Bei der Rückkehr nach Schanghai wird der Sauber-Pilot Zhou Guanyu gefeiert wie der Dauersieger Max Verstappen. Zhou ist der erste Chinese, der an einem Formel-1-Rennen in der Heimat teilgenommen hat.
Mit gut 70 Sekunden Rückstand auf Max Verstappen kommt Zhou Guanyu auf die Zielgerade, aber dennoch geniesst der Sauber-Rennfahrer ein Privileg, das sonst nur Siegern vergönnt ist. Zhou hat einen eigens ausgewiesenen Parkplatz, direkt auf der Zielgeraden des Shanghai International Circuit, vor der mächtigen und vollen Haupttribüne.
Der Jubel übertrifft bei weitem den für Verstappen, die Ovationen sind so gross, dass sie den 24 Jahre alten Rennfahrer zu erdrücken scheinen. Zhou geht auf die Knie, blickt zur jubelnden Masse, und er schämt sich seiner Tränen nicht. Tatsächlich ist dieser 14. Platz im fünften Rennen der Saison ein historischer Moment.
Zum ersten Mal hat auf chinesischem Boden ein Einheimischer an einem Formel-1-Grand-Prix teilgenommen, da spielt das Ergebnis keine wirklich so grosse Rolle. Schon bei jedem Überholmanöver im unübersichtlichen Hinterfeld eines durch zwei Safety-Car-Phasen durcheinandergewürfelten Rennens schwoll der Geräuschpegel an, und das hatte wohl auch seine Auswirkungen auf den Fahrer Zhou. «Ich habe mir die Seele aus dem Leib gefahren, um meinen Lebenstraum zu verwirklichen», sagte er. Im Sprintrennen am Samstag war er als Neunter knapp am ersten Punkt der Saison vorbeigeschrammt.
Zhou war als junger Fan schon an der Rennstrecke von Schanghai
Zweieinhalb Jahre hat Zhou auf den grossen Tag gewartet, endlich ein Heimspiel zu haben, an jenem Ort, an dem er 2004 als Fan von Fernando Alonso und Michael Schumacher erstmals mit der Königsklasse konfrontiert worden war und sofort sein Herz an den Motorsport verloren hatte.
Seit 2019 hat die Formel 1 nicht mehr Station gemacht in dem riesigen Motodrom, inzwischen sind die Hochhäuser des Vorstadtbezirks von Jiading noch ein wenig näher gerückt. Eine Reise ins Ungewisse für den Grand-Prix-Tross, schliesslich waren die sportlichen Machtverhältnisse beim letzten Auftritt 2019 noch ganz andere: Lewis Hamilton war der überlegene Sieger, der heutige Dominator Max Verstappen bloss Fünfter, und die Fahrzeuggeneration war ebenfalls komplett anders.
Wenig Trainingszeit durch ein Sprintrennen, wechselnde Wetterbedingungen und eine schwer zu kalkulierende Reifennutzung sorgten bei der Rückkehr für weitere Sorgen bei den Strategen. So konnte sich am Ende Lando Norris im McLaren überraschend zwischen Max Verstappen und Sergio Pérez von der Red-Bull-Fraktion auf das Podest schieben, das Ferrari-Duo mit Charles Leclerc und Carlos Sainz dahinter war ebenso chancenlos wie die Mercedes-Fahrer George Russell und Lewis Hamilton auf sechs und neun.
Fernando Alonso als enttäuschter Siebenter konnte immerhin die schnellste Rennrunde verbuchen. Für Verstappen war es nach dem Sieg im Sprint und der Pole-Position, der hundertsten insgesamt von Red Bull in der Formel 1, der vierte Saisonerfolg im fünften Rennen. Der Teamberater Helmut Marko frohlockt angesichts der Überlegenheit: «Wir können bereits an den nächsten Titel denken.»
Die Formel 1 ist nicht mehr auf grosszügige chinesische Startgelder angewiesen
Zwanzig Jahre nach dem Debüt des Grossen Preises von China, der damals als Prestigeprojekt der Stadtregierung galt und international als Eroberung des kommunistischen Reichs durch einen zutiefst kapitalistischen Sport gefeiert wurde, hat sich die Ausgangslage drastisch geändert. Fünf Jahre Abschottung durch die Pandemie haben viel verändert, nicht nur sportlich und technisch.
Die Boom-Disziplin Formel 1 ist nicht mehr so sehr wie damals auf die grosszügigen Startgelder aus China angewiesen, sie verdient inzwischen so gut und ist fast überall willkommen. Vor allem, seit die arabischen Länder, ähnlich wie damals die chinesischen Machthaber, über einen Platz im exklusiven Rennzirkel an Image gewinnen wollen.
Die Gastgeber, längst der grösste Autoabsatzmarkt der Welt, drücken wirtschaftliche Sorgen. Sie pflegen zwar den Nationalstolz in der Technologie als führende Macht in der Elektromobilität, aber die Inlandsnachfrage schwächelt ebenso wie ausländische Investitionen. Der Motorsport soll helfen, das Geschäft wieder anzukurbeln. Momentan braucht China die Formel 1 mehr als umgekehrt.
Dank Zhou ist der GP im Nu ausverkauft
Einen von nur zwanzig Stammfahrern zu stellen, tut da gut. Zhou hat sein Cockpit seiner Ausbildung in englischen Nachwuchsformeln zu verdanken, er ist damit schneller weitergekommen als der ehemalige BMW-Fahrer Ho-Pin Tung oder dessen Landsmann Ma Qinghua, der in den 2010er Jahren ebenfalls noch nicht weit genug für den grossen Sprung war, damals aber immerhin an vier Freitagstrainings in der Formel 1 teilgenommen hatte.
Zhou zeigt hingegen, dass er mit den Besten mithalten kann, er hat eben nur kein besseres Auto. Eine Sponsorenmitgift hat ihm den Platz im Hinwiler Sauber-Team beschert und gesichert, dennoch könnte der erste Auftritt vor heimischem Publikum auch der letzte gewesen sein.
Solche Spekulationen spielen angesichts der allgemeinen Begeisterung für einmal keine grosse Rolle: «Ich war in dieser Woche wohl der am meisten beschäftigte Mann in Schanghai», sagt der Sauber-Fahrer, der zur beliebten Werbefigur wurde. Wo früher die Tribünen durch Schulklassen und Militärangehörige aufgefüllt werden mussten, waren die Tickets diesmal im Nu ausverkauft.
Angesichts der neu entfachten Begeisterung wünscht sich Zhou, dass künftig mehr chinesische Talente den Weg in den Top-Motorsport schaffen. Doch Nachfolger sind bis jetzt nicht in Sicht, Sport- und Tourenwagenrennen entsprechen wohl eher dem Massengeschmack. Immerhin wurde Zhou Guanyu eine eigene Dokumentation im chinesischen Fernsehen gewidmet. Deren Titel lautet: «Der Allererste.»