie zu. Die Schweizer Landkarte: hellgrün schraffiert. Die NZZ schrieb: «Wieso gewinnen die Grünliberalen jede Wahl? Über die Partei, die die Zukunft umarmt.» Was ist in so kurzer Zeit passiert?
Das passt schlecht zum Selbstverständnis der Grünliberalen. Sie sehen sich als vernünftige Kraft im Zentrum. Und als die Zukunft. Doch nun muss sich die Zukunftspartei mit lästigen Ereignissen in der Vergangenheit auseinandersetzen. Die Selbstdemontage von Sanija Ameti hat auch nicht geholfen. Die Zürcherin hatte auf ein Bild mit Maria und Jesus geschossen – und die Partei hatte ihren ersten Skandal. Ob nun, 2025, ein «Schicksalsjahr« der Partei sei, stellte das Schweizer Fernsehen zur Diskussion. Muss man also zwei Fragen stellen, die man längst als mit Nein beantwortet geglaubt hatte: Braucht es die GLP überhaupt? Oder droht ihr dasselbe Schicksal wie dem Landesring der Unabhängigen (LdU), der 1999 untergegangen ist und mit dem die GLP oft verglichen wird?
I. Wo ist der Platz?
Michael Hermann ist einer der besten Kenner der Grünliberalen, er steht ihnen auch weltanschaulich nahe. Der Politologe sagt: «Die GLP wurde lange grösser gemacht, als sie war – nun wird sie kleiner gemacht, als sie ist.» Sie sei eine Nischenpartei, werde dies aber auch bleiben. Der LdU sei auch untergegangen, weil SP und FDP sich wechselseitig angenähert hätten. Heute, sagt Hermann, bewege sich die Sozialdemokratie nach links, der Freisinn nach rechts – und sie öffneten so ein Feld, in dem die Grünliberalen ihren Platz hätten. Hermann sagt: «Bei der SP ist das Sozialliberale verschwunden, bei der FDP das Linksliberale. Diese Menschen haben aktuell keine Heimat. Das ist die Marktlücke, die bestehen bleibt.»
Es gibt Erklärungen, warum die Grünliberalen diese Lücke nicht konstruktiver bespielen können. Das Klimathema ist out, Europa zieht nicht wirklich. Vor allem aber ist es die Gesellschaftspolitik, «eine wichtige Ergänzung» im Programm, wie Hermann sagt, die die Partei in die Defensive bringt: «Viele Forderungen der GLP, wie etwa die Ehe für alle, sind Realität geworden.» Dafür spalte die Woke-Debatte die Linke und die Liberalen – und man werde von den Rechten vor sich hergetrieben.
Komplizierter wird es, wenn es um den grünliberalen Habitus geht. Und die Frage, ob es diesen überhaupt gibt. Die GLP hat sich selber vermehrt den Anstrich gegeben, dass man weniger Partei, sondern mehr Bewegung sein will. Ideen werden in Laboren konzipiert, gearbeitet wird in Projekten, mal ist man dabei, mal nicht, immer online, aber nie auf Ochsentour. Getragen von einem Netzwerk von vielen «jungen, hippen Leuten». Aber was das bringt, weiss niemand so genau.
II. Was ist die Idee?
An einem Wintertag kann man in Frutigen zumindest eine Ahnung davon bekommen, wie eine grünliberale Politik aussehen könnte. Jürg Grossen wartet bereits am Bahnhof. Im Auto, das schon, aber natürlich ist es elektrisch. Er fährt den kurzen Weg ins Industriegelände, in dem sein Unternehmen daheim ist, es ist eine raue Gegend: Hier kommt man hin, wenn man arbeitet. Hip ist das Gegenteil.
Grossen vereint diese kaum zueinander passenden Elemente auf seine ganz eigene Weise. Der Präsident verkörpert einerseits das Bodenständige, Rurale. Ein Präsident der alten, bürgerlich-konservativen Machart. Vollblutpolitiker zwar, der auch im Nationalrat sitzt. Mehr Zeit seines Tages widmet der Elektroplaner seinem Unternehmen, dazu kommen Verwaltungsrats- und Verbandsmandate.
Andererseits gilt es, immer schön praktisch zu bleiben, technisch-modern, CO2-neutral natürlich auch, aus Eigeninteresse, wie sich bei einer kurzen Führung zeigt. Er erklärt, mit Leidenschaft, wie in den Räumen automatisch gelüftet wird, dank einem ausgeklügelten System, selbstentwickelt. Grossen sagt: «Wir machen das, weil es sich lohnt. Nicht nur, weil es umweltfreundlich ist. Das macht doch Sinn.» So pragmatisch beurteilt er auch den Zustand seiner Partei. Beim Wort «Schicksalsjahr» muss er lachen.
Er sieht die GLP solide dastehen. Wachstum sei nie linear. Es seien in Umfragen mal knapp 10 Prozent gewesen, jetzt seien es 7,6 – «aber als ich vor acht Jahren angefangen habe, waren es keine fünf, und wir hatten nur sieben Nationalräte und keine Ständerätin». Die Sitze in kantonalen Parlamenten habe man verdoppelt, dazu kämen zwei Regierungsräte. In den Institutionen sei man, auch dank dem Bundeskanzler, angekommen. «Wir sind zwar im Parlament noch zu selten ein Machtfaktor, dafür in Abstimmungen. Freihandelsabkommen und Steueranliegen kommen ohne uns nicht mehr durch.»
Alles normal also, der übliche Lauf einer Partei, mal ein bisschen erfolgreicher, mal weniger?
Jürg Grossen sagt: Ja. Natürlich helfe die «Themenkonjunktur» aktuell nicht, «aber wir halten an unseren Kernthemen fest», und «es braucht uns mehr als je zuvor». Er sieht die Grünliberalen als eine vorwärts orientierte Partei im Zentrum, die die «Zentrifugalkraft bändigt». Was er damit meint: Die Parteien an den Rändern brächten keine Lösungen. Die SP? Sei eine Juso-Kopie, in der der Glaube vorherrsche, «das Geld wachse an den Bäumen». Die Grünen? «Moralisieren nur noch – und werden immer extremer.» Die SVP? Kaum noch verortbar, sagt Grossen, «leider ist sie auch nicht mehr wirtschaftsliberal, wie man bei der 13. AHV-Rente gesehen hat».
Die GLP will diese Fliehkräfte einfangen. «Ohne die Parteien des Zentrums jagt es die Zentrifuge auseinander», sagt Grossen. Die Zentrifuge ist die Schweiz. Und die GLP habe dafür die «Freiheitsverantwortung» verinnerlicht. Das mag nicht schlecht klingen, aber dringt diese emotionslose, intelligent-ingenieurhafte Attitüde wirklich zur Bevölkerung durch?
III. Mehr Bauch?
Eine gewisse Distanz fällt auch Michael Hermann auf. Er spricht von einem «Typus des Apolitischen». Es geht weniger darum, dass sich die Grünliberalen in Sachfragen nicht auskennten, aber die Überzeugungen würden oft im ungefähren, abstrakten Bereich präsentiert. Das lässt sich schwer erklären. Ideen aus dem Labor geht das Begeisternde ab. Und der GLP fehlt die Geschichte. Hermann sagt, der verkopften Partei fehle es am «Bauch», was ein grosser Nachteil sei: zu sehr Excel, oft freudlos, manchmal nervig und besserwisserisch. Dabei gäbe es durchaus Potenzial, eine «lebensfreudigere FDP» zu sein – wenn man ein Angebot für das eigene Milieu schüfe. Wie ein progressiver Rotary-Club. «Aber die GLP bleibt aktuell zu sehr unter sich. Politik folgt der Aufmerksamkeitslogik.»
Auch hat Hermann manchmal den Eindruck, gerade in den Städten, dass die Grünliberalen zu «hipsterig» aufträten und sogar wirkten wie «gebleichte Grüne». Es fehlt an Menschen aus der Wirtschaft, wie der Breitling-Boss Georges Kern, der sich entnervt aus der Partei zurückgezogen hat, oder wie Alexander Keberle, Geschäftsleitungsmitglied von Economiesuisse, der sich parteipolitisch aber eher noch zurückhält. Oder wie Hermann diesen Typus beschreibt: «Bürgerlich, aber nicht konservativ.»
Das wirkt gar nicht mehr nach dem Bild, das Grossen von seiner Partei skizziert. Das «Hipsterige» sei ein Mythos, man werde in den Agglomerationen und auf dem Land ja immer stärker. Und sowieso: «Dieser Stadt-Land-Vergleich ist doch unnötig.» In Frutigen, wo er daheim sei, gehöre er zum linken Flügel, in der Stadt Bern wäre er rechts. Von Frutigen nach Bern sind es vierzig Kilometer. Grossen sagt, dass diese Unterschiede auf kleinstem Raum dazugehörten und «schweizerisch» seien. Aber ob es so viel Breite erträgt?
IV. Ist die GLP zu städtisch?
In Stans, Kanton Nidwalden, führt Peter Truttmann durch seine Gesundheitsdirektion. Der Regierungsrat macht hier noch alles selbst. Er lädt ein, empfängt, holt den Kaffee. Das wirkt nicht wirklich GLP-trendy, sondern wie alte Schule.
Dass er bei der GLP gelandet ist, und erst noch im Regierungsrat, ist auch sehr dem Zufall geschuldet. Er war früher bei der CVP, Gemeinderat, Gemeindepräsident, dann hat er sich aus der Politik verabschiedet. Dann kam die GLP auf ihn zu und ermöglichte ihm, als Neuling sofort für die Regierung zu kandidieren. Das war entscheidend. Auch wenn er sich «zweifelsfrei» mit der GLP identifiziere, hätte er sonst auch bei einer anderen bürgerlichen Partei landen können. Truttmann soll erklären, wie sein Habitus zu jenem der Partei passt – und wie die GLP auf dem Land überhaupt erfolgreich sein könne. Er sagt: «Die GLP ist kein sehnlicher Wunsch der Nidwaldner Bevölkerung, so ehrlich muss man sein. Gewählt wurde ich, weil meine Familie hier verankert ist, mein Vater war bei den Pilatus-Flugzeugwerken, mein Bruder arbeitet bei der Bank, mich kannte man aus der Politik, und ich bin Handwerker.»
Im Wahlkampf wird er mehrheitlich von den Bürgerlichen unterstützt und nicht von den Grünen. Und er ging immer raus, sprach mit den Menschen. So wird man in Nidwalden Regierungsrat. Nicht mithilfe eines GLP-Labs.
Er ist nicht pseudonachhaltig, sondern Käser mit einem Technikum-Abschluss, der zwar sauberes Wasser und gesunden Boden will, aber auch sagt: «Polarisieren ist nicht nachhaltig. Und hören Sie auf mit progressiv, das klingt nach Poch, ist negativ behaftet.» Zuerst müsse die Wirtschaft funktionieren, sonst gehe gar nichts. Mit «nur grünen Themen» vergraule man gute Steuerzahler. Truttmann hat ein Motorboot – und auch schon gehört, dass das als Grünliberaler doch nicht gehe, aber «sicher geht das! Alles andere ist nicht liberal.»
Peter Truttmann steht in Nidwalden auch für Ruhe, Ordnung, Sicherheit. Sagt er selbst. Geht es um die Asylpolitik, sagt er: «Sozial sein ist nicht Gutmenschentum, sondern bedeutet einen korrekten und respektvollen Umgang mit Menschen.» Bevor eine Asylunterkunft eröffnet wird, erklärt er die Absicht; involviert die Betriebe in der Nähe, die Restaurants – was könnte man gemeinsam tun? Und ja, er sorgt auch für die nötigen Sicherheitsvorkehrungen, «wir sind nicht naiv».
Das klingt anders als in den Städten, wo man sich in der GLP nicht so gerne mit Migrationspolitik beschäftigt. Das bedauert auch Truttmann. Und er weiss, dass die Grünliberalen auf dem Land noch viel zu tun haben. «Wir sind auch in Nidwalden noch in der Findungsphase – wenn ich nicht wiedergewählt würde und wir die Fraktionsstärke nicht halten: Dann wird es schwierig.»
V. Und jetzt?
Michael Hermann teilt diesen Eindruck. Die GLP müsse mehr aufs Land, «in den Städten stehen sich die starken Linken eh auf den Füssen herum». Und er benennt klar: «Eine Sanija Ameti war ganz weit weg von der moderaten Basis – und mit der ultraprogressiven Agenda einer Gemeinderätin wie Carla Reinhard musst du nicht aufs Land.» Dafür brauche es weniger Akademiker-Stil und eben: mehr Bauch. «Da fehlt der GLP das Personal.»
In Zürich sieht man das anders. Nora Ernst, Co-Präsidentin, hat genug davon, dass ihre Partei nur als Umwelt- oder Europapartei gesehen wird. «Wir haben auch Lösungsansätze für Probleme wie die Zuwanderung oder die Altersvorsorge.» So will die kantonale GLP etwa das inländische Fachkräftepotenzial besser nutzen. Die Idee ist alles andere als neu. Und ein bisschen langweilig.
Das klingt nicht nach viel Bauchteil, wie das Michael Hermann skizziert hat – das Gespür für Opportunitäten, für den Erfolg scheint abhandengekommen zu sein. Dabei wäre das die Königsdisziplin. Erst dann wäre man in der Lage, die Zentrifugalkräfte unter Kontrolle zu halten. Irgendwann in der Zukunft.