Die Zinsen für langfristige US-Staatsanleihen dürften wegen der hohen Verschuldung steigen. Darüber sind sich Ann-Katrin Petersen von Blackrock, Anja Mikus vom deutschen Staatsfonds Kenfo und Stefan Rehder von Value Intelligence Advisors bei der Podiumsdiskussion von The Market einig.
Die Hoffnung auf Zinssenkungen stützt derzeit die Aktienmärkte in den USA und in Europa. Die Teilnehmer eine Podiumsdiskussion von The Market sehen auf absehbare Zeit dennoch eher höhere US-Zinsen bei Staatsanleihen mit längerer Laufzeit. Der Grund ist die stark gestiegene Staatsverschuldung, nicht nur in den USA.
Viele Marktteilnehmer würden sich erst an das Ende der jahrzehntelangen Ära tendenziell sinkender Zinsen gewöhnen müssen, warnte Anja Mikus, Gründungschefin des deutschen Staatsfonds Kenfo: «Wir werden wieder normale Konjunkturzyklen haben und die Einbrüche, die nicht nur drei Monate dauern.» Ann-Katrin Petersen, Leiterin der Kapitalmarktstrategie für Deutschland, Österreich, die Schweiz und Osteuropa bei Blackrock, zeigte sich optimistisch, dass die weiche Landung der US-Wirtschaft gelingen werde.
Stefan Rehder, Gründer der Fondsgesellschaft Value Intelligence Advisors in München, hat sich allerdings von den US-Tech-Werten wie Microsoft, Alphabet, Amazon und Apple verabschiedet, die vor zehn Jahren sein Portfolio anführten, sagte er bei der Veranstaltung von The Market im China Club Berlin am 18. September. Die besten Chancen sieht er derzeit in Südkorea, das günstige Technologieunternehmen besitze, die zudem von zunehmenden Einschränkungen für chinesische Hersteller profitieren könnten.
Zur Freude an den Finanzmärkten über den Beginn des Zinssenkungszyklus kommt nun die Sorge vor einer harten Landung respektive einer US-Rezession. Frau Petersen, Sie sind da nicht so pessimistisch, wieso?
Ann-Katrin Petersen: Wir halten die Rezessionssorgen, die die Märkte seit dem Sommer durchaus bewegt haben, für überzogen. Ausgelöst wurden sie primär durch die Arbeitslosenquote in den USA, die im August von 4,1 auf 4,3% gestiegen ist. Tatsächlich ist dieser Anstieg weniger auf Entlassungen zurückzuführen, sondern auf die überraschend hohe Migration in die USA im laufenden Jahr. Dabei stehen die USA vor derselben Herausforderung wie wir hier in Europa und in Deutschland: Die erwerbstätige Bevölkerung schrumpft, wir erleben perspektivisch eine strukturelle Knappheit an Arbeitskräften. Eine weitere Befürchtung lag im privaten Konsum, der circa zwei Drittel zum US-Bruttoinlandprodukt beiträgt. Für uns kam die Abkühlung des US-Konsums nicht überraschend, der zuvor nicht zuletzt durch einen Abbau der pandemiebedingten Überschussersparnisse der Amerikaner gestützt worden war. Diese sind nun aufgebraucht. Kurz: Dies ist kein klassischer Konjunkturzyklus. Sowohl die Rezessionssorgen als auch die Hoffnungen auf kräftige Zinssenkungen scheinen überzeichnet, gerade was die US-Notenbank anbelangt.
Wie sehen Sie das, Herr Rehder?
Stefan Rehder: Ich sehe strukturelle Herausforderungen auf uns zukommen: Die Globalisierung, die nicht aufzuhalten ist, innenpolitische Spannungen, die zunehmen. Die Disruption durch neue Technologien: Die künstliche Intelligenz wird wahrscheinlich nicht einfach alle reich machen, sondern auch grosse Herausforderungen mit sich bringen. Der Elefant im Raum ist aber die Verschuldung, die aus dem Ruder gelaufen ist. Alle schielen im Moment auf die Zinsen. Aber da halte ich es mit Warren Buffett, der im Mai an der Konferenz in Omaha mahnte: Die Anleger sollten weniger darauf gucken, was das Fed macht, sondern darauf, wo das Staatsdefizit liegt. In den USA liegt das Defizit bei 6% des BIP, und falls es doch noch zu einer Rezession kommen sollte, dann steigt dieses Defizit auf 10%. Und das muss finanziert werden.
Wie wirkt sich das auf die Zinsen aus?
Rehder: Das muss durch die Ausgabe von Staatsanleihen finanziert werden. Es ist mir nicht klar, wie die Zinsen am langen Ende sinken sollten, wenn eine Flut von Anleihen auf den Markt strömt. Und das in einer Zeit, in der die Nachfrage nach dem Dollar und amerikanischen Staatsanleihen deutlich zurückgeht. Es gibt Investoren, die warnen, dass aufgrund der Flut von Anleihen die Zinsen bei US-Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit eher in Richtung 7 oder 8% steigen werden. Ich sage nicht, dass es so kommen muss, aber eine verantwortungsvolle Anlagestrategie muss berücksichtigen, dass es auch anders kommen kann, als man denkt. Derart hohe Zinsen wären eine grosse Herausforderung für einen heissgelaufenen Markt, wo die grössten Unternehmen der Welt nur noch Cashflow-Renditen von 2% haben und Wachstumserwartungen von 10 oder 15% erfüllen müssen.
Die Konjunkturentwicklung divergiert: Die US-Wirtschaft überrascht positiv, China verfehlt die Erwartungen und Europa – vor allem Deutschland – dümpelt vor sich hin. Wie schätzen Sie den Zustand der Weltwirtschaft ein, Frau Mikus?
Anja Mikus: Die Zinswende ist da und jetzt wird es spannend, wie sich der neue Zustand einschwingt. Ja, das lange Ende der Zinskurve wird durch den Kapitalmarkt beeinflusst und die Zinsen dürften steigen, wobei ich bezweifle, dass es bis auf 7 oder 8% in den USA gehen wird. So lange alle auf Zinssenkungen am kurzen Ende aus sind, wird sich da noch nicht viel bewegen. Die Verschuldung muss man sehr langfristig betrachten. Die USA sind immer hoch verschuldet, auch die Verschuldung der privaten Haushalte spielt eine wichtige Rolle und nimmt derzeit auch zu. Sicherlich, irgendwann wird der Markt drehen. Wir werden wieder normale Konjunkturzyklen haben und die Einbrüche, die nicht nur drei Monate dauern. Viele, die heute in der Finanzbranche arbeiten, kennen solche Phasen gar nicht. Das ist gefährlich, gerade im Anleihebereich.
Ein grosses Thema der vergangenen zwei Jahre war der starke Preisanstieg. Hat sich das Thema Inflation erledigt, Frau Petersen?
Petersen: Wir bewegen uns sowohl in den USA als auch im Euroraum auf die Zielmarke von 2% zu. Aber der unterliegende Kostendruck fällt eindeutig höher aus als vor der Pandemie. Im Euroraum lag die Inflation in der Dekade davor im Schnitt bei rund 1%. Wenn wir uns also bei 2% einpendeln sollten, wäre das doppelt so viel wie zuvor. In den USA könnte die Teuerung mittelfristig sogar noch etwas darüber liegen. Dazu dürften eine Reihe struktureller Veränderungen wie der demografische Wandel, der Aufbau von resilienteren Lieferketten oder höhere Energiekosten infolge des Übergangs zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft beitragen. Frau Mikus und Herr Rehder haben recht, was die fiskalische Situation in den USA anbelangt: Die ausufernden Staatsschulden dürften mittelfristig dazu führen, dass Anleger eine höhere Entschädigung dafür fordern, US-Staatsanleihen zu halten.
Herr Rehder, fühlen Sie sich an die Siebzigerjahre erinnert, als die Inflation in Wellen abebbte und wieder hochschoss?
Rehder: Wir sehen einen strukturellen Wandel hin zu einem niedrigeren Wirtschaftswachstum und höherer Inflation – und auch höheren Zinsen. In den Siebzigerjahren hatten wir genau ein solch stagflationäres Umfeld mit einer Inflation, die sich hochgeschaukelt hat. Etwas ähnliches droht jetzt: Die kurzfristigen Zinsen sinken und das wird die Politik in die Versuchung bringen, wieder unheimlich viel Geld zu drucken und die eigenen Anleihen aufzukaufen, was dann möglicherweise den nächsten Inflationsschub auslösen wird.
Was bedeutet das für Anleger?
Rehder: Ein solches Umfeld wie in den Siebzigerjahren wäre ein ganz schwieriges Umfeld für alle Anlageklassen. Der Druck auf die Vermögenspreise steigt, und zwar auf alle. Es muss nicht so weit kommen, aber es lohnt sich ein entsprechendes Playbook in der Tasche zu haben.
Frau Mikus, würden Sie dem zustimmen, dass wir uns eher auf ein Szenario wie in den Siebzigerjahren einstellen müssen als auf eine Fortsetzung der vergangenen dreissig Jahre, als an den Finanzmärkten die Zinsen tief und die Volatilität gering waren?
Mikus: Die Inflationsrate ist gesunken, aber die Kerninflation bleibt hartnäckig und vor allem im Dienstleistungssektor steigt die Teuerung noch. Aber ich tue mich beim Vergleich mit den Siebzigerjahren schwer. Damals stiegen die Energiepreise. Heute ist der Ölpreis stabil zwischen 70 und 80 $ je Fass. Wir werden andere Herausforderungen haben, die die Anleger sehr verunsichern werden.
Was empfehlen Sie Anlegern?
Mikus: Die Leute suchen Sicherheit immer in Anleihen, auch jetzt wieder. Aber das ist ein Trugschluss. Das hat sich geändert. Staaten werden zwar meist nicht zahlungsunfähig. Aber zweistellige Verluste sind ohne Weiteres drin bei den Bonds. 2022 zum Beispiel haben Anleihen mehr verloren als Aktien. Das muss uns zu denken geben für die Zukunft.
Das Börsenbeben von Anfang August war durch Carry Trades ausgelöst worden. War das eine einmalige Episode, oder werden wir das wieder sehen, dass sehr viel Geld auf der falschen Seite des Zins- oder Währungsbildes liegt und die Anleger gezwungen werden, zu liquidieren?
Petersen: Eine Reihe von Auslösern haben zu den heftigen Kursausschlägen beigetragen – darunter, dass nun auch in Japan eine allmähliche Normalisierung der Geldpolitik stattfindet. Aber auch ein fehlender makroökonomischer Anker in einem insgesamt ungewöhnlichen, und damit auch schwankungsanfälligeren Umfeld. Die Bank of Japan hatte unter den grossen Notenbanken eine Sonderrolle eingenommen, auch weil sie eben nicht der scharfen Kehrtwende gefolgt war, sondern vielmehr an der lockeren Geldpolitik festhielt. Für ausländische Investoren war es daher in den vergangenen Jahren attraktiv, Kredite in japanischer Währung aufzunehmen. Übrigens: Dass Japan es geschafft hat, das Deflationsgespenst abzuschütteln, bedeutet auch: Für Investoren ist Japan, wenn wir auf den Aktienmarkt schauen, viel interessanter geworden.
Ich komme nachher noch auf das Thema Japan zu sprechen, aber ich möchte noch kurz über China reden. Kann man noch in China investieren, oder sollten wir unsere Lehre aus dem Fall Russland ziehen und lieber fernbleiben?
Mikus: Die Die Investoren sind vorsichtiger geworden. Was ich so höre, sollte man nicht in sensible Technologien investieren und es sollte möglichst nicht staatsnah sein – aber so weit weg vom Staat kommt man in China gar nicht. Auch wir werden vorsichtiger, und investieren zum Beispiel nicht in chinesische Staatsanleihen. Wir hoffen, dass sich China Massnahmen ergreift, da kommt mit der Immobilien- und Bankenkrise grad einiges zusammen. Aber die Deglobalisierung spricht eine andere Sprache und von daher wird es wahrscheinlich noch weiter schwierig sein für China.
Herr Rehder, China muss aus Sicht des Value-Investors attraktiv sein, den Aktienmarkt könnte man als spottbillig bezeichnen.
Rehder: Ich versuche Wert und Preis voneinander zu trennen. Gemessen an den derzeitigen Unternehmenszahlen ist China wahrscheinlich billig. Als qualitätsorientierter Value-Investor muss ich mich aber fragen, wie sicher die Cashflows für die kommenden zehn Jahre sind. Da da stosse ich in China gegen eine Mauer, weil die politischen Rahmenbedingungen so schwierig sind. Dazu kommen die Reibereien zwischen China und den USA. Langfristige Cashflows sind in China unkalkulierbar geworden.
Sie haben das Stichwort Bewertung gegeben. Die US-Märkte wirken hoch bewertet, mit einem sehr hohen Gewicht an Technologie- und Wachstumsaktien. Europa wirkt auf Indexebene moderat bewertet, Japan ebenso. Emerging Markets sind günstig. Das ist ganz kurz zusammengefasst meine Sicht. Frau Petersen, wie ist ihre Einschätzung?
Petersen: Die USA und viele Unternehmen dort werden voraussichtlich Gewinner sein von einer Reihe von strukturellen Umbrüchen, darunter der Vormarsch der künstlichen Intelligenz. Insofern könnte ein gewisser Bewertungsaufschlag gerechtfertigt sein. Bei den Emerging Markets spielt das bereits erwähnte Thema China eine Rolle. Für strategische Investoren ist sicherlich interessant, dass der Bewertungsabschlag von Emerging Markets gegenüber Industrieländeraktien so hoch ist wie seit vier Jahren nicht mehr. Aber auch innerhalb der Gruppe der Schwellenländer muss man stark differenzieren. Es gibt Länder wie beispielsweise Mexiko, Vietnam, Indien, die besser da stehen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der Neusortierung der Lieferketten und anderer Trends als andere.
Frau Mikus, Sie haben im Aktienportfolio des Kenfo die USA und Europa mit je 40% gewichtet. Die USA sind also deutlich untergewichtet im Vergleich zum MSCI World, wo sie mehr als 70% einnehmen. Was ist der Grund dafür?
Mikus: Das ist eine langfristige Entscheidung, die wir schon vor drei Jahren getroffen haben, um nicht so US-lastig zu sein. Wir möchten unser Kapital breiter auf die Weltregionen verteilen. Auch mit dieser Zusammensetzung konnten wir unsere Zielrendite in allen Simulationen erreichen. Sicherlich haben wir dadurch auch etwas versäumt, weil wir nicht immer so stark in den Technologiewerten engagiert waren. Vielleicht liegt die Zukunft ja in Value-Aktien, die Märkte bewegen sich doch meist in Wellen.
Für den Value Investor waren die vergangenen Jahre schwierig. Die Renaissance des Value-Stils wurde oft verkündet. Herr Rehder, ist es dieses Mal soweit?
Rehder: Im Sinne von Warren Buffett möchte ich zunächst noch einmal sagen, dass Value nicht das Gegenteil von Wachstum ist. Value ist das Gegenteil von Momentum, von kurzfristiger Trendfolge. Wir als Value-Investoren hatten Microsoft im Portfolio, Alphabet, Amazon und Facebook, als die Plattformstrategien noch relativ jung waren und diese starken Geschäftsmodelle eher noch unterschätzt worden sind, das war vor mehr als zehn Jahren. 2024 ist alles ein bisschen anspruchsvoll bewertet. Dass jetzt noch viel Value in Wachstumstiteln steckt, wage ich zu bezweifeln. Die Welt ist auch unsicherer geworden. KI wird nicht nur zusätzliche Gewinne bringen, sondern auch die Markteintrittsbarrieren von einigen Wachstumsunternehmen senken.
Was meinen Sie konkret?
Rehder: Kürzlich hat zum Beispiel der Finanzdienstleister Klarna bekanntgegeben, dass sie sich von Salesforce trennen und stattdessen ein selbst entwickeltes Modell für das Kundenmanagement einsetzen. Das darf einem Anbieter von Unternehmenssoftware eigentlich nicht passieren, der doch meist die Kunden eng an seine Systeme bindet. Für mich ist das wieder ein Aha-Moment, der mir zeigt, dass sich die Welt dramatisch verändert und das manches, was wir für eine hohe Markteintrittsbarriere hielten, durch KI auf einmal weggefegt wird.
Wo sehen Sie denn derzeit noch Wert, wenn nicht bei Wachstumsaktien?
Rehder: Die grössten Chancen sehen wir im Moment in Asien, besonders in Japan und Korea. Die politischen Rahmenbedingungen sind recht verlässlich. Wir können dort zu sehr niedrigen Bewertungen auch in grosse Qualitätstitel investieren. Beide Gesellschaften haben begonnen, sich von einem Stakeholder-Value-Ansatz zu einem Shareholder-Value-Ansatz zu bewegen. In der westlichen Welt sehe ich eher den umgekehrten Trend, der Staat mischt sich immer mehr ein.
Frau Petersen, die Begeisterung um künstliche Intelligenz ist gross. Ist das gerechtfertigt oder werden die Auswirkungen überschätzt?
Petersen: Anleger sollten im Hinterkopf behalten, dass KI sich in mehreren Phasen entwickelt und wir uns noch in der ersten Phase befinden. Die Tech-Unternehmen, die die Schlüsseltechnologien bereitstellen, gehören zu den ersten Gewinnern. Nun ist aber am Markt Diskussionen aufgekommen, inwiefern die milliardenschweren Investitionen in die KI wirklich lohnenswert sind. Wegen der hohen Investitionen in Rechenzentren gehören in dieser Aufbauphase zum Beispiel auch Energieunternehmen und Versorger zu Nutzniessern. Diese Investitionen rentieren sich nicht nach wenigen Quartalen, sondern erst nach mehreren Jahren, daher rührt die Enttäuschung. Wir bleiben aber überzeugt vom Investmentthema künstliche Intelligenz und erwarten, dass sich der Fokus verschiebt von den Techunternehmen mehr in Richtung Energie, Versorger und Infrastrukturbereitstellung, bevor in einer zweiten Phase weitere Sektoren ins Spiel kommen
Frage aus dem Publikum von Bernhard Bartsch, Mercator Institut für China-Studien in Berlin: Wir teilen die Einschätzung, dass China innenpolitisch enorm viele Probleme hat, dass auch die Bevölkerung nicht mehr das Vertrauen in das Wachstum hat. Chinas Regierung setzt für das Wachstum stark auf Technologien wie KI, aber auch auf Quantencomputer und auf Biotech. Wie bewerten Sie als Investoren diese Strategie?
Petersen: Wir beobachten konkurrierende geopolitische Blöcke und einen stärkeren wirtschaftlichen Wettbewerb, der auch zu einer Renaissance der Industriepolitik geführt hat. Die Hoffnungen liegen unter anderem auf der KI – denn eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung macht eine höhere Produktivität umso bedeutsamer. Diese geopolitische Fragmentierung ist übrigens einer der strukturellen Umbrüche, die letztlich dazu führen, dass wir uns in einem sehr ungewöhnlichen Wirtschaftsumfeld bewegen im Vergleich zur Zeit vor der Covid-Pandemie. Die wichtigste Veränderung aus Anlegersicht ist ein niedrigeres Trendwachstum, auch die hartnäckige Inflation, strukturell höhere Zinsen und höhere Staatsschulden in einigen Ländern. Das hat Anlageimplikationen. Die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern ist viel grösser als in der Vergangenheit.
Mikus: Wenn ich in Länder wie China investiere, müssen wir beachten, ob uns nicht vielleicht eines Tages gesagt wird: Ihr solltet dort nicht mehr anlegen. Wenn wir dann zu einem ungünstigen Zeitpunkt verkaufen müssten, könnte das für unser Portfolio nachteilig sein. Das müssen wir im Auge behalten. Aus Gründen der Nachhaltigkeit haben wir bereits entschieden, nicht in chinesische Staatsanleihen zu investieren.
Rehder: Die Tatsache, dass es westlichen Käufern erschwert wird, in Zukunft chinesische Produkte zu erwerben, um einheimische Märkte zu schützen, ist wieder etwas, von dem Korea profitiert. Nehmen Sie die Biopharmabranche, da gibt es ein Oligopol aus wenigen Auftragsfertigern. Neben einem chinesischen Anbieter gibt es Lonza in der Schweiz und Samsung Biologics aus Korea. In den USA ist ein Gesetz im Gespräch, dass es US-Unternehmen verbieten würde, Medikamente in China fertigen zu lassen. Solch ein Gesetz würde die Zahl der Anbieter nochmals verringern. Ähnlich ist es bei Elektrobatterien. Die Nummer 1 und die Nummer 2 kommen aus China, die Nummer 3 kommt wieder aus Korea: LG Energy Solutions. Deshalb sehe ich Korea in einer komfortablen Situation.
Die letzte Frage dreht sich um die Präsidentschaftswahlen in den USA: Auf was muss man sich als Anlegerin und Anleger vorbereiten?
Mikus: Wahlen sind nicht immer relevant für die Kapitalmärkte, sogar meistens überhaupt nicht. Das ist oft ein kurzer Event und danach geht es weiter. Jetzt kennt man die Kandidatin und den Kandidaten und weiss, was die vorher gemacht haben. Die Wirtschaft sieht das nicht ganz so negativ, von daher erwarte ich da wenig Einfluss auf die Börse. Beide Kandidaten dürften aber inflationsfördernd sein und die USA dürfte sich weiter verschulden. Der US-Haushalt und auch die Zinsen dürften weiter steigen.
Petersen: Unabhängig davon, wer dann der nächste Präsident oder die Präsidentin wird, gibt es eine Reihe von beide Lager übergreifenden Themen. Die Tendenz zu protektionistischer Handelspolitik herrscht auch unter den Demokraten. Gleiches gilt für eine strengere Einwanderungspolitik im Vergleich zum Status quo. Der positive Angebotsschock am US-Arbeitsmarkt ist deshalb mit einem gewissen Fragezeichen behaftet mit Blick auf das nächste Jahr. Die weiterhin absehbar lockerer Fiskalpolitik sorgt für einen gewissen Inflationsdruck in den USA. Das ist einer der Gründer, weshalb wir denken, dass der Spielraum für Zinssenkungen begrenzt ist.
Rehder: Ein Thema wird die steuerliche Seite sein. Die Demokraten wollen die Kapitalertragsteuer und die Unternehmenssteuern erhöhen. Warren Buffett hat auf der Hauptversammlung von Berkshire Hathaway gesagt, dass er seine Apple-Position auch aus steuerlichen Gründen reduziert hat.