Bei den italienischen Banken scheint derzeit jeder jeden kaufen zu wollen. Die Regierung ihrerseits greift ziemlich hemmungslos mit eigenen Ideen in das Geschehen in der Privatwirtschaft ein.
Das Übernahmefieber hat die wichtigsten Protagonisten der italienischen Bankenszene angesteckt. Inzwischen sind sechs Offerten auf dem Markt. Von ihrem Ausgang hängt die zukünftige Gestalt des italienischen Finanzsystems ab. Die umkämpften Banken und Versicherungen haben einen Börsenwert von insgesamt 95 Milliarden Euro, immerhin ein Zehntel des Mailänder Börsenindexes FTSE MIB. Das gibt es sonst auf der Welt nirgendwo.
Andrea Orcel von Unicredit ist hyperaktiv
Nach einem halben Jahr nimmt das Gerangel in der eng verflochtenen Branche immer chaotischere Züge an. Es ist wie beim Dominospiel: Berührt man einen Stein, fallen auch die anderen um. Mit einer prominenten Ausnahme: Carlo Messina, Chef des Mailänder Bankenprimus Banca Intesa, hält sich bislang vornehm zurück.
«Das Durcheinander ist viel zu gross», sagte Messina, als er vergangene Woche die Quartalsergebnisse seines Konzerns vorstellte. Nach diversen Fusionen nähert sich Banca Intesa mit einem Marktanteil von rund 20 Prozent der kartellrechtlichen Höchstgrenze. «Wir haben noch so viel Wachstumspotenzial, dass wir uns besser auf dessen Entfaltung konzentrieren», sagte Messina.
Sein Rivale Andrea Orcel, Chef des Mailänder Bankkonzerns Unicredit, ist dagegen hyperaktiv. In einer Aufholjagd versucht der umtriebige Römer, die Konsolidierungswelle zu nutzen, um die Position von Unicredit auf dem Heimatmarkt zu stärken. Am Montag stand er nun im Rampenlicht. Die Vorlage eines auf Rekordniveau gestiegenen Quartalsgewinns von 2,8 Milliarden Euro war dabei eher Nebensache.
Orcel übertraf die Gewinnprognose der Analysten deutlich, enttäuschte aber ihre Neugier. Gespannt erwartet man an der Börse vom Unicredit-Chef Aufschlüsse über die Zukunft seiner feindlichen Übernahmeofferte an den profitablen Konkurrenten Banco BPM, der mit der Offerte an Anima das Ringen um die Neuverteilung der Macht losgetreten hatte.
Zorn der italienischen Regierung
Man werde die Wachstumsoption nur weiterverfolgen, «wenn sie Wert für unsere Aktionäre schafft», versicherte Orcel, der sich in seiner internationalen Karriere als Investmentbanker einen Namen als Pokerspieler gemacht hat.
Auch auf Nachfragen der Analysten hielt sich der Unicredit-Chef bedeckt. Er hatte mit dem 14 Milliarden Euro schweren Übernahmeangebot für BPM den Zorn der italienischen Regierung auf sich gezogen. Die BPM-Aktionäre können sich seit dem 28. April der Tauschofferte anschliessen. Doch das Angebot ist in zwei Wochen nicht vom Fleck gekommen. Nur 0,01 Prozent des Kapitals wurden Unicredit bisher ausgehändigt. Das ist insofern kein Wunder, als die Rechtsregierung von Giorgia Meloni Unicredit aussergewöhnlich hohe Auflagen machte.
So schreibt sie Unicredit unter anderem vor, nach einer Übernahme fünf Jahre lang bei BPM das Verhältnis zwischen Krediten und Einlagen nicht anzutasten und die Investitionen des Vermögensverwalters Anima in italienische Staatsanleihen stabil zu halten. Im Klartext: Ist das Tauschangebot erfolgreich, muss Unicredit den Status quo bei den beiden übernommenen Instituten einfrieren.
Rom masst sich viel Einflussnahme an
Italiens Finanzminister Giancarlo Giorgetti macht kein Hehl daraus, dass er die Übernahme stoppen will. Der Lega-Politiker griff dafür zur sogenannten Golden Power, einer Regelung, die der Regierung Sonderbefugnisse zur Ausübung eines Vetos oder zur Formulierung von Bedingungen einräumt. Allerdings waren diese Rechte von der EU 2012 zur Abwehr ausländischer Investoren gedacht, deren Übernahmeziele eine strategische Bedeutung für die nationale Sicherheit haben.
Bei Unicredit löste das Machtgebaren Roms Entsetzen aus. Orcel bat am Tag nach der Regierungsanordnung um eine Aussprache. Er wurde bis heute nicht vorgelassen. Am Finanzmarkt spekuliert man, dass er sein Angebot am Ende zurückziehen muss.
Natürlich fragen sich in Italien viele, wie Meloni Brüssel gegenüber rechtfertigen wird, dass sich ihre Regierung einer Fusion zweier italienischer Banken widersetzt. Zumal eine Konsolidierung der europäischen Bankbranche von der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank ausdrücklich befürwortet wird.
Zudem sorgte der Rückfall in den staatlichen Dirigismus, der kaum mit den Regeln einer westlichen Marktwirtschaft zu vereinbaren ist, für Streit in der Drei-Parteien-Koalition. Der Vizeministerpräsident Antonio Tajani von der moderaten Forza Italia verweigerte dem Einsatz der Golden Power die Zustimmung.
Der liberale Altpolitiker Giorgio La Malfa sagte: «Die Verfügung gegen Unicredit schadet dem Land, denn sie erweckt im Ausland den Eindruck, dass sich die Regierung in die wirtschaftlichen Angelegenheiten einmischen will.»
Meloni will eine Neuordnung der Bankbranche
Das trifft den Nagel aber auf den Kopf. Tatsächlich verfolgt Meloni einen eigenen Plan zur Neuordnung der Bankbranche. Und BPM kommt darin eine wesentliche Rolle zu. Er soll mit der sanierten Krisenbank Monte dei Paschi und der Mailänder Geschäftsbank Mediobanca zu einem neuen Konzern verschmolzen werden. Die Regierung treibt so den Aufbau eines dritten Bankenpols hinter den Marktführern Banca Intesa und Unicredit voran.
Giorgetti verteidigte am Wochenende die Auflagen für Unicredit. Er erklärte die angestrebte BPM-Übernahme kurzerhand zu «einer Frage der nationalen Sicherheit, die Europa nichts angeht».
Die Antwort aus Brüssel folgte prompt. «Ja zu Sonderbefugnissen, aber nur, wenn sie verhältnismässig sind», ermahnte Olof Gill, der Sprecher des EU-Ausschusses für Finanzdienstleistungen, am Montag.
Gill äusserte sich nicht zu dem konkreten Fall, erinnerte aber an einen Grundsatz: «Die Marktfreiheiten dürfen nur angetastet werden, wenn die Beschränkungen auf legitimen öffentlichen Interessen beruhen und nicht gegen EU-Recht verstossen.»
Hinzu kommt: Der Regierungsplan zur Bankenfusion kollidiert auch mit der Eigendynamik, die das turbulente Geschehen in Italien angenommen hat. Vor zwei Wochen kam Alberto Nagel, der diskrete Mediobanca-Chef, Meloni und Giorgetti in die Quere. Um sich gegen die drohende Übernahme durch die deutlich kleinere toskanische Traditionsbank Monte dei Paschi zu wehren, legte Nagel ein 6,4-Milliarden-Euro-Tauschangebot an die Aktionäre der Banca Generali aus Triest auf den Tisch. Die Überraschung an der Börse war gross. Die Verärgerung der politischen Strategen in Rom offenbar ebenso.
Allerdings droht die Regierung Mediobanca bis anhin nicht mit der Golden-Power-Keule. Nagel durfte vergangene Woche im Regierungsamt für sein Tauschangebot werben, das im Übrigen an der Börse blendend ankommt. Völlig offen ist, wie die einzelnen Partien am Ende ausgehen. Man wartet daher erst einmal gespannt auf den nächsten Dominoeffekt.