Die USA setzen ihre Interessen zunehmend mit der Macht des Stärkeren durch. Das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union wird zu Unrecht schlechtgeredet.
Innert kurzer Zeit hat der amerikanische Präsident Donald Trump mit seinem Zollkrieg manch eine Annahme widerlegt. Die Schweiz hat sich in Washington vergeblich Hoffnungen auf eine Sonderbehandlung gemacht. Trumps Zoll-Zauberformel ist für alle dieselbe – hohe Schweizer Investitionen in den USA, einseitige Abschaffung der Industriezölle und Gute Dienste in Iran hin oder her. Nicht einmal Israel, dessen Ministerpräsident Benjamin Netanyahu Trump seit dessen Amtsantritt bereits zwei Mal traf, ist es gelungen, etwas herauszuholen.
Immerhin hat Trump die «reziproken Zölle» für 90 Tage ausgesetzt, wobei der Grundzoll von 10 Prozent für alle in Kraft bleibt. Der Schweiz und der Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (FDP) ist es nach Anlaufschwierigkeiten gelungen, einen ersten Kontakt zum Weissen Haus aufzubauen. Die USA bleiben für die Schweiz wichtig, wirtschaftlich, politisch und militärisch. Die Trump-Regierung nun wie die SP als «neofaschistisches Regime» zu beschimpfen, ist deplatziert – und hat einen schalen Beigeschmack. Exponenten der Partei beklatschten vor nicht so langer Zeit noch das sozialistische Regime, das Venezuela ruiniert und zu einem Massenexodus geführt hat.
Doch Bern darf sich keinen Illusionen hingeben. Die Ausfuhren in die USA sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen – so stark dass diese Deutschland als wichtigstes einzelnes Exportland abgelöst haben. Das rächt sich nun: Die Schweiz ist von Trumps Strafmassnahmen überproportional betroffen. Dessen Obsession mit Handelsbilanzdefiziten dürfte während seiner ganzen zweiten Amtszeit nicht verschwinden. Selbst wenn sich der Zollstreit im optimistischen Szenario in den nächsten Wochen vorderhand lösen lässt, ist das Vertrauen in die USA beschädigt. Diese erweisen sich zunehmend als schwieriger und unberechenbarer Partner, mindestens bis zur nächsten Präsidentenwahl.
EU-Skeptiker verwiesen bis vor kurzem gerne auf den boomenden Aussenhandel mit den USA, der weiteres Wachstumspotenzial habe. Auf diese Karte darf die Schweiz auf absehbare Zeit nicht mehr setzen. Mit der zunehmenden Blockbildung dürfte auch der Handel mit China schwieriger werden, zumindest für gewisse Sektoren.
Diskrepanz zwischen den USA und der EU
Im Handelskonflikt mit den USA zeigt sich, wie eigentümlich das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union ist. Nur schon wegen der kleinsten Wortmeldung aus Brüssel drehen hierzulande manche im roten Bereich. Zweifellos kann die EU ebenfalls eine mühsame Partnerin sein. Sie hat Bern beim Bankgeheimnis wie Washington unter Druck gesetzt. Im Ringen um das Rahmenabkommen griff sie zu unwürdigen Methoden und verweigerte die Börsenäquivalenz. Nach dem Aus für den Vertrag schloss die EU die Schweiz vom Forschungsprogramm aus, obwohl diese als innovativstes Land Europas gilt.
Politiker reagierten empört. Die SVP verurteilte das «erpresserische, imperialistische Auftreten» bei der Börse scharf. So gehe man nicht mit souveränen Staaten um. Im Zollstreit mit den USA sind die bei der EU lautesten Stimmen nun auffallend kleinlaut. Manche vermuteten blauäugig, die hohen Zölle seien auf ein Missverständnis zurückzuführen – auch wenn Washington für jedes Land lediglich dieselbe Milchbüchleinrechnung gemacht hat. Die Diskrepanz der Reaktionen ist frappierend. Ergriffe die EU gegen die Schweiz nur die Hälfte von Trumps Strafmassnahmen, würden Rechte umgehend fordern, der Gotthardtunnel müsse für europäische Lastwagen gesperrt werden.
Die ungemütliche handels- und geopolitische Lage sollte der Anlass sein, das Verhältnis zur EU nüchterner und realistischer zu sehen. Es ist falsch, diese zu verteufeln. Trotz einigen Unzulänglichkeiten ist die europäische Integration eine Erfolgsgeschichte, ohne die Europa schwächer wäre. Errungenschaften wie der freie Reiseverkehr und der partielle Zugang zum Binnenmarkt sind hierzulande zur Selbstverständlichkeit geworden.
Die EU ist eine berechenbare Nachbarin, die sich an vertraglich vereinbarte Regeln hält. Die bilateralen Marktzugangsabkommen in ihrer heutigen Form umfassen keine Verpflichtung, diese aufzudatieren – wenngleich die Weigerung Brüssels kaum dem Zweck der Verträge entspricht. Die Schweiz hat auch keinen Anspruch, ans Forschungsprogramm der EU assoziiert zu werden. Bei der Börse und anderswo, wo keine Verträge bestehen, ist Bern in der Bittstellerposition. Es ist ein einseitiger Entscheid der EU, eine Regulierung als gleichwertig zu akzeptieren oder nicht.
Vor allem aber hat die EU mit der Schweiz viel Geduld. Seit dem Jahr 2008 versucht sie schon, dieser klarzumachen, dass die bilateralen Marktzugangsabkommen ohne verbindliche Spielregeln für Streitfälle und bei der Rechtsübernahme und Rechtsanwendung keine Zukunft haben. Wenn die USA etwas wollen, setzen sie ihre Interessen mit dem Recht des Stärkeren durch, im Handelskonflikt und früher schon im Streit um die nachrichtenlosen Gelder.
Die EU agiert geschickter
Die EU hat sich im Handelskonflikt mit den USA bis anhin geschickt verhalten. Gemäss Karin Keller-Sutter hat die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen frühzeitig versichert, die Schweiz von Gegenmassnahmen der EU auszunehmen. Diese und die Schweiz sprechen sich in der USA-Politik offensichtlich ab. Keller-Sutter war auch ans Treffen der EU-Finanzminister eingeladen. Während Trumps erster Amtszeit gab es für die Schweiz dagegen keine Ausnahme, als Brüssel mit Gegenmassnahmen auf die amerikanischen Zölle auf Stahl und Aluminium reagierte. Dies zeigt, dass die EU daraus gelernt hat und auf Interessen der Schweiz Rücksicht nimmt.
Das sollte sie auch weiterhin tun, um den innenpolitischen Prozess für die neuen Verträge, die Bern und Brüssel ausgehandelt haben, nicht zu stören. Gewiss haben diese in der Schweiz keinen einfachen Stand. Doch ihre Notwendigkeit sehen inzwischen mehr.
Trumps Machtpolitik ist dabei nur ein Faktor. Die grundsätzliche Einigung der Sozialpartner, die Bundesrat Guy Parmelin (SVP) und Staatssekretärin Helene Budliger bei der Absicherung des Lohnschutzes erzielt haben, umfasst zwar auch fragwürdige Eingriffe in den liberalen Arbeitsmarkt. Sie ist aber ein erster Schritt zur Reaktivierung der alten europapolitischen Allianz von der FDP über die Mitte bis zur SP und zu den Gewerkschaften. Die Spitze der Sozialdemokraten hat schon länger begonnen, die überragende Bedeutung vertiefter Beziehungen zur EU zu betonen, statt sich im Klein-Klein des Lohnschutzes zu verlieren. Wenn vor dem Sommer die Vertragstexte vorliegen, können sich auch die Mitte und die FDP nicht um einen klaren Positionsbezug drücken.
In den grossen Konturen ist absehbar, was die Schweiz in den Verhandlungen erreicht hat. Sie konnte der EU einige überraschende Erfolge abringen. So wollte diese zunächst nicht über eine Konkretisierung der bestehenden Schutzklausel gegen eine übermässige Zuwanderung reden.
In der Schweiz hat die politische Konfliktlösung zwar traditionell Vorrang vor der rechtlichen Streitbeilegung. Doch gerade in der neuen Weltunordnung kann es zum Vorteil der kleineren Partei sein, Spielregeln zu haben, die für beide Seiten verbindlich sind. Der Konflikt wird damit in geordnete Bahnen gelenkt. Lehnt die Schweiz eine Rechtsübernahme ab oder wendet sie in den Augen der EU einen Rechtsakt falsch an, kann diese nicht wie heute die Zukunft der Bilateralen grundsätzlich infrage stellen.
Der tatsächliche «Kolonialvertrag»
Es handelt sich denn auch nicht um einen «Kolonialvertrag», wie Kritiker weismachen wollen. Wer einen solchen sucht, wird beim Rohstoffabkommen fündig, das die USA mit der Ukraine anstreben. Die Dimension des Vertragspakets mit der EU darf jedoch auch nicht kleingeredet werden, wie es manche Befürworter der Bilateralen III tun. Es handele sich um einen institutionell und rechtskulturell bedeutenden Schritt, schreibt der Europarechtler Matthias Oesch in der Neuauflage seines Buches zur Schweiz und zur EU.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH), der bei der rechtlichen Streitbeilegung eine wesentliche Rolle spielt, legt seine Kompetenzen eher extensiv als zurückhaltend aus. Umso wichtiger ist, dass es Bern tatsächlich gelungen ist, den Einfluss des EuGH vertraglich auf ein Minimum zu begrenzen. Die Schweiz hat schon länger eine spezielle Beziehung zur EU, indem sie kein Mitgliedsstaat ist, aber in ausgewählten Bereichen ähnlich wie ein Mitgliedsstaat mitmacht – auch wenn dies hierzulande gerne verdrängt wird. Die geplanten Verträge erlauben es, diese ungewöhnliche Beziehung fortzusetzen und auszubauen.
Die Volksabstimmung dürfte frühestens 2028 erfolgen. Bis dann kann in der Aussenpolitik noch viel passieren. Doch schon vor Trump war absehbar, dass die Absicherung und Vertiefung der Beziehungen zur EU wieder ein grösseres Gewicht erhält. Gerade die Unberechenbarkeit der USA zeigt nun, wie hilflos die Schweiz als kleiner, aber wirtschaftlich starker Staat ist, wenn ein Grosser die Regeln einseitig neu definiert.