Der deutsche Schriftsteller Karl-Heinz Ott schickt in seinem neuen Roman drei Paare auf eine philippinische Insel. Dort sollen sie gerettet werden und sich neu erfinden.
Noch einmal von vorne anfangen. Sich endlich aus den Verstrickungen eines alten Lebens lösen, selbst im fortgeschrittenen Alter. Solche Sehnsüchte sind im realen Leben, wo Therapeuten und Mentalcoaches suggerieren, man könne sich im Handumdrehen neu erfinden, häufig anzutreffen. Solche Konstellationen sind prädestiniert für Romane, darum schicken Autoren ihre Figuren gern auf existenzielle Reisen mit ungewissem Ausgang.
Karl-Heinz Ott, der in den letzten zwei Jahrzehnten eine Vielzahl origineller Essays und Romane veröffentlicht hat, präsentiert in seinem Roman «Die Heilung von Luzon» ein Szenario, das fast zu vertraut erscheint. Drei Paare aus Deutschland machen sich auf, um in der asiatischen Ferne – genauer gesagt: auf der philippinischen Insel Luzon – ihrem verfahrenen Leben eine neue Wendung zu geben. Jung sind sie nicht mehr, doch nicht alt genug, um allen Wünschen abzuschwören.
Freilich, die sechs begeben sich nicht auf eine Vergnügungsreise; sie wollen nicht im Spirituellen oder in verfeinerten Atemtechniken ihr Heil suchen. Für drei von ihnen ist die Karwoche, die sie im Ocean Beach Resort verbringen wollen, eine letzte Chance; sie sind schwer erkrankt, von der Schulmedizin enttäuscht und hoffen, von einem Wunderheiler namens Bon Sato gerettet zu werden.
Letzte Hoffnungen
Karl-Heinz Ott macht daraus eine Art Kammerstück, wo Verzweiflung und Zuversicht miteinander ringen und wo die Konflikte nach einem 15-Stunden-Flug auf andere Weise als zu Hause ausgetragen werden. Drei ganz unterschiedliche Paare lässt Ott aufeinandertreffen: Da ist der Ethiklehrer Tom, der seiner kranken Frau Rikka beistehen will; dann ist da der in die Jahre gekommene Theaterzampano Bock, der trotz Erkrankung seine Gefährtin Gela tyrannisiert; und da ist die Hotelmanagerin Susanne, die sich von keinem Rückschlag entmutigen lässt und an ihrer Seite den deutlich älteren Eugen duldet, der mit seinen pseudophilosophischen Welterklärungsschwurbeleien gleichermassen fasziniert wie nervt.
Karl-Heinz Ott ist klug genug, in seinem aus wechselnden Perspektiven erzählten Roman deutlich zu machen, dass wir es mit saturierten, wiewohl manchmal mit finanziellen Engpässen kämpfenden Protagonisten zu tun haben, die neben Vorurteilen auch trügerische Selbstgewissheiten mit sich herumtragen. Einig sind sie sich darin, in Bon Sato einen letzten Rettungsanker zu erhoffen und ihre rationalen Überzeugungen fahren zu lassen. Und ausserdem hoffen die eine und der andere, die philippinische Woche für einen Neuanfang zu nutzen. So hat etwa Gela seit langem genug von Bock, aber bisher fand sie nie die Kraft für einen Schlussstrich. In der Ferne wächst ihr neuer Mut zu.
«Die Heilung von Luzon» ist ein couragiertes, stilistisch virtuoses Buch, dessen Dialoge keine falschen Töne aufweisen und das auch in heiklen Passagen die Souveränität seines Autors zeigt. Wenn Bon Sato dazu ansetzt, seine Patienten zu behandeln und ihren Körpern in skurrilen Szenen blutige Teile zu entreissen, mischen sich Ekel und Faszination. Es bleibt offen, ob hier Wunderkräfte am Werk sind oder Scharlatanerien kaschiert werden.
Nicht minder eindrucksvoll ist es, wenn sich eine Gruppe nach San Fernando aufmacht, wo sich am Karfreitag Menschen ans Kreuz schlagen lassen. Der Volksauflauf soll den auf Erlösung Hoffenden eine Inspiration sein. Brillant lässt sich Ott hier auf die Ängste, Marotten und Wünsche seiner Figuren ein und offenbart letztlich auch, wie ihnen die Enttäuschung zusetzt.
Gefangen im eigenen Leben
Naturgemäss weisen die Figuren im Plot eine unterschiedliche Präsenz auf; das lässt sich in einem solchen Arrangement mit sechs Figuren kaum vermeiden. Die Vorlieben des Autors sind deutlich zu erkennen. So bleiben die gegen falsche Ernährung wetternde Rikka und der Welterklärer Eugen mit seinen Schmähreden gegen Isaac Newton eher blass. Hingegen avanciert der Theatermann Bock zur heimlichen und nicht sonderlich sympathischen Hauptfigur.
Genüsslich porträtiert Ott, der selbst über viel Theatererfahrung verfügt, diesen cholerischen, Kind gebliebenen und alles Psychologische hassenden Mittfünfziger. Noch Jahrzehnte später schwelgt er in Erinnerungen an eine frühe Begegnung mit dem Filmemacher Rainer Werner Fassbinder. Und hartnäckig ignoriert er, dass seine Regieerfolge Schnee von gestern sind und er nicht mehr in Frankfurt oder Zürich, sondern – wenn überhaupt – nur noch in der Provinz eine Bühne findet.
Natürlich verändert sich in dieser Ausnahmewoche nicht alles, aber einiges doch. Die Paare geraten durcheinander, und überraschender Sex scheint neue Erkenntnisse zu vermitteln. Bei der Rückkehr nach Deutschland wird nicht alles weitergehen wie zuvor. Geschickt vermeidet es Karl-Heinz Ott, Anschauungen und Verhalten seiner Figuren zu werten. Er zeigt sie nüchtern als Gefangene ihres selbstgemachten Dickichts aus lähmenden Gewohnheiten und leerlaufende Auseinandersetzungen. «Die Heilung von Luzon», so heisst zwar der Roman; eine Blitzheilung für seine Akteure verspricht er aber nicht.
Karl-Heinz Ott: Die Heilung von Luzon. Roman. Hanser-Verlag, München 2025. 335 S., Fr. 38.90.