Journalisten und politische Gegner beten die immergleichen Vorwürfe gegen den CDU-Chef her. Das ist viel bequemer, als sich inhaltlich mit ihm auseinanderzusetzen.
Es gibt politische Konkurrenten, Journalisten und Demoskopen, die den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz für eine persongewordene Beleidigung ihrer Anti-rechts-Empfindsamkeit zu halten scheinen. Sie sprechen stets abfällig von der (selbstverständlich «rechten») «Merz-CDU» und werden nicht müde, eine immergleiche Liste von Klischees über den Unions-Kanzlerkandidaten persönlich vorzutragen, bevor es überhaupt um dessen Politik geht.
Der renommierte Meinungsforscher Manfred Güllner beispielsweise wiederholt in Kommentaren zu seinen Umfragezahlen ein ums andere Mal, dass es Merz ja nicht gelinge, bei den Beliebtheitswerten von der Schwäche des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Olaf Scholz zu profitieren. Ergo: der falsche Kandidat!
Güllner übersieht dabei allerdings, dass die Zustimmung zur Person nur einen begrenzten Prognosewert für das Wahlergebnis der Partei hat: 2005 wünschten sich mehr als 60 Prozent der Deutschen den Sozialdemokraten Gerhard Schröder als Bundeskanzler, weniger als 40 Prozent waren für seine Herausforderin Angela Merkel. Trotzdem ging die Union knapp vor der SPD ins Ziel, die Christlichdemokratin Merkel wurde Kanzlerin.
Kohls Attacke auf den Eierwerfer
Journalisten von deutschen Leitmedien wie «Spiegel» oder «Zeit» ziehen, wenn sie über Friedrich Merz schreiben, mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmte Stereotype vor die Klammer: Merz sei ein Ewiggestriger, hänge in den neunziger Jahren fest, stehe für marktradikale Politik. Es mangele ihm, im Gegensatz zu Olaf Scholz, an Regierungserfahrung – und sein Temperament sei unberechenbar.
Nun ist Merz bei Parteifreunden und Journalisten durchaus bekannt für den gelegentlich ruppigen Ton eines eher traditionellen Wirtschaftsbosses. Es fehlen allerdings Belege dafür, dass er stärker aus der Haut fahren kann als sein grosser Amtsvorgänger, der Christlichdemokrat Helmut Kohl. Dessen wilde Attacke auf einen Juso-Eierwerfer wurde zur Legende.
Merz’ innerparteiliche Gegner, vornehmlich aus den schwarz-grün regierten Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, erzählen die Klischees gern weiter und fügen hinter vorgehaltener Hand noch folgende Komponente hinzu: Mit seiner (gestrigen, marktradikalen, unberechenbaren) Art sei Friedrich Merz natürlich besonders für weibliche Parteimitglieder und für Wählerinnen eine Zumutung.
Die SPD, die mit Olaf Scholz einen der unbeliebtesten Bundeskanzler aller Zeiten stellt und bei den kommenden Bundestagswahlen hart um Platz zwei wird kämpfen müssen (gegenwärtig kommt sie mit 16 Prozent knapp auf die Hälfte der Umfragewerte für die Union), scheint erleichtert zu sein, mit der «Merz-CDU» nun eine Chiffre für das Böse schlechthin gefunden zu haben.
Bundeskanzler Scholz lächelt mokant
Der Kanzler selbst sagte bei verschiedenen Anlässen, wie gut es ihm passe, dass Merz sein Gegenkandidat sei, und lächelte dabei mokant. Es sah jeweils so aus, als wollte er zeigen, dass er vor dem (gestrigen, marktradikalen, unbeherrschten) Mann ohne Regierungserfahrung nun wirklich keine Angst habe. Da Scholz aber manchmal dazu neigt, das Gegenteil von dem zu sagen, was ihn mutmasslich bewegt – zum Beispiel «Respekt», wenn das, was er tatsächlich vorführt, Überheblichkeit ist –, kann man sich nicht ganz sicher sein, ob er wirklich froh oder doch besorgt ist.
Der neue Generalsekretär der Sozialdemokraten, der bisherige stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Matthias Miersch, betonte in praktisch jedem Interview zu seinem Amtsantritt, er habe «nichts, wirklich gar nichts zu tun mit dieser Merz-CDU». Diese «Merz-CDU» verkörpere vielmehr, so sagt er, «alles, für das ich nicht stehe».
Nun wäre es auch ein wenig verwunderlich, wenn die politische Agenda eines unbestreitbar eher konservativen Christlichdemokraten und die eines linken Sozialdemokraten identisch wären. Hier hat offenbar die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem Mitte-Kurs und ihrer Strategie der «asymmetrischen Demobilisierung» für einige Verwirrung in den sozialdemokratischen Köpfen gesorgt.
Über die politische Konkurrenz darf man schlecht reden
Tatsächlich sollte die SPD dankbar sein, dass Merz mit einem konservativ-liberalen Kurs der Union wieder für die Unterscheidbarkeit der politischen Lager sorgt. War es doch gerade das Gefühl, die grosskoalitionären Parteien steckten mehr oder weniger unter einer Decke, welches populistische Anti-Establishment-Parteien wie die Alternative für Deutschland oder das Bündnis Sahra Wagenknecht gross gemacht hat.
Die Verächtlichmachung der Person von Friedrich Merz und die Abarbeitung an der «Merz-CDU» kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie schwer es der SPD selbst fällt, eine moderne Politik für abhängig Beschäftigte und für jene Menschen zu formulieren, die nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurden. Scholz’ vielbeschworene Regierungserfahrung, die Leistungen seiner Streit-Koalition und sein eigener, nur allzu berechenbarer Charakter machen jedenfalls, wenn man die Zustimmung zur deutschen Sozialdemokratie betrachtet, gerade nicht allzu viel her.
Selbstverständlich darf man im Wahlkampf schlecht über die politische Konkurrenz reden. Das kann sogar sehr unterhaltsam sein, wenn einem etwas Intelligentes oder Deftig-Witziges einfällt. Der frühere FDP-Vorsitzende Thomas Dehler soll vor langer Zeit über den Adenauer-Vertrauten Walter Hallstein gesagt haben, der sei ein Mann «ohne Hirn und Hoden». Eine andere Überlieferung lautet: «ohne Herz und Hoden».
Hirn, Herz und Hoden sind als Qualifikationskriterien natürlich nur auf männliche Kanzlerkandidaten anwendbar, aber: Es könnte Spass machen, darüber nachzudenken, wie sie sich auf Friedrich Merz und Olaf Scholz verteilen.