Viele Italiener und auch die Regierung von Giorgia Meloni tun sich schwer mit den Agnellis. Darüber hinaus sorgt der epische Streit ums Familienerbe permanent für Schlagzeilen. Auch in der Schweiz sind Gerichtsprozesse hängig.
In Italien kann man gerade in Echtzeit mitverfolgen, wie drei grosse Unternehmerfamilien ihr Erbe regeln. Die Berlusconis setzen auf Harmonie. Die Erben des im letzten Jahr verstorbenen Patrons und Politikers Silvio Berlusconi haben sich bisher nicht auseinanderdividieren lassen. Das Imperium hält allen Anfeindungen stand – bis jetzt.
Bei den Del Vecchios sieht es etwas anders aus. Die Familie von Leonardo Del Vecchio, dem Gründer von Luxottica, dem grössten Brillenhersteller der Welt, tut sich schwer mit Steuerforderungen. Wer soll die Erbschaftssteuer zahlen? Es sei eine Übung in «Familiendiplomatie», meint der «Corriere della Sera» – Ausgang ungewiss.
Und die Nachkommen von Gianni Agnelli, dem Avvocato aus Turin und glamourösen Fiat-Präsidenten, dessen Tod 2003 das Land aufgewühlt hatte? Sie streiten, seit Jahren. Harmonie und Diplomatie haben hier schon lange keinen Platz mehr. Es ist eine endlose, verworrene, harte Auseinandersetzung. Sie verbreitet sich in Wellen über das Land, und gerade jetzt gibt sie wieder zu reden.
Verfahren gegen die eigenen Kinder
Im Zentrum steht Margherita Agnelli, die Tochter des Avvocato. Sie fühlt sich ungerecht behandelt und hat diverse juristische Verfahren gegen drei ihrer eigenen Kinder angestrengt. Derzeit sind vier erbrechtliche Prozesse anhängig, drei in der Schweiz, einer in Italien. Dazu kommen jetzt neue Untersuchungen über angeblich nicht deklarierte Einkommen.
Margherita Agnelli verdächtigt laut Medienberichten ihren Sohn John Elkann und zwei Vertraute der Familie, unter ihnen ein Schweizer Erbschaftsverwalter, Zahlungen, die sie vor Jahren getätigt hat, nicht korrekt deklariert zu haben. Die Zahlungen, eine Art monatliche Rente, gingen an Margheritas Mutter Marella Caracciolo, die Frau des früheren Patrons. Die italienischen Zeitungen berichten von gesamthaft acht Millionen Euro, die Margherita im Zeitraum von 2004 bis 2019 auf diese Weise an ihre Mutter Marella überwiesen habe.
Am 23. Februar 2019 verstarb Marella in Turin, sechzehn Jahre nach ihrem Mann Gianni Agnelli. Sie hatte ihre letzten Lebensjahre zwischen der Schweiz, Marokko und Italien verbracht.
Der springende Punkt, um den es bei dieser Geschichte geht, sind nicht die Geldbeträge, sondern die Klärung der Frage des steuerlichen Wohnsitzes. Während Margherita offenbar geltend macht, ihre Mutter habe zuletzt mehr Zeit in Italien als in der Schweiz verbracht, sagen die Beschuldigten, Marella Caracciolo habe ihren Wohnsitz in der Schweiz gehabt, zunächst in St. Moritz, später in Lauenen nahe Gstaad. Sie sei demnach nicht in Italien steuerpflichtig gewesen. Das sei stets so beglaubigt und bisher nie bestritten worden, auch nicht von den italienischen Behörden.
Was wie ein etwas kleinlicher Streit unter Erben aussieht, könnte weitreichende Folgen haben. Sollte nämlich ein Gericht feststellen, dass Marella effektiv in Italien ansässig war, würde sich dies auf die anderen Verfahren auswirken und möglicherweise auch auf den Vertrag von 2004, in dem das Erbe des Avvocato ursprünglich geregelt worden war.
Erst verzichtet und dann bereut
Damals, nach dem Tod ihres Vaters, unterzeichnete Margherita Agnelli nämlich eine Vereinbarung, mit der sie auf die Anteile ihres Vaters und auf das zukünftige Erbe ihrer Mutter verzichtete. Im Gegenzug wurden ihr 1,2 Milliarden Euro zugesprochen. Margheritas Verzicht erstreckte sich auch auf die Dicembre, jene Gesellschaft, über welche die Familie ihre Gesellschaften steuert, allen voran die Exor-Holding. Die Dicembre liegt heute zu 60 Prozent in den Händen von John Elkann und zu je 20 Prozent in jenen seiner Geschwister Lapo und Ginevra Elkann, der Kinder aus erster Ehe von Margherita mit dem französischen Schriftsteller Alain Elkann.
Doch wenige Jahre nach der Unterzeichnung stellte Margherita das Abkommen rechtlich infrage. Sie vermutete weitere Vermögenswerte ihres Vaters im Ausland, die man ihr damals vorenthalten habe. Ausserdem machte sie geltend, die Vereinbarung von 2004 sei nichtig, da das italienische Recht nicht die Möglichkeit vorsehe, auf eine künftige Erbschaft zu verzichten. Das Abkommen wurde jedoch in Genf auf der Grundlage des schweizerischen Rechts unterzeichnet, in dem diese Möglichkeit vorgesehen ist.
Margherita Agnelli hatte bisher denn auch keinen Erfolg vor Gericht. 2015 wurde ihre Klage vom Kassationsgerichtshof in Rom als unbegründet eingestuft. Doch im Jahr 2020 reichte sie eine neue Klage ein. Der Fall bleibt ungelöst, Margherita hat alles Interesse, die Geschichte aus der Schweiz nach Italien zu ziehen. Dort sagt man, die Tochter stehe in Sachen Hartnäckigkeit ihrem Vater Gianni in nichts nach.
Die «Ent-Agnellisierung»
Der Avvocato war eine Ikone im Italien der Nachkriegsjahre. Aus seinem Büro im Turiner Stadtteil Lingotto, wo Fiat beheimatet war, steuerte er den Autokonzern, gebot über die wichtigsten Zeitungen des Landes, lenkte Juve, den Fussballverein der Stadt, und hielt Kontakte zu den höchsten Kreisen in Italien und auf der ganzen Welt.
Die Agnellis – sie waren so etwas wie die Royals in einem Land, das die Monarchie 1946 per Volksabstimmung zwar abgeschafft hatte, aber trotzdem nicht ohne Glanz und Glamour leben mochte. Die Fiat-Dynastie aus Turin war so gesehen eine Projektionsfläche für die Italienerinnen und Italiener. Und im Ausland galt sie als Inbegriff für Stil, Eleganz und Dynamik.
Nach dem Tod von Gianni Agnelli 2003 veränderte sich die Situation. Sein Enkel John Elkann, der die Geschicke des Unternehmens leitet, verfolgt andere Ziele als der Grossvater. Über die Jahre zimmerte er aus dem italienischen Autoriesen ein global tätiges Imperium. Was von Fiat übrig blieb, ging in Stellantis auf, einem in den Niederlanden domizilierten Automobilkonzern, zu dem auch Chrysler und Peugeot gehören und an dem die Elkanns über die Exor noch zu rund 14 Prozent beteiligt sind.
Der Buchautor Michele Masneri hat Elkanns Strategie einmal als «deagnellizzazione» bezeichnet, als Ent-Agnellisierung: weg von der Fiat-Tradition, weg von Lingotto, weg vom alleinigen Fokus auf Italien. Selbst Juve möchte er angeblich loswerden. Nach wie vor hält er zwar wichtige Anteile an italienischen Medien, etwa an der linksliberalen «Repubblica», aber zum Imperium gehört mittlerweile auch der britische «Economist», eine der einflussreichsten Zeitschriften des Erdballs. «John ist sehr Elkann», schreibt Masneri: «kosmopolitisch, mit französischem Akzent, auch in Sachen Stil anders als der Avvocato». Kurzum: John hat sich vom Grossvater emanzipiert – und damit auch ein Stück weit von Italien.
Veränderte Grosswetterlage
Das mag auch erklären, warum die gegenwärtige Regierung von Giorgia Meloni den Draht zur Familie nicht findet. Zwischen Elkann und Meloni herrsche «il grande freddo», titelte unlängst das Nachrichtenmagazin «Espresso» – frei übersetzt: Eiszeit. Als der Stellantis-Chef Carlos Tavares kürzlich laut über eine mögliche Allianz mit Renault und Volkswagen nachdachte, führte dies zu einem Aufschrei im Palazzo Chigi, dem Sitz der italienischen Regierung. John Elkann als Miteigentümer sah sich gezwungen zu dementieren.
Mittlerweile bemühen sich beide Seiten wieder um ein besseres Einvernehmen. Elkann will offenbar sogar an einem runden Tisch der Regierung zur Zukunft der italienischen Autoindustrie teilnehmen.
Im Vergleich zu früheren Zeiten hat man sich aber auseinandergelebt. Der Rechtsregierung von Meloni ist der Kosmopolitismus der Elkanns fremd, und umgekehrt ist es wohl nicht anders. Wo man sich früher noch unterstützte, geht man sich heute aus dem Weg. Vielleicht ist es diese Grosswetterlage, auf die Margherita Agnelli spekuliert, wenn sie ihre eigenen Kinder nun mit weiteren Verfahren eindeckt.