Pharmakonzerne haben das Geschäft mit Antibiotika reihenweise verlassen. Doch nun keimen in der Branche Hoffnungen auf, dass es wieder lukrativ werden könnte.
Die Namen grosser Pharmafirmen, die der Erforschung neuer Antibiotika treu geblieben sind, lassen sich an einer Hand ablesen. Das sind die beiden amerikanischen Konzerne Pfizer und Merck & Co., das japanische Unternehmen Shionogi sowie Roche und GlaxoSmithKline (GSK) aus Europa. Doch selbst sie halten das Geschäft mit Antibiotika seit Jahren auf Sparflamme, während sich zugleich immer mehr Anbieter wie Novartis, AstraZeneca und Eli Lilly aus dem Markt verabschiedet haben.
Talsohle durchschritten?
Das Geschäft ist zu wenig lukrativ geworden. Wegen der starken Konkurrenz durch günstige Generika befinden sich die Preise bis heute im Keller. Mittlerweile keimen in der Branche aber trotz allem Hoffnungen auf, dass der Antibiotikamarkt die Talsohle durchschritten hat. «Die Zeiten, als sich kaum mehr jemand im Pharmasektor dafür interessierte, sind vorbei», sagt Marc Gitzinger, der Chef des Basler Biotechnologieunternehmens Bioversys.
Die Firma gehört selbst zu den wenigen verbliebenen Spezialisten in der Erforschung neuer Antibiotika. 2010 als Spin-off der ETH gegründet, hat sie es geschafft, seither 85 Millionen Franken von Investoren einzusammeln. Knapp 30 Millionen kamen aus staatlichen Fördertöpfen der USA und der EU dazu. Die jüngste Geldspritze traf beim Unternehmen erst diese Woche ein und stammt von GSK.
Mit dem britischen Pharmakonzern hat Bioversys erstmals einen Medikamentenhersteller als Aktionär gewonnen. Bisher engagierten sich ausschliesslich Privatanleger und Finanzinvestoren – unter ihnen auch der AMR Action Fund, der sich der Förderung von Unternehmen im Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen verschrieben hat.
Vielversprechende neue Finanzierungsmodelle
Resistenzen sind beim Einsatz von Antibiotika zu einem grossen Problem geworden. Weil Patienten nicht mehr auf die zumeist jahrzehntealten Wirkstoffe ansprechen, gibt es bei Infektionen immer mehr schwere Krankheitsverläufe und sogar Todesfälle. «Wir riskieren, eine der wichtigsten Klassen von Medikamenten langsam, aber sicher zu verlieren», sagt Gitzinger. Nach seiner Einschätzung wächst in der Pharmabranche ebenso wie in politischen Kreisen aber die Erkenntnis, dass dringend etwas unternommen werden muss, um die Entwicklung neuer Antibiotika wieder lukrativer zu machen.
Als vielversprechend stuft der Chef von Bioversys neue Finanzierungsmodelle für den Antibiotika-Einsatz ein. So hat sich Grossbritannien bereit erklärt, für die jährliche Versorgung mit neuen Wirkstoffen in diesem Bereich umgerechnet über 20 Millionen Franken pro Produkt zu bezahlen. Die Anbieter erhalten dadurch garantierte Einnahmen über einen Zeitraum von zehn Jahren. Gitzinger bezeichnet den Ansatz, der wie ein Netflix-Abo funktioniere und es dem Käufer überlasse, wie stark er es nutzen wolle, als Win-win-Situation. Um nicht durch eine übertriebene Verwendung die Bildung weiterer Resistenzen zu fördern, sind Staaten gut beraten, neuartige Antibiotika sparsam einzusetzen.
Tödliche Gefahr Tuberkulose
Bioversys und GSK kennen sich bereits aus acht Jahren gemeinsamer Forschungstätigkeit bei einem potenziellen neuen Wirkstoff gegen Tuberkulose. Auch Tuberkulosepatienten sind stark von Resistenzen gegen Antibiotika betroffen. Die Infektionskrankheit, deren Fallzahlen wegen kriegsbedingter Flüchtlingsströme in den vergangenen Jahren auch in Europa stark gestiegen sind, verursachte 2022 weltweit 1,3 Millionen Todesfälle.
Laut Gitzinger hat sich der neue Wirkstoff in einer Phase-II-Studie initial als wirksam gezeigt, wobei die Resultate erst gegen Ende Jahr publiziert vorliegen werden. Als Nächstes gilt es für das kleine Unternehmen mit zurzeit erst 25 Mitarbeitern, die abschliessende Phase-III-Studie durchzuführen. Dieselbe Herausforderung stellt sich Bioversys bei einem weiteren Antibiotikum, das zur Behandlung von Spitalinfektionen erprobt wird.
All das wird viel Geld kosten. Der Firmenchef rechnet mit weiteren gut 110 Millionen Franken. Die Mittel könnten durch weitere Finanzierungsrunden, die Auslizenzierung von Produkten oder durch einen Börsengang beschafft werden. Sämtliche Optionen würden gegenwärtig geprüft, sagt Gitzinger.