Die Kantone mit nur halber Standesstimme fühlen sich ungerecht behandelt – und ziehen den Vergleich zum Frauenstimmrecht.
Es gibt Begriffe, die offiziell gar nicht mehr verwendet werden, im allgemeinen Sprachgebrauch aber dennoch ihren festen Platz behalten: «Halbkanton» ist so einer. Er bezeichnet jene sechs Kantone – Basel-Stadt und Basel-Landschaft, Nid- und Obwalden sowie Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden –, die im Ständerat nur über einen Sitz und bei der Berechnung des Ständemehrs nur über eine halbe Standesstimme verfügen.
Kurz: Sie haben im fein austarierten System des helvetischen Föderalismus weniger Macht als die übrigen Kantone – darunter auch deutlich kleinere. In besonderem Ausmass gilt dies für die beiden Basel, die auf der Rangliste der bevölkerungsreichsten Kantone immerhin die Plätze elf und fünfzehn belegen.
Ungerecht, ja gar verfassungswidrig findet das GLP-Nationalrätin Katja Christ. In ihrem Postulat («volles Ständerecht für beide Basel») verlangt die Baselstädterin vom Bundesrat einen Bericht, der verschiedene Möglichkeiten zur Lösung dieses «bundesstaatlichen Problems» aufzeigen solle.
Basel-Stadt musste Sitz abgeben
Wie die neue Ordnung aussehen soll, lässt Christ bewusst offen. So könnte sie sich durchaus vorstellen, in die geforderte «Gesamtschau» der föderalen Mechanismen weitere Kriterien – etwa die Sprachzugehörigkeit, die Wirtschaftskraft oder die Urbanität – einfliessen zu lassen.
Klar ist: Der Status quo dürfe es nicht mehr sein, da notabene Basel-Stadt je länger, je mehr benachteiligt werde, so Christ. Weil die Bevölkerung aufgrund der geografischen Position kaum mehr wachsen kann, verliert der Kanton auch im Nationalrat an Gewicht. Bei den Wahlen von 2023 war er der einzige, der einen Sitz abgeben musste.
Die GLP-Frau ist nicht die Einzige, die den Kantonen mit einer Standesstimme mehr Macht verleihen möchte. Der Ausserrhoder Nationalrat David Zuberbühler (SVP) fragte den Bundesrat bereits 2016, wann die «Halbkantone für voll genommen werden». Auch er echauffiert sich darüber, dass diese gegenüber dem Bund zwar die gleichen Pflichten, nicht aber die gleichen Rechte besitzen.
Wappen ausserhalb der Kuppel
Die Urheber der beiden Vorstösse zielen in eine ähnliche Richtung – und verweisen auf den gleichen «Sündenfall», um die empfundene Ungerechtigkeit zu untermauern: den Jura, der erst seit 1979 existiert. Dieser ist, wie die «Halbkantone», aus einer Abspaltung entstanden, aber er verfügt trotz bescheidener Grösse über eine Doppelvertretung im Stöckli und eine ganze Standesstimme.
«Bei jeder Bundeshausführung zeige ich aufs Wappen des Juras, das aus Platzgründen ausserhalb der Kuppel aufgehängt werden musste», sagt Zuberbühler. Er findet es paradox, dass der Jungkanton damals nicht auch nur mit einer halben Standesstimme ausgestattet worden sei.
Die Antwort darauf lieferte der Bundesrat in seiner Replik auf den Vorstoss: Es sei in den 1970er Jahren «nicht denkbar» gewesen, Bern als einen der grössten Kantone der Schweiz in einen Halbkanton umzuwandeln. Zudem müsse die Schaffung des Juras «eher als Rückkehr zu einem früheren Zustand betrachtet werden denn als Aufteilung eines Kantons in zwei neue Einheiten», heisst es.
Zuberbühlers Anliegen erteilte der Bundesrat eine Abfuhr – so wie nun auch Christs Postulat, über das sich der Nationalrat am Montag beugt. Weil bei einer föderalistischen Neuordnung fast alle Kantone Macht abgeben müssten und sich insbesondere die Romandie (noch mehr) benachteiligt sähe, stehen die Chancen schlecht. Christ aber will nicht aufgeben. Sie vergleicht ihr Anliegen mit dem Stimmrecht der Frauen, das ihnen die Männer erteilen mussten: «Da brauchte es auch ein paar Anläufe.»