Kaum ist ein grosser Wirbelsturm vorüber, steuert ein weiterer auf Florida zu. Kamala Harris will sich als Krisenmanagerin beweisen. Donald Trump wirft der Regierung komplettes Versagen vor.
Naturkatastrophen sind für die betroffene Bevölkerung schrecklich. Aber kurz vor einer Wahl sind sie für Politiker eine Chance, um sich als starke und mitfühlende Anführer in Szene zu setzen. Dank seinem untrüglichen politischen Instinkt hat Donald Trump dies sofort erkannt. Nachdem die Ausläufer des Hurrikans «Helene» in den beiden Swing States Georgia und North Carolina für zerstörerische Überschwemmungen gesorgt hatten, reiste er vergangene Woche gemeinsam mit einem evangelikalen Prediger und einer Ladung an Hilfsgütern als Erster in die Krisenregion.
Insgesamt forderte der Sturm über 230 Todesopfer. Wassermassen, Erdrutsche und zusätzliche Tornados zerstörten Häuser, Strassen und Brücken. Trump versuchte das mediale Narrativ zu prägen, bevor die staatliche Katastrophenhilfe richtig in Gang kam. Der republikanische Gouverneur von Georgia, Brian Kemp, habe vergeblich versucht, Präsident Joe Biden anzurufen, behauptete er. Kemp dementierte dies umgehend: In Tat und Wahrheit habe er zunächst einen Anruf von Biden verpasst. Der Präsident habe ihm schliesslich jegliche Hilfe angeboten, die Georgia brauche.
Informationskrieg um die Krisenhilfe
Trump liess es nicht bei diesem widerlegten Gerücht bewenden. In North Carolina lasse die Regierung und der demokratische Gouverneur Roy Cooper den Gebieten mit hohen republikanischen Wähleranteilen kaum Hilfe zukommen, schrieb Trump auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social. Bei einem Wahlkampfauftritt bezichtigte er Kamala Harris zudem, dass sie Milliarden aus dem Haushalt der Behörde für Katastrophenhilfe – Fema – abgezweigt habe, um die Unterbringung von «illegalen Migranten» zu finanzieren. Die Fema hat mittlerweile eine Website eingerichtet, um die zahlreichen Falschinformationen zu widerlegen.
Kurz nach Trump eilten auch Biden und Harris in die Region. Der Wiederaufbau werde Milliarden kosten. Der Kongress habe «die Verpflichtung», diese Gelder zur Verfügung zu stellen, meinte der Präsident. Harris traf sich unter anderem mit Opfern der Naturkatastrophe und besuchte einen Stützpunkt der Nationalgarde in North Carolina. Dabei liess sie sich am Kopf eines langen Tisches mit lokalen Politikern und Rettungskräften über die Lage informieren. Dank der Hilfe der Regierung, des Gliedstaats, von Freiwilligen und privaten Organisationen sei die Reaktion auf das «präzedenzlose Desaster» bisher «riesig», erklärte Gouverneur Cooper. Harris meinte: «Diese Krisenmomente bringen das Beste, was in uns steckt, zum Vorschein.»
In Meinungsumfragen liegen Harris und Trump in Georgia und North Carolina auf Augenhöhe. Jede Stimme kann entscheidend sein. Obwohl auch demokratische Hochburgen betroffen sind, hat der Sturm vor allem in republikanischen Gebieten grosse Schäden angerichtet. Die Wahlbehörde in North Carolina hat am Montag Massnahmen ergriffen, um die Briefwahl in den Krisenregionen zu erleichtern.
Tampa droht ein Jahrhundertsturm
Während die Aufräumarbeiten nach dem Hurrikan «Helene» andauern, bewegt sich mit «Milton» ein weiterer starker Wirbelsturm auf Florida zu. Am Dienstagabend war er noch vor der Küste der mexikanischen Halbinsel Yucatán. Auf dem Satellitenbild zeichnete sich eine riesige weisse Wolkenspirale mit einem schwarzen Auge ab. Der Wind wehte anhaltend mit einer Geschwindigkeit von 230 Kilometern pro Stunde – ein Hurrikan der zweithöchsten Kategorie.
Laut Vorhersagen soll «Milton» in der Nacht zum Donnerstag auf die Küste von Florida treffen. Der Wirbelsturm werde in seiner Intensität schwanken, aber bis zum Erreichen der Küste ein extrem gefährlicher Hurrikan bleiben, teilte das National Hurricane Center (NHC) am Dienstag mit. Voraussichtlich wird «Milton» auf die Stadt Tampa treffen, in deren Ballungsraum drei Millionen Menschen leben. Sie wurde zuletzt 1921 von einem solch starken Wirbelsturm getroffen.
Das NHC gab für die gesamte Westküste von Florida sowie für einen Teil der Ostküste eine Sturmflutwarnung heraus. Dies erklärt auch die umfassenden Massnahmen zur Evakuierung, Hunderttausende haben die Region bereits verlassen. Präsident Joe Biden verschob wegen des sich anbahnenden Desasters seine für Donnerstag geplante Reise nach Deutschland.
Das Wasser im Golf von Mexiko hat derzeit Temperaturen zwischen 29 und 30 Grad Celsius. Diese ungewöhnlich grosse Wärme trägt nicht nur zur hohen Windgeschwindigkeit des Wirbelsturms bei, sondern auch zu grossen Regenmengen. In einem Streifen, der sich nördlich von Tampa und Orlando quer durch Florida zieht, werden bis Freitagmorgen mehr als 300 Millimeter Regen erwartet. Darum ist nicht nur an der Küste, sondern auch im Inland mit Überschwemmungen zu rechnen.
Mit «Milton» und der Zerstörung, die er anzurichten droht, dürfte die Debatte um das Krisenmanagement in eine weitere Runde gehen, auch wenn der Sturm voraussichtlich nicht nach Norden weiterziehen wird. Floridas republikanischer Gouverneur Ron DeSantis soll in den vergangenen Tagen keine Anrufe von Harris zur Hurrikan-Situation angenommen haben, weil er politische Absichten dahinter vermutete. Als Biden den Gliedstaat vergangene Woche besuchte, lehnte DeSantis einen gemeinsamen Auftritt ab.
Gleichzeitig könnte ein bisher vernachlässigtes Wahlkampfthema stärker in den Fokus rücken: der Klimawandel. Trump hat diesen als «Hoax» bezeichnet. Biden und Harris schrieben sich 2020 den Kampf für saubere Energie und gegen die Erdölindustrie auf die Fahne. Doch weil sich viele Wähler über die stark gestiegenen Benzinpreise ärgern, stellte Harris das Thema in den Hintergrund. Bisher scheint sie daran nichts ändern zu wollen. Aber Biden meinte bei seinem Besuch in North Carolina: «Niemand kann mehr die Folgen der Klimakrise verleugnen. Wer dies tut, muss hirntot sein.»
Wie dem auch sei, klar ist: Neben dem Krieg im Nahen Osten, den gestiegenen Lebenskosten oder der Migration könnten nun auch die Hurrikans das Rennen um das Weisse Haus mitentscheiden.