Als sozial engagierte Kommunistin ist die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr ein international beachteter Medienstar geworden. Dabei fallen Kahr und ihre Genossen schon lange mit kruden Aussagen zu China, Russland und der EU auf.
Ihr Wahlsieg wurde sogar von der «Washington Post» vermeldet, und in Deutschland zeigten sich selbst bürgerliche Medien entzückt. «Willkommen in Leningraz», witzelte die «Frankfurter Allgemeine». Die Springer-Zeitung «Welt» erkannte den «sensationellen Beweis, dass Sahra Wagenknecht richtigliegt». Das linke Magazin «Der Freitag» schwärmte in mehreren Artikeln von einem Vorbild, einem Lehrstück und einer Kommunistin, die etwas ganz Besonderes sei.
Die Oden galten Elke Kahr, die im September 2021 zur Bürgermeisterin der Stadt Graz gewählt wurde. Kahr ist Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ). Diese hat 2021 in Graz fast 30 Prozent der Stimmen erhalten, wohl nicht wegen ihrer Ideologie, sondern weil sich die «Kuschel-Kommunisten» («Tagesspiegel») um Elke Kahr sympathisch und bürgernah geben. Sie spendet einen Grossteil ihres Magistratenlohns und präsentiert sich den Medien gerne als Sozialarbeiterin im Dienste des Volkes, mit Zigarette im Mund und Brille im Haar.
Sanktionen gegen Putin? «Nicht zielführend»
Im Januar ist Elke Kahr von der City Mayors Foundation zur «Bürgermeisterin des Jahres» gewählt worden – für ihren, wie es heisst, selbstlosen Einsatz. Doch nun sorgt Elke Kahr in Österreich für Irritation und empörte Reaktionen. In einem Interview mit der «Kleinen Zeitung» wurde sie unter anderem gefragt, ob sie der Meinung sei, dass heute die grösste Gefahr von Russland, China und dem islamistischen Terrorismus ausgehe. Ihre Antwort: Sie sehe das «ganz anders», sie wolle sich «nicht anmassen, darüber zu urteilen, wie Menschen in anderen Ländern leben und ihre Regierungen wählen». Das sei arrogant.
Auf die Bemerkung der Interviewer, dass die Menschen weder in China noch Russland das Recht haben, ihre Regierung frei zu wählen, erwiderte sie: «Ja, aber was ist die Alternative? China hat jedenfalls kein anderes Land überfallen und es geschafft, einem grossen Teil seiner Bevölkerung relativen Wohlstand zu verschaffen.»
Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine sei zwar eine Katastrophe, aber Sanktionen gegen ihn seien «nicht zielführend, weil sie immer die einfachen Menschen treffen». Österreich werde von niemandem bedroht, solange sich das Land entsprechend verhalte und niemanden angreife. Militärische Aufrüstungen in Europa dienten im Übrigen nur den finanziellen Interessen der Rüstungsindustrie.
Gewundene Distanzierungen von Stalin
Seither ist die Entrüstung gross. Die ÖVP wirft Elke Kahr vor, sie sei «keine lupenreine Demokratin» und totalitären Systemen zugeneigt. Dietmar Pichler vom Zentrum für digitale Medienkompetenz schrieb auf X, nach Kahrs Logik sei die Ukraine selber schuld an Putins Angriff. Das krude Weltbild der Kommunistin sei schon bei ihrer Wahl im Jahr 2021 längst sichtbar gewesen – sofern man es habe sehen wollen.
Tatsächlich sind Kahrs jüngste Äusserungen wenig überraschend. Sie passen bloss nicht zu dem verklärten Bild, das deutsche Medien seit Jahren von den Grazer Kommunisten zeichnen. Denn in ihrer rührseligen «Leningraz»-Begeisterung blenden Journalisten meist aus, dass die österreichischen Kapitalismusgegner bis heute eine weniger sympathische Seite haben. Wie andere kommunistische Parteien in Europa war die KPÖ einst eine Aussenstelle von Stalins Sowjetunion. Sie bejubelte dessen Verbrechen, hielt auch nach dem Tod des «Führers» treu zu Moskau, selbst nachdem russische Panzer 1968 den Prager Frühling niedergewalzt hatten.
Seit einigen Jahren distanzieren sich die «Kummerln», wie man sie in Österreich nennt, zwar vom Stalinismus. Dies allerdings im Bemühen, Stalin als Unfall darzustellen, der keinesfalls zur Diskreditierung der Ideen von Marx und Lenin missbraucht werden dürfe. Stalins Terror, so wird in einem Parteibeitrag behauptet, seien vor allem Kommunisten zum Opfer gefallen. Und unter seiner Ägide sei «die Umerziehung zur Sklavenarbeit degeneriert». Der erste Satz unterschlägt, dass Kommunisten auch Millionen Nichtkommunisten einsperrten und töteten. Der zweite suggeriert, dass die Umerziehung von Millionen Menschen grundsätzlich in Ordnung gewesen wäre, hätte es Stalin nicht übertrieben mit der Ausbeutung.
Menschenrechte werden in China «punktuell» verletzt
Wie andere formell geläuterte Linksaussenparteien in Europa pflegt die KPÖ bis heute ein «antiimperialistisches» Weltbild. Sozialistische Diktaturen gelten als legitime Herrschaftsformen und Friedensstifter, westliche Staaten als Kriegstreiber. Kommunistinnen und Kommunisten, so heisst es in Parteiprogrammen und Schriften der KPÖ, verteidigten «das sozialistische Kuba» und «die Souveränität der Volksrepublik China». Menschenrechte würden dort «punktuell» verletzt, aber das sei ja ein «Phänomen, das vermutlich in allen Staaten der Welt beobachtbar ist».
Zu diesem ideologischen Hintergrund passt, dass ein KPÖ-Funktionär 2021 im weissrussischen Fernsehen aufgetreten ist, um die Meinungsfreiheit in diesem Polizeistaat zu preisen (als Privatperson, wie die KPÖ später betonte). Oder dass ein anderer Genosse 2019 die «Volksrepublik Donezk» besuchte und mit Separatisten posierte. All diese Vorfälle und Äusserungen sind längst bekannt. Die österreichische Zeitschrift «Profil» fragte schon 2021, ob Elke Kahr und ihre Genossen wirklich nur so sympathisch, ulkig und sozial seien, wie sie oft dargestellt würden. Die Antwort lautete: «Leider nein.»
Die EU, so fand Kahr 2015, wolle Krieg in der Ukraine
Kahr selbst hat sich in Interviews wiederholt von Stalin oder dem «russischen Angriffskrieg» in der Ukraine distanziert. Allerdings kann sie im nächsten Atemzug ihre Bewunderung ausdrücken für den jugoslawischen «Staatsmann» Josip Broz Tito oder die französischen Kommunisten, auch wenn diese zu den treusten Vasallen Stalins gehörten und Überlebende des Gulag-Terrors als Faschisten verleumdeten. Kurz bevor Putins Armee am 24. Februar 2022 in der Ukraine einfiel, forderte Kahr einen Truppenrückzug «auf beiden Seiten». Und 2015, also ein Jahr nach Putins Annexion der Krim, beschuldigte sie die EU auf Twitter ganz offen, Elend und Krieg zu verursachen – «etwa in der Ukraine».
Dem medialen Hype um die «Leningraz»-Ikone Elke Kahr haben diese Verlautbarungen bisher kaum geschadet, zumindest nicht in Deutschland. Dort dreschen Medien zwar gerne auf Putin-Versteher wie Sahra Wagenknecht und die AfD ein, aber eine österreichische Kommunistin, «ja mei», wie putzig, findet da auch die «Emma». Und waren Kommunisten nicht seit je Missverstandene, die eigentlich das Gute wollen?
Die KPÖ, so glaubte die «Süddeutsche Zeitung» noch im April 2023 erkannt zu haben, sei eine entideologisierte Partei. Das K stehe bloss für Kommunalpolitik. Im selben Monat durfte Elke Kahr der linken «Tageszeitung» ein Interview geben, in dem ihr zahlreiche Fragen gestellt wurden, etwa ob es Vorurteile gegen Kommunisten gebe, weshalb sie so viele Fans habe und wie sie mit den Alphamännern der ÖVP oder der «Arroganz» der Medien umgehe.
Kritischere Fragen kamen der «TAZ»-Interviewerin nicht in den Sinn, oder sie stellte sie nicht. Die Überschrift des Artikels lautete: «Wir brauchen mehr Moral».