Gedanken zur Anti-Zeitgeist-Nation Schweiz.
Donald Trump ist Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und ein Phantom in der Schweiz. Lisa Mazzone, die Präsidentin der Grünen, holte ihn zuletzt für eine Parteitagsrede in eine Mehrzweckhalle im Neuenburgischen, um den SVP-Bundesrat Albert Rösti anzugreifen: «Seine Klimapolitik? Genauso verheerend wie die von Trump.» Die Grünen müssten «der brachialen Politik von Trump und Rösti» entgegentreten. Es klang, als sei Rösti der schweizerische Statthalter in der internationalen Allianz des Bösen. «Kein Trump, kein Musk, keine Weidel (. . .), kein Rösti macht uns Angst», sagte Mazzone. Albert Rösti – der den Grünen im vergangenen Jahr half, mit dem Stromgesetz den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben.
Die SP beschrieb in ihrem Parteimedium «Direkt» unter dem Titel «Demokratie unter Druck», wie Donald Trump den Sturm auf das Kapitol angestachelt und Wahlen angezweifelt hat. Um dann angebliche Parallelen in der Schweiz aufzuzeigen: «Obwohl sie die Mehrheit im Bundesrat stellen, inszenieren sich FDP und SVP zunehmend als ‹Opposition› (. . .). Diese Strategie erinnert stark an Trumps Rhetorik.» Die FDP – deren Parteivorstand jüngst mitteilte, die Schweiz solle weder «Autokraten wie Wladimir Putin noch rücksichtslosen Machtpolitikern wie Donald Trump» folgen.
Am weitesten ging bisher wohl der Co-Chefredaktor des Online-Magazins «Republik», Daniel Binswanger – er berichtete über einen Umbruch, der gar nicht stattfinden sollte: «Die Ritter-Wahl ist der Trump-Moment der Schweizer Politik», schrieb er vor der Bundesratswahl – auch wenn das «hyperbolisch» klingen möge. Im Bauernpräsidenten Markus Ritter von der Mitte-Partei sah er offenbar einen Sennenhemd-Trump und in dessen Wahl den finalen Beweis dafür, dass die Schweiz von den «immer heftigeren Verwerfungen» des rechten Zeitgeists erfasst wird. Bekanntlich wurde Markus Ritter nicht in den Bundesrat gewählt.
Switzerland, Trumpland? Das ist eine groteske Diagnose.
Die Schweiz ist kompliziert
Natürlich liegt auch die Schweiz nicht ausserhalb von Raum und Zeit. Auch hier verspüren Leute das Bedürfnis, sogenannt starken Männern wie dem argentinischen Kettensägen-Disruptor Javier Milei zuzuklatschen. Oder eine Demonstration gegen den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic als «Mobbing» zu bezeichnen (Roger Köppel). Oder in Donald Trump nur den weissen Ritter einer Konterrevolution zu sehen (und alles andere auszublenden). Natürlich werden Politik und Bevölkerung auch hier von der internationalen Populismusbewegung erfasst, rhetorische Grobheiten dürften auch hier zugenommen haben. Und doch: Gerade jene, die in Trump einen formvollendeten Autokraten sehen, sollten auf schweizerisch-amerikanische Analogien verzichten. Wer auch immer Trump, den «Trumpismus», einen «Trump-Moment» in der Schweiz angekommen sieht, der hat ein Phantom gesehen.
Der wichtigste Grund ist ein systemischer – die Schweiz funktioniert von unten nach oben, über Vernehmlassungen, nicht über Dekrete. Der verstorbene Schriftsteller und Bundesratsberater Peter Bichsel hat es einmal so formuliert: Ein Gemeindepräsident hat mehr Macht in seinem Revier als ein Regierungsrat in seinem. Und ein Regierungsrat mehr als ein Bundesrat. Die Macht diffundiert nach oben. Jeder Trump-Vergleich ist alleine deshalb falsch, weil in der Schweiz niemand auch nur annähernd so dominant werden kann wie ein amerikanischer Präsident.
Der Bundesrat hat nicht einmal ein gemeinsames Programm, er regiert in abwechselnden Mehrheiten, und am häufigsten wird ihm Führungsschwäche vorgeworfen. Zuletzt berichtete CH-Media über ein gemeinsames Fondue-Essen von SVP-Bundesrat Albert Rösti und SP-Bundesrat Beat Jans, inklusive Partnerinnen. Auch im Parlament arbeiten die Parteien erstaunlich pragmatisch zusammen. Der gewiefte SP-Machtmechaniker Roger Nordmann wurde neulich in einem Podcast des SP-Co-Präsidiums gefragt, ob die Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen nicht immer schwieriger werde. Er sagte, paradoxerweise müsse man teilweise mit der SVP kooperieren (er nannte die Rettung von Stahl Gerlafingen als Beispiel). Kaum eine Partei im Land ist ideologisch geschlossen. Ein gutes Beispiel dafür ist die FDP – kurz nachdem die Partei wegen zunehmend boulevardesker Communiqués und eines schärferen Migrationskurses immer mehr in die Kritik von links geriet, verkündete sie ihre absolute Unterstützung der Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union.
Und erst recht die Bevölkerung, die letzte und wichtigste Instanz im Land: Nachdem sie bei den Wahlen im Herbst 2023 das Parlament nach rechts verschoben hatte, stimmte sie ein Jahr lang in den wichtigen Fragen mit links. Für die 13. AHV-Rente und also den Ausbau des Sozialstaats, gegen eine Reform der beruflichen Vorsorge, gegen den Autobahnausbau. Die Wahlsieger von der SVP, die nun ihr Programm durchsetzen wollten, waren jetzt die Abstimmungsverlierer.
Kaum ist der Zeitgeist in der Schweiz gedeutet, wird er wieder infrage gestellt. Wer nach der abgelehnten Autobahnabstimmung sagte, das sei ein zuwanderungskritisches Nein gewesen, lag falsch. Eine Nachwahlbefragung ergab, dass Frauen den Unterschied gemacht hatten, die überzeugt gewesen waren, dass mehr Strassen mehr Verkehr bedeutet hätten.
Die Schweiz ist wie eine Tinguely-Maschine: Zwar funktioniert sie einwandfrei, aber niemand durchschaut sie. Und wer eingreift, weiss nicht so recht, wohin das führt.
Trump-Obsession
Dennoch werden von links fast obsessiv Trumpismus-Sichtungen in der Schweiz gemeldet – mit ostentativen Sorgenfalten, als wären sie objektive Ombudsleute der Demokratie. Sie unterliegen (wie ihr politischer Gegner) einem schweizerischen Narzissmus: Während die Bürgerlichen die Gutartigkeit ihres Landes überschätzen, überschätzen die Linken die Bösartigkeit.
Zudem ist es ein Ausdruck davon, auch zum Welttheater gehören zu wollen. Man ist umso bedeutender, je globaler und zeitgeistiger die eigene Zeitdiagnose daherkommt, und leuchtet umso heller, je schwärzer man den politischen Gegner malt. Nur sind die Trumpismus-Vergleiche der dickste Pinsel im Werkzeugkasten der politischen Rhetorik, weshalb jeder Angeschwärzte ohne zu lügen sagen kann: Das bin nicht ich.
Die politische Kultur der Schweiz lebt auch davon, dass man dem Gegner nicht die niedrigsten Motive unterstellt. Als SVP-Bundesrat Albert Rösti vor den amerikanischen Wahlen an einer Schule sagte, er persönlich «tendiere eher zu Trump», wurde er stark dafür kritisiert. Kaum jemand zitierte aber Röstis Nachsatz: «Was er teilweise rauslässt, gefällt mir gar nicht.» Man wird Rösti eher gerecht, wenn man ihn für seine politische Arbeit kritisiert statt für diese Trump-Aussage. Genauso wie man SP-Politikern eher gerecht wird, wenn man sie für ihre politische Arbeit kritisiert statt für Gratulationsbotschaften an sozialistische Regierungen.
Gerade wer angeblich gegen Populismus vorgehen will, müsste auf Populismus verzichten. Um nationale Politiker und Parteien zu kritisieren, helfen internationale Massstäbe nicht weiter – sie werden immer zu bizarren Verzerrungen führen.
Die unlogisch-logische Wahl
Die Schweiz ist eine Anti-Zeitgeist-Nation, in der man gut damit lebt, dass man manchmal an ihr verzweifelt. Ein Symbol dafür sind die Bundesratswahlen, als nicht nur der Kommentator der «Republik» ausgerechnet bei der Wahl eines Mitte-Kandidaten den schweizerischen «Trump-Moment» gekommen sah. Markus Ritter, der Bauernpräsident, wäre die logische Wahl des Zeitgeists gewesen: ein Bauer, der zuerst den eigenen Hof im Blick hat. Ein sozialkonservativer Landesverteidiger, der sich im Wahlkampf sofort als starker Mann empfahl. Er gab sich als demütiger Christ und er bebte gleichzeitig vor Selbstbewusstsein. Lange vor der Wahl erklärte er bereits, wie er seine Kaderleute führen würde. Zuerst schien es, als habe er mit seinem Auftreten alle möglichen Gegenkandidaten eingeschüchtert – als sich doch noch jemand meldete, dankte Ritter ihm, dass er sich überhaupt zur Verfügung gestellt hatte.
Am Ende wählte die Bundesversammlung genau diesen Gegenkandidaten: Martin Pfister, einen bisher kaum bekannten Regierungsrat aus dem Kanton Zug. Pfister ist ein Historiker, dessen Augen leuchten, wenn er von vergangenen Tagen im Archiv erzählt. Er lebt in einer Patchwork-Familie mit einer Frau, die aus Brasilien stammt. Im Wahlkampf hat er sich als wirtschafts- und gesellschaftsliberaler Politiker präsentiert, inhaltlich ist er vor allem mit einer europafreundlichen Positionierung aufgefallen. Seit seiner Wahl hat er bisher jede zweite Frage aus Rücksicht auf das Kollegialitätsprinzip lieber nicht beantwortet.
Das ist der Mann, der zum neuen Bundesrat gewählt worden ist und in diesen Tagen das Verteidigungsdepartement übernimmt. Es ist in dieser Zeit und in diesem Land eine unlogisch-logische Wahl.