Die Zusammensetzung der Thurgauer Regierung ist seit 38 Jahren unverändert. Die Grünen versuchen nun, das Machtkartell zu brechen. Doch die SP empfiehlt die SVP-Kandidatin zur Wahl.
Die kantonale Politik hat ein Popularitätsproblem. Die mittlere Staatsebene ist für den Durchschnittsbürger schwer fassbar, die Parlamentsmitglieder sind kaum bekannt, die Themen abstrakt. Deshalb beteiligen sich auch nur wenige an kantonalen Wahlen. Im Thurgau ist dieses Desinteresse besonders ausgeprägt. Seit 1968 hat die Wahlbeteiligung bei Grossratswahlen im Kanton kontinuierlich abgenommen. Im Jahr 2016 erreichte sie mit 30,4 Prozent einen historischen Tiefststand.
Der Kanton reagierte mit der Zusammenlegung von Regierungs- und Grossratswahlen. Die Hoffnung: Personenwahlen nach dem Majorzsystem sind für die Bürger attraktiver als Parlamentswahlen nach Proporz. Der Plan funktionierte nur bedingt. Als die Regierungs- und die Grossratswahlen im März 2020 erstmals gemeinsam durchgeführt wurden, stieg die Beteiligung auf 32,6 Prozent – klägliche 2,2 Prozentpunkte mehr als vier Jahre zuvor. Verglichen mit den 42,4 Prozent, die der Kanton bei den Nationalratswahlen 2019 erreicht hatte, war das ein peinlich tiefer Wert für den Kanton.
Das Desinteresse der Thurgauerinnen und Thurgauer an den Vorgängen in ihrem Kanton liegt allerdings auch an dessen Politik. Die etablierten Parteien bilden seit Jahrzehnten ein Machtkartell, das die Regierungswahlen komplett berechenbar macht. Seit die SVP 1986 der FDP in einer Kampfwahl den zweiten Sitz abgenommen hat, ist die Sitzverteilung stabil (2 SVP, 1 FDP, 1 CVP/Mitte, 1 SP).
Fisch gegen die göttliche Ordnung
Dass selbst die Regierung diese Zusammensetzung mittlerweile als gottgegeben betrachtet, zeigte sich vor vier Jahren. Damals präsentierten sich die vier Bisherigen von SP, FDP, CVP und SVP nicht nur gemeinsam auf Wahlplakaten, sie warben auf dem gleichen Plakat auch gleich für den neuen SVP-Kandidaten: «zusammen mit Urs Martin, SVP, neu». Dabei war Martin keineswegs der einzige Kandidat. Die Grünliberalen hatten mit Ueli Fisch einen erfahrenen Mann aufgestellt, dem man es zutraute, dass er die göttliche Thurgauer Ordnung zumindest ins Wanken bringen konnte. Fisch hatte bereits bei den Regierungswahlen 2016 das absolute Mehr erreicht, war aber als überzählig ausgeschieden.
Dass die Regierung gemeinsam mit neuen Kandidaten Wahlwerbung macht, war im Thurgau nichts Neues. Schon 2016 zeigten sich die amtierenden Mitglieder mit dem erstmals kandidierenden FDP-Kandidaten Walter Schönholzer. Diesmal war die Regierung aber noch einen Schritt weitergegangen: Sie publizierte das Inserat auf der offiziellen Website des Kantons. «Das hat selbst für das erprobte Thurgauer Regierungskartell eine neue Qualität», schrieb die «Thurgauer Zeitung» verwundert. Die Reaktion folgte damals prompt. Die Staatskanzlei sah sich zu einer Entschuldigung gezwungen, das Inserat verschwand von der Kantons-Site.
Wahlkampfstart mit Debakel
Nun stehen im Thurgau die nächsten Wahlen an. Am 7. April wählt das Volk zum zweiten Mal am gleichen Termin die Regierung und den Grossen Rat. Die beiden Frauen in der Regierung, Monika Knill (SVP) und Cornelia Komposch (SP), haben ihren Rücktritt angekündigt. Die SVP hat für Knills Nachfolge die Kantonsrätin Denise Neuweiler nominiert, die SP ihre Fraktionspräsidentin Sonja Wiesmann Schätzle.
Die Konkordanzparty der Etablierten wird diesmal aber nicht nur von einem Aussenseiter gestört, sondern gleich von drei. Die Grünen treten mit der Amriswiler Stadträtin Sandra Reinhart an, auch haben die EVP und Aufrecht Thurgau je einen eigenen Kandidaten aufgestellt.
Für die Grünen wurde schon der Wahlkampf zum Debakel. Die SP-Delegiertenversammlung Anfang Februar machte ihnen bewusst, dass sich die Liebe der Sozialdemokraten auf warme Worte beschränkte. Die Mehrheit der SP-Delegierten entschied sich für eine Wahlempfehlung für die drei Bisherigen, die eigene Kandidatin – und Neuweiler von der SVP.
Die Grünen zeigten sich danach «stinksauer» («Thurgauer Zeitung»), die SP machte «strategische Gründe» geltend. Doch im Kanton war allen klar: Die Sozialdemokraten hatten Angst vor der Rache der Bürgerlichen.
Dass das Thurgauer Machtkartell aufgebrochen wird, dürfte deshalb auch diesmal unwahrscheinlich bleiben. Für die Kandidatin der Grünen wird es vor allem darum gehen, Präsenz zu markieren; der Glanz der Regierungskandidatur soll auch ein wenig auf die Grossratswahlen abstrahlen. Und vielleicht noch ein paar Wählerinnen und Wähler zum Gang an die Urne motivieren.