Die fiskalische Lage vieler europäischer Staaten ist schlechter als vor kurzem noch prognostiziert. Nun herrscht die grosse Ratlosigkeit, die Politik ist gelähmt. Dabei sollten die Regierungen endlich Prioritäten setzen.
Viele Länder Europas brauchten den grossen Wurf – ihre Schulden sind zu hoch, sie sollten sparen. Aber das schaffen die Regierungen nicht mehr. Alarmiert ist mittlerweile auch die EU-Kommission. Die Budgetdefizite und die hohen Schulden seien ein Risiko und stellten eine grosse Herausforderung dar, ermahnte sie Länder der Euro-Zone jüngst.
Es fällt auf, wie die Fiskalpolitik jüngst in vielen europäischen Ländern zum grossen innenpolitischen Konfliktherd geworden ist. Beunruhigend ist etwa, dass die Regierungen der beiden wichtigsten EU-Länder Deutschland und Frankreich innerhalb von vier Monaten gefallen sind. Die politischen Akteure waren nicht mehr in der Lage, bei der Budgetfrage einen Konsens zu finden.
Schwierige Koalitionsgespräche in den Ländern
Das ist schlecht für Europa und die EU. Wenn Deutschland und Frankreich dümpeln, schwächt das auch den Staatenbund in einer Zeit, in der er in weltpolitischen Schlüsselfragen geeint auftreten sollte.
Dabei sind die beiden Staaten längst nicht die einzigen EU-Mitglieder, in denen die Fiskalfrage den politischen Stillstand ausgelöst hat. In Belgien versucht der Politiker Bart De Wever seit Monaten, eine neue Regierung zu bilden, der Liberale, Christlichdemokraten und Sozialdemokraten angehören sollen. Bisher sind alle Bemühungen an der Budgetfrage gescheitert. Um das Defizit zu reduzieren, würden die Vertreter von links gerne höhere Steuern einführen, De Wever dagegen setzt auf höhere Sparanstrengungen.
In Österreich ringen die ÖVP, die SPÖ und die liberale Neos ebenfalls um ein Regierungsprogramm. Der Konflikt, wie man das hohe Budgetdefizit angehen will, dominiert die Koalitionsverhandlungen; andere, ebenfalls wichtige Themen, geraten in den Hintergrund.
Die Politiker waren gewarnt
Beunruhigend ist dabei, wie rasch sich die Budgetlage vieler europäischer Länder im Vergleich mit den Prognosen verschlechtert hat. In Frankreich, in Österreich, aber auch in Rumänien sind die Defizite höher, als dies die Politiker bis vor kurzem wahrhaben wollten.
Ökonomen haben zwar warnend darauf hingewiesen, dass die schlechte Wirtschaftslage Folgen für die Finanzen haben werde, doch die Politiker negierten die Ermahnung. Auch weil Wahlen bevorstanden, beispielsweise in Österreich.
Mittlerweile haben viele Mitglieder der EU ihren finanziellen Spielraum komplett eingebüsst. Und dabei kommen gewaltige Lasten auf die Staaten zu. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt, was die Kosten für die Allgemeinheit und den Staat in die Höhe treiben wird. Gleichzeitig besteht in den meisten Ländern ein Konsens darüber, dass man mehr für die Verteidigung ausgeben sollte. Hier geht es um riesige Beträge, niemand hat aber auch nur eine leise Ahnung, wie sie aufgetrieben werden sollen.
Arbeitseinkommen werden zu hoch besteuert
Deshalb werden die Regierungen nicht darum herumkommen, bei den Ausgaben endlich Prioritäten zu setzen und auf gewisse Dinge zu verzichten. Niemand weiss nämlich, wie lange sich hochverschuldete Länder am Kapitalmarkt noch Geld zu günstigen Konditionen beschaffen können.
Die Stimmung der Investoren kann rasch kippen – das kann schon morgen der Fall sein. Weil die Mehrzahl der EU-Länder über den Euro eine Schicksalsgemeinschaft bildet, würde sich eine Finanzkrise rasch von einem Land auf andere ausweiten.
Kritisch ist auch, dass 51 Prozent der Steuereinnahmen der EU-Mitgliedsländer aus den Arbeitseinkommen stammen. Diese Einkünfte könnten sinken, wenn die Bevölkerung schrumpft.
Der Spielraum ist somit in vielen EU-Ländern eng geworden, die Verteilkämpfe spitzen sich zu. Das sollte all jenen Ländern eine Mahnung sein, die noch halbwegs über solide Staatsfinanzen verfügen. Dazu zählt die Schweiz. Der Weg in die Schuldenwirtschaft verläuft schleichend. Aber wer einmal in ihr drin ist, findet kaum mehr heraus.