Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Der deutsche Historiker Norbert Frei sagt im grossen NZZ-Interview, wie die Transformation des Nazistaats gelang – und wie er die Gefahr eines neuen Faschismus einschätzt.
Herr Frei, wie war die Gefühlslage der Europäer am 8. Mai 1945, als die Waffen schwiegen?
Der Zweite Weltkrieg war am 8. Mai ja noch nicht zu Ende. Kapituliert hatte die deutsche Wehrmacht sogar zweimal, am 7. Mai bei den Westalliierten in Reims und am 9. Mai bei den Sowjets in Berlin-Karlshorst. Aber die Kämpfe im Pazifik gingen unterdessen weiter, Japan kapitulierte erst am 2. September 1945. Was die Menschen in London wie in Los Angeles, in Moskau wie in New York jetzt feierten, das war der VE-Day: Victory in Europe. Doch nicht nur in den Metropolen, sondern überall war die Freude gross und die Erleichterung gewaltig – im Bewusstsein der riesigen Anstrengungen, deren es bedurft hatte, um Nationalsozialismus und Faschismus niederzuzwingen, im Bewusstsein der Millionen von Menschenleben, die der Krieg gekostet hatte.
Der «Führer» war tot, sein völkermörderisches Regime erledigt.
Ja, in diesem Sinne markiert der 8. Mai eine Epochenzäsur. Sie ist, wie man so sagt, eingebrannt in das Gedächtnis der immer weniger werdenden Zeitgenossen, der damals jungen Leute. Aber sie hat sich auch Generationen von Nachgeborenen tief eingeprägt, mindestens so sehr über die Erzählungen in der Familie wie durch den Schulunterricht und die historisch-politische Bildung. Doch wann der Krieg endete, hing natürlich davon ab, wo man war und wer man war. Das faktische Kriegsende im Westen Europas lag ja Monate früher: In Paris kapitulierten die Deutschen am 25. August 1944, und im Oktober war Aachen die erste besetzte deutsche Grossstadt. Im Süden Europas war es noch schneller gegangen: Rom war Anfang Juni 1944 die erste europäische Hauptstadt, aus der sich die Deutschen zurückgezogen hatten, weil die Amerikaner von Sizilien her vorgedrungen waren. Die Befreiung war also ein Prozess, weniger ein «Ereignis». Und was man nicht vergessen darf: Überall in Europa herrschten auch nach dem Ende der deutschen Besatzung Hunger und Not.
Für die Deutschen war es kein Tag der Befreiung, sondern eine bittere Niederlage. Wie sind sie damit umgegangen?
Das Wort vom «Tag der Befreiung» ist Ausdruck einer politischen Deutung. Sie wurde 40 Jahre nach Kriegsende – am 8. Mai 1985 – von Bundespräsident Richard von Weizsäcker ausgesprochen, der dafür weltweit Anerkennung erfuhr. Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, hatte bereits 1955 vom Gefühl des «Befreit-Seins» gesprochen, dem er freilich die «militärische Zertrümmerung» und «die Vernichtung von Jahrhunderten alter deutscher Staats- und Volksgeschichte» gegenüberstellte. Insofern kann man durchaus sagen, dass die Vorstellung, man sei befreit worden, bei den Deutschen immer schon im Raum stand – auch wenn das natürlich längst nicht alle im Moment der Kapitulation so empfanden. Für viele war es, wie Sie sagen, eine bittere Niederlage, in der so ziemlich alles zusammenkam: Wut und Enttäuschung, Verzweiflung und Angst, Gefühle der Sinnlosigkeit und der Ohnmacht. Andere waren einfach erleichtert, dass es vorbei war und sie überlebt hatten.
Aber das war nur die eine Seite: die der immer noch gläubigen Funktionäre und Anhänger des Regimes.
Gewiss. Wirklich befreit konnten sich diejenigen fühlen, die ausserhalb der «Volksgemeinschaft» gestanden hatten: Für sie war die Zeit der Verfolgung, der Peinigung und der Ausbeutung nun endlich vorbei. Das galt für die wenigen überlebenden Juden, für Millionen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, für die am Leben gebliebenen Kriegsgefangenen – 3,3 Millionen sowjetische Soldaten hatten die Deutschen verhungern lassen –, für die Überlebenden der Todesmärsche, für die Insassen der Konzentrationslager und für die Sonderhäftlinge der Gestapo. Und natürlich für die aktiven Gegner des Regimes, soweit sie nicht in letzter Stunde ermordet worden waren.
Beobachtern, die nach Kriegsende durch das ehemalige «Dritte Reich» reisten, fiel auf, dass niemand Nazi gewesen sein wollte. Die Deutschen hätten sich vielmehr über ihre «Kollektivbestrafung» beklagt. Eine «manische Arbeitsfixierung diente zur Abwehr der Wirklichkeit», wie es Hannah Arendt beschrieb.
Ja, das war der vielfach überlieferte Eindruck, den schon Kriegsreporter gewannen – unter ihnen übrigens auffallend viele Frauen –, die mit den alliierten Truppen vorrückten: Wo immer sie hinkamen, wen sie auch fragten, sie fanden so gut wie niemanden, der sich als Nationalsozialist bekannte. Keiner wollte dazugehört und sich schuldig gemacht haben. Aus diesen Begegnungen wuchs eine begreifliche Empörung, die damals viele Beobachter teilten und die sich bei Hannah Arendt dann in einem philosophisch informierten Sarkasmus äusserte. Erst in der Rückschau zeigt sich: In dieser feigen Pauschaldistanzierung eines ganzen Volkes von seinem eben noch unterstützten Regime lag auch eine Chance. Nämlich die Chance zur Transformation, um die es ja schon wenige Jahre später gehen musste: der Volksgenossen des «Dritten Reiches» in die Bürgerschaft der Bundesrepublik beziehungsweise der DDR.
Die Entnazifizierung schlug im Grunde fehl. An Universitäten, Gerichten und in der Verwaltung blieben viele Nazis in Amt und Würden. War das der Preis, den die Alliierten bezahlten, um Westdeutschland schnell als Bündnispartner im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion zu gewinnen?
So einfach ist es nicht, auch nicht mit der vielgescholtenen Entnazifizierung. In den Jahren der unmittelbaren Besatzungsherrschaft der Alliierten, also zwischen 1945 und 1949, gab es sehr wohl ernsthafte politische Säuberungsanstrengungen, die immerhin dazu führten, dass nicht nur die politischen und militärischen Spitzen des Regimes, soweit sie sich nicht schon selbst aus dem Weg geräumt hatten, verurteilt wurden. Es gab die Nürnberger Prozesse, es gab Tausende von Militärgerichtsverfahren, in denen Kriegs- und NS-Verbrechen scharf geahndet wurden. Hunderttausende Beamte wurden entlassen und sassen zusammen mit NS-Bonzen zum Teil viele Monate lang in Internierungshaft. Millionen mussten per «Fragebogen» politisch Rechenschaft ablegen. Das alles war nicht perfekt und schon aus der Sicht zeitgenössischer Kritiker nicht konsequent genug, aber es war nicht wirkungslos. Es war ein gewaltiger gesellschaftlicher Denkzettel, den sich doch viele zu Herzen nahmen – und sei es nur, indem sie sich opportunistisch an die neuen politischen Verhältnisse anpassten.
Welche Rolle spielte der anbrechende Kalte Krieg?
Die Bedeutung des Kalten Krieges für die nachlassende säuberungspolitische Energie der Alliierten wird immer noch überschätzt: Es waren die Deutschen, namentlich die einstige Wehrmachtgeneralität, aber auch Kirchenobere, die die Freilassung von verurteilten Kriegsverbrechern forderten und Amnestien verlangten. Letzterem kam zuerst die neue politische Klasse der Bundesrepublik entgegen, zum Beispiel in Gestalt eines schon im Dezember 1949 vom Bundestag in schöner Eintracht verabschiedeten Straffreiheitsgesetzes. Später dann begnadigten die Alliierten Hohen Kommissare sogar einst zum Tode verurteilte SS-Einsatzgruppenführer.
Bis heute ist die Erzählung weit verbreitet, dass der «Dämon» Hitler das Volk verführt habe – die Deutschen im Grunde also auch Opfer gewesen seien.
Das war vor allem die Erzählung derer, die sich für das nationalsozialistische Projekt engagiert hatten, und derjenigen, die am Ende im Bombenkrieg, auf der Flucht und bei der Vertreibung aus dem Osten gelitten hatten. Dieses unbestreitbare Leid – einerlei, wie viel eigene Schuld ihm vorausgegangen war – wurde dann sehr schnell nach Kriegsende denen entgegengehalten, die als Verfolgte überlebt hatten. Das war, was Hannah Arendt auf Deutschlandbesuch Ende der vierziger Jahre erlebte: die deutschen Opfer als «Argument» gegenüber den überlebenden Opfern der Deutschen. Ich denke, die komplizierte Geschichte der Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer NS-Vergangenheit in der «alten» Bundesrepublik ist auch eine Geschichte der allmählichen Distanzierung von dieser apologetischen Erzählung. Dass sich ein Teil der Deutschen dieser Rechtfertigung inzwischen wieder verschreibt, zeigt der Erfolg der AfD. Sie bewirtschaftet das Ressentiment gegen historische Aufklärung, auch mit der absurden Behauptung, Hitler sei eigentlich ein Linker gewesen.
Die kritische Aufarbeitung des Nationalsozialismus begann in Deutschland erst in den 1960er Jahren. Weshalb dauerte es so lange?
Ich weiss nicht, ob man sagen kann, dass es «so lange» dauerte. Wo wollen wir die Massstäbe dafür hernehmen? Tatsache ist zum Beispiel, dass das Institut für Zeitgeschichte in München in den späten vierziger Jahren – mit Unterstützung der Amerikaner – gegründet wurde, und bei allen Mängeln und Defiziten, die wir heute in manchen frühen Forschungen erkennen, stand dahinter doch ein aufklärerischer, kritischer Grundimpuls. Und hinsichtlich der beteiligten Wissenschafter hiess das in vielen Fällen ja auch: ein prinzipiell selbstkritischer Impuls.
Markierte «1968» die Wende?
Kritik und Aufklärung nahmen bereits Ende der fünfziger Jahre langsam Fahrt auf, angestossen durch eine kleine Minderheit älterer Intellektueller und Juristen, ich nenne nur Theodor W. Adorno und Fritz Bauer. Aber dann kamen schon wichtige Stimmen aus der «skeptischen Generation» der einstigen Hitlerjugend-Führer, Flakhelfer und jungen Frontsoldaten hinzu, zunächst vor allem Literaten wie Grass und Walser, ebenso junge Geisteswissenschafter und Historiker. Erst danach kamen die um 1945 Geborenen, also die später sogenannten Achtundsechziger, an die Universitäten und fragten nach der Vergangenheit ihrer Professoren – so, wie sie es schon im Konflikt mit ihren Eltern getan hatten. Allerdings galt das Interesse dieser Generation bald nicht mehr der konkreten Auseinandersetzung mit dem Faschismus, wie man jetzt sagte. Auf dem Gipfelpunkt der Revolte ging es um ein vermeintlich höheres Ziel: um den Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus.
Der Einfluss der Achtundsechziger wird also überschätzt?
Man muss differenzieren. Für die grosse Mehrheit gilt: Sie hob die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen – der Begriff Holocaust kommt ja erst nach der gleichnamigen amerikanischen Serie 1979 in den deutschen Sprachraum – wissenschaftlich und gesellschaftlich auf eine neue Stufe. Das beginnt aber erst richtig in den achtziger Jahren. Wenn wir in diesen Tagen auf die KZ-Gedenkstätten schauen und auf die Feierlichkeiten in Gegenwart der letzten Überlebenden, dann schauen wir auch auf die Leistungen und das Engagement der Achtundsechziger. Daneben fällt aber auch auf, dass unter den neuen Rechten der achtziger und neunziger Jahre und unter den späteren Vordenkern der AfD nicht wenige einstige Achtundsechziger zu finden sind.
Die Opfer der Nazis fanden bei der sogenannten Vergangenheitsbewältigung erst relativ spät eine Stimme. Wieso?
Erst mit dem Meisterwerk von Saul Friedländer, «Das Dritte Reich und die Juden» von 1998, kommt ein breit wahrgenommener Perspektivwechsel. Seitdem ist eigentlich für jeden, der sich mit der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden beschäftigt, klar, dass eine Geschichtsschreibung ohne die Stimmen der Opfer unzureichend ist. Aber das heisst nicht, dass nicht schon davor einzelne autobiografische Zeugnisse und Berichte publiziert worden wären. «Das Tagebuch der Anne Frank» wird ja schon in den fünfziger Jahren ein Welterfolg, Primo Levis «Ist das ein Mensch?» erscheint 1961 erstmals auf Deutsch. Allerdings war die Bereitschaft, sich mit dem Werk des italienischen Auschwitz-Häftlings auseinanderzusetzen, damals in der Bundesrepublik noch gering. Die Zeitgenossen des NS-Regimes suchten das konkrete Grauen auf Distanz zu halten, stattdessen war von «Todesfabriken» und einem anonymen «System der Massenvernichtung» die Rede, vom bürokratischen Prozess und vom arbeitsteiligen Räderwerk des Mordens.
1986 brach ein Streit zwischen konservativen und liberalen Historikern über die Frage aus, ob der Holocaust eine Reaktion auf den stalinistischen Gulag gewesen sei oder ein singulärer Zivilisationsbruch. Darf man den Holocaust mit anderen Massenmorden vergleichen?
Wer sollte das in einer Demokratie verbieten? Wie jedes historische Ereignis kann man den Holocaust mit anderen historischen Ereignissen vergleichen. In diesem Fall gibt es sogar eine geschichts- und sozialwissenschaftliche Subdisziplin: die vergleichende Genozidforschung. Wie sinnvoll und wie erkenntnisreich ein Vergleich ist, hängt von der Qualität der Forschung ab. Aber natürlich gab es immer schon und gibt es immer wieder auch Versuche, die Präzedenzlosigkeit des Holocaust zu relativieren: durch Gleichsetzungen, etwa mit dem Genozid an den Armeniern, oder indem man, wie Ernst Nolte im besagten Historikerstreit, nach dem «faktischen Zuerst» fragt und glaubt, dieses im «‹Klassenmord› der Bolschewiki» entdeckt zu haben.
Der «Westen» entstand nach 1945 als transatlantische Allianz. Mit Donald Trump im Weissen Haus kommt diese Verbindung, die den Kalten Krieg und die Zeit seit 1989 prägte, an ein Ende. Verändert sich dadurch unser Blick auf 1945?
Wie es mit der transatlantischen Allianz weitergeht, ist hoffentlich noch nicht ausgemacht. Es wird auch eine Zeit nach Trump geben, in der manches vielleicht wieder zurechtgerückt werden kann. Aber es bleibt natürlich die Erkenntnis, dass nichts in der Geschichte auf ewig ist. Auch eine Allianz nicht, die älter ist als die meisten heute lebenden Deutschen und Amerikaner. Und es bleibt die Erkenntnis, wie unwahrscheinlich – angesichts des vorangegangenen Horrors des Krieges – das nach 1945 entstandene transatlantische Bündnis war.
Der Begriff des Faschismus wird heute inflationär benutzt. Selbst renommierte Historiker wie Timothy Snyder sehen in Figuren wie Putin, aber auch Trump die Gefahr eines neuen Faschismus am Horizont. Wie beurteilen Sie das?
Ich verstehe, dass man die Persönlichkeit und die Politik von Figuren wie Putin und Trump – in ihren Ähnlichkeiten wie in ihren Unterschieden – analytisch fassen will, und ich sehe auch, wo man Parallelen zu faschistischen Führern der Zwischenkriegszeit sucht. Aber ich sehe doch auch viele grundlegende Unterschiede in den politischen Rahmenbedingungen und in der Verfasstheit der Gesellschaften damals und heute: etwa die für eine faschistische Herrschaft charakteristische Massenbewegung, die ihren Führer trägt. Was mir am ehesten einleuchtet, ist der Versuch, das Neuartige der digitalen Kommunikations- und Kontrollmöglichkeiten mit der aus den dreissiger Jahren bekannten Verformung von Öffentlichkeit zusammenzudenken. Das könnte sich tatsächlich zu einer Form von «Digitalfaschismus» entwickeln.
Nach Umfragen ist die AfD heute die wählerstärkste Partei Deutschlands. Björn Höcke fordert eine «erinnerungspolitische Kehrtwende um 180 Grad» und bezeichnet das Holocaust-Mahnmal als «Denkmal der Schande». Zeichnet sich bei den Deutschen eine revisionistische Neubewertung von Krieg und Holocaust ab?
Die AfD, ich habe es schon gesagt, ist erfolgreich in ihrem Bemühen, aus den gesellschaftlich zweifellos vorhandenen Ressentiments gegen die unabschliessbare, weil für nachwachsende Generationen ja immer wieder neu zu ermöglichende Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit Kapital zu schlagen. Aber immer noch wählen mehr als zwei Drittel der Deutschen auf Bundesebene demokratische Parteien – wie wichtig das ist, haben wir vorgestern bei der Kanzlerwahl im Bundestag gesehen –, und diese Parteien stehen bis heute doch ziemlich einhellig für das, was hierzulande in dem Begriff der «Erinnerungskultur» gefasst ist. Auch wenn es mir lieber wäre, wir würden von kritischem Geschichtsbewusstsein reden und von historischer Urteilskraft, die immer wieder neu geschärft werden muss.
Wie verändert sich das Andenken an diese Katastrophe, wenn die Zeitzeugen tot sind und ein wesentlicher Teil der Gesellschaft aus Nachkommen von Einwanderern besteht, deren Vorfahren mit den Verbrechen von damals nichts zu tun hatten?
Zum einen bedeutet das biologische Ende der Zeitgenossenschaft zum Nationalsozialismus ja nicht, dass wir die Zeugnisse der Zeitzeugen verlieren: Ihre Schriften, ihre mündlichen Berichte, ihre Interviews und Reden – es ist ja alles da, bis hin zu den virtuellen Aufzeichnungen, die sich einige der Überlebenden in den letzten Jahren zugemutet haben. Zum anderen halte ich es mit Jürgen Habermas, der im Zusammenhang mit der Debatte um eine stärkere Beachtung der Kolonialgeschichte zu Recht festgestellt hat, unsere politische Kultur müsse sich erweitern, damit sich Zuwanderer «mit ihrem Erbe und gegebenenfalls auch ihrer Leidensgeschichte darin wiedererkennen können». Und weiter sagt er: «Mit dem Erwerb der Staatsbürgerschaft akzeptieren die neuen Bürger die politische Kultur und das geschichtliche Erbe unseres Landes; davon ist die Ächtung des Antisemitismus ein unverzichtbarer Kern.» Ich denke, damit ist die Aufgabe historisch-politischer Bildung präzise umrissen.
Experte für die Geschichte des Nationalsozialismus
Der 70-jährige Norbert Frei zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern Deutschlands. Er ist Professor em. für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena und Autor von Standardwerken über den Nationalsozialismus, zum Beispiel «Der Führerstaat». In diesem Frühjahr erschienen von ihm das Buch «Einreden. Zu Zeitgeschichte und Zeitgenossenschaft» (Wallstein-Verlag) sowie die Neuausgabe von «1945. Photo-Ikonen eines Jahres» (Schirmer/Mosel-Verlag).