Die Renditen von Schweizer Anleihen bewegen sich Hand in Hand mit ihren US-Pendants. Dennoch bleibt die Analyse des heimischen Markts wichtig, denn bei den für Anleger wichtigen Realzinsen sind die Unterschiede deutlich.
Die Zinsen in der Schweiz sind bereits wieder mikroskopisch klein, leider. Für einen zehnjährigen Eidgenossen, der zwar weitgehend frei ist von Ausfallrisiken, aber eine Duration von happigen 9,6 Jahren aufweist, erhalten Sie nicht einmal 0,5% Rendite – vor Steuern, Gebühren und Handelsspanne notabene. Also eigentlich fast nichts. Sollten die Zinsen innerhalb eines Jahres aus irgendeinem Grund um 1% steigen, dann verlieren Sie inklusive Coupon und Konvexität 7,5% auf dieser Anleihe.
Zinslose Risiken also statt risikolose Zinsen, wieder einmal. Und die Schweizer Leitzinsen sind bei 1% und drohen schon bald weiter zu fallen. Wie gut haben es da die Amerikaner mit einem Leitzins von 4,75% und einer Rendite von 3,7% für den zehnjährigen Treasury, eine andere Welt. Der Schweizer und der amerikanische Zinsmarkt haben also nichts miteinander zu tun, könnte man folgern. Aber schauen Sie doch mal auf die Korrelation des Monats:
Wir haben hier mit einem statistischen Verfahren («Skalentransformation») die Zehnjahreszinsen der Schweiz und der USA vergleichbar gemacht. Wir haben beide Datenreihen normalisiert und so quasi die Essenz oder das Mark der beiden Zinstrends extrahiert.
Und siehe da: Schweizer und amerikanische Zinsen weisen für die gewählte Periode eine Korrelation von sagenhaften 0,7 auf, wobei die Skala von +1 (perfekt positiv korreliert) über null (nicht korreliert) bis -1 (perfekt negativ korreliert) reicht.
Übrigens korrelieren die Zinsen mit 0,7, egal ob normalisiert oder nicht, es ist also kein Taschenspielertrick. Die Schweizer Zinsen ähneln also frappant den amerikanischen. Die ermittelte Korrelation ist viel zu hoch, um ignoriert werden zu können.
Da stellt sich die Frage: Reicht die Analyse des Leitmarkts USA auch für den Schweizer Anleihenmarkt? Kann man sich also die Prognose für die heimische Inflation, Leitzinsen, Zinskurven und die Analyse der Aussagen von Noch-SNB-Präsident Thomas Jordan sparen?
Es gibt gute Argumente, diese Frage zu bejahen:
Zunächst zur Beantwortung der Frage, welcher Zinsmarkt den anderen beeinflusst. Klare Sache, oder?
Nicht unbedingt, denn die beiden Datenreihen liefern die höchste Korrelation in Echtzeit, die USA sind zwar der Leitmarkt, aber kein Leading Indicator, leider, denn das wäre ein Free Lunch für mich als Anleger. Dies spricht für die These eines globalisierten Zinsmarktes, der die Informationen schnell in alle Teilmärkte einpreist.
Die wichtigsten Treiber der Bondmärkte sind Inflation und Zentralbanken. Die Konsumentenpreisindizes beider Länder werden von Energiepreisen und Lebensmitteln dominiert, also von globalen Märkten. So überrascht es nicht, dass die beiden Indizes eine Korrelation von sage und schreibe 0,71 aufweisen, und das trotz komplett verschiedenen Warenkörben und all diesen administrierten Preisen in der Schweiz.
Bei den Leitzinsen sieht es noch interessanter aus. Auch wenn diesmal die SNB vor dem Fed gehandelt hat, ist die amerikanische Notenbank historisch ein guter Vorläufer für die SNB. Aber Moment: Trotz zeitlich verschobenen Leitzinszyklen beträgt die Korrelation der Marktzinsen 0,7? Offensichtlich reagiert der «Eidgenosse» vor allem auf das Fed statt auf die eigene Notenbank.
Es gibt aber auch begründete Zweifel für die These:
Analysieren wir die Zweijahreszinsen in gleicher Weise, dann resultiert eine Korrelation von lediglich noch 0,46. Verstehen Sie mich nicht falsch, das ist immer noch hoch, doch dieser Wert deutet auf deutlich mehr Eigenständigkeit für die Schweizer Zinsen hin.
Dann ein weiterer, zentraler Aspekt für den internationalen Anleger: Er interessiert sich vor allem für reale Zinsen, also die Nominalzinsen abzüglich der Inflation. Und hier ist etwas Interessantes passiert:
Die Zeiten der synchronen Realzinsen, wie sie bis zur Finanzkrise von 2008 geherrscht haben, sind vorbei. Seither gibt es eine komplette Abkopplung. Und das ist ein gefundenes Fressen für die Analysten des Schweizer Zinsmarktes. Sie können gewaltig Mehrwert schaffen mit einer lokalen Analyse, vor allem auch, was die Währungen betrifft, deren Schwankungen von diesen Realzinsverwerfungen beeinflusst werden. Doch das ist Thema für eine zukünftige Korrelation des Monats.
Fazit: Beides ist wichtig, also sowohl die Analyse des Leitmarkts USA als auch die Analyse des lokalen Marktes.
Die Bewertung des US-Treasury als globalem Leitmarkt bleibt also zentral. Wohin bewegt sich dieser? Wenn Sie sich mal so richtig in das Thema einarbeiten wollen, dann schauen Sie sich unseren Deep Dive an, er ist mit vielen anderen Beiträgen gratis auf unserer Webseite abrufbar.
P.S. Könnte es sein, dass der Schweizer Zinsmarkt nicht eher vom europäischen als vom amerikanischen Markt abhängt?
Unglaublich, aber wahr: Der Bund und der Treasury sind mit 0,71 korreliert. Und jetzt kommt ein sensationeller Wert: Der deutsche Bund und der «Eidgenosse» mit zehn Jahren Laufzeit sind mit 0,93 korreliert. Und auch hier ist die Frage der Wirkungsmacht zwischen den USA und der Eurozone eine klare Sache.
Jürg Lutz
Jürg Lutz ist Anleihenspezialist beim Schweizer Vermögensverwalter PK Assets, der auf die Anlage von Pensionskassengeldern spezialisiert ist. Er bezeichnet sich selbst als alten Hasen im Bondmarkt, was angesichts seiner dreissigjährigen Erfahrung in der Verwaltung von Anleihenportfolios nicht ganz abwegig ist. Vor geraumer Zeit hat er – gemäss eigenen Worten – nach einem dreijährigen Martyrium den CFA-Charterholder erworben. Der Bündner ist Vater von zwei Kindern und beseelt von der Vorstellung, bis zu seinem Ableben die Via Spluga, die entlang des alten Säumerpfades von Thusis ins italienische Chiavenna führt, mindestens hundert Mal zu wandern. Viel fehlt ihm bis zu diesem Ziel nicht mehr.