Am Donnerstag beginnt mit dem Play-off im Eishockey die «fünfte Jahreszeit». Beim Titelhalter ZSC Lions ist die Belastung so gross, dass er schon vor dem Start an Grenzen stösst. Der Manager Sven Leuenberger fordert eine Debatte.
Vor 39 Jahren wurden in der Schweiz die Play-offs eingeführt – gegen den teilweise erbitterten Widerstand der Traditionalisten, die vor einer «Amerikanisierung» warnten. Der Modus mit Qualifikation und anschliessenden Viertel-, Halb- und Finalserien ist auch hierzulande ein Erfolg geworden. Im Fegefeuer des Play-off wurden Emotionen geschmiedet, Legenden geboren, Geschichten für die Ewigkeit geschrieben.
Das Play-off hat wesentlichen Anteil am «Tough Guy»-Image des Eishockeys. Es gibt unzählige Episoden von Akteuren, die gegen jeden medizinischen Rat trotz Verletzung spielten. In Toronto spielte der Verteidiger Bobby Baun 1964 mit einem gebrochenen Bein – und erzielte in der Verlängerung trotzdem den entscheidenden Treffer zum Stanley-Cup-Triumph. «Schmerzen behindern mich nicht gross. Ich habe später vier Jahre lang mit einem gebrochenen Genick gespielt, ohne es zu merken», sagte Baun nach seinem Rücktritt.
Gerade in Nordamerika gehörte es während Jahrzehnten dazu, die Illusion der Unverwundbarkeit aufrechtzuerhalten. Chris McSorley, der heute in Siders engagierte ehemalige Impresario von Genf/Servette, sagt: «Als ich in Toledo spielte, brach ich mir das Bein. Ich hätte den Gips drei Wochen lang tragen sollen. Aber das Team brauchte mich. Also habe ich ihn nach vier Tagen aufgebrochen und wieder gespielt. Wir haben damals keine Fragen gestellt. Schmerzen gehörten einfach dazu.»
Es ist noch nicht lange her, da konsumierten die Spieler Schmerztabletten, als ob es Hustenbonbons wären
Es gibt diese Sagen auch aus der Schweiz. Biels Sportchef Martin Steinegger, als Verteidiger zwei Mal Meister mit dem SC Bern, sagt: «Gil Montandon hat einmal die ganzen Play-offs mit einem kaputten AC-Gelenk gespielt. Die Schulter war ständig ausgekugelt. Aber er hat sich einfach neben der Spielerbank an einen Pfosten gelehnt und sie sich selbst wieder eingerenkt. Das Geräusch war grausam. Und die Schmerzen müssen es auch gewesen sein.»
Beim ZSC spielte der ehemalige Liga-Topskorer Randy Robitaille mit einem gerissenen Innenband unter starken Schmerzen. Und Raeto Raffainer, der ehemalige Nationalspieler und spätere CEO des SC Bern, sagt: «Wir haben Schmerztabletten früher wie Hustenbonbons konsumiert. Wenn es hiess: ‹Hier, zwei Ponstan, dann geht es wieder›, dann haben wir das gemacht. Aber wir haben sowieso recht wenige Fragen gestellt und wenig nachgedacht. Wenn der Trainer gesagt hat, wir sollen kopfvoran in die Wand rennen, haben wir auch das getan. Die Spieler von heute funktionieren da anders, sie nicken nicht einfach alles ab.»
Es ist nicht zuletzt das Bewusstsein, das sich verändert hat: dass es nicht klug ist, für den flüchtigen Ruhm eines Play-offs langfristig die Gesundheit zu riskieren. Trotzdem hat das Play-off seine eigenen Gesetze; es ist gang und gäbe, dass Spieler sich fit spritzen lassen. Es braucht viel, damit einer in dieser Phase der Meisterschaft aussetzt. Verbreitet ist, dass sich Akteure vor den Partien mit Koffein aufputschen. Und dann zu Schlaftabletten greifen, weil sie sonst nicht zur Ruhe finden.
Seit langer Zeit ist das Play-off auch berüchtigt für seine Intensität – auf dem Eis und im Kalender. Es wird im Zwei-Tages-Rhythmus gespielt; Steinegger sagt: «Es gibt den Dreisatz Essen, Schlafen, Eishockey. Das stimmt, für anderes hat man keine Zeit.» Es kam schon vor, dass Spieler ihre Familien ins Hotel schickten, damit nichts ihre Konzentration störte.
Was den dicht gedrängten Spielplan angeht, sind die Dinge allerdings in Bewegung gekommen. Der Titelhalter ZSC Lions etwa spielt seit Saisonbeginn praktisch in Play-off-Pace. Der Sportchef Sven Leuenberger sagt: «Wir müssen aufpassen, dass wir unsere Leute nicht kaputtmachen. Unter Marc Crawford haben wir durchschnittlich alle 2,8 Tage gespielt. Und unter Marco Bayer liegt der Schnitt bei einer Partie alle 2,5 Tage. Das Limit ist erreicht.» Der Trainer Bayer war im Dezember auf Crawford gefolgt, der sich aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hatte.
Der ZSC ist Opfer seines eigenen Erfolgs geworden, er hat aufgrund der Champions Hockey League so viele Partien absolviert, die er im Februar vor eigenem Publikum gewann. Eine ganze Saison im Play-off-Takt: Das kann auf Dauer kaum gut gehen. Ein Dauerbrenner wie der Abwehrchef Dean Kukan kann je nach Play-off-Verlauf die Schallmauer von 90 Pflichtspielen durchbrechen – eine allfällige WM-Teilnahme noch nicht eingerechnet.
Und auch wenn das kaum in jedem Jahr so sein wird, wünscht Leuenberger sich eine grundsätzliche Debatte darüber, wohin der Weg führen soll. Was zumutbar ist. Seit 2020 werden 52 Qualifikationsrunden ausgetragen, so viele wie nie zuvor. Schon bei der Erhöhung auf 50 Runden hatte es Fan-Proteste gegeben.
Leuenberger sagt: «Als Athlet opferst du deinen Körper ein Stück weit der Karriere. Das ist der Tribut, den man bezahlt. Aber es hat alles Grenzen.» Leuenberger ist nicht der Typ Mensch, der zu Übertreibungen neigt. Und es verleiht seinen Worten zusätzliches Gewicht, wenn man weiss, dass der Preis seiner vier als Verteidiger des SC Bern errungenen Meistertitel heute zwei künstliche Hüftgelenke sind.
Der «World Cup of Hockey» wird den Terminkalender ab 2028 zusätzlich belasten
Es ist ein sinnstiftender Zeitpunkt für eine ernsthafte Diskussion zu dieser Thematik. Auch das leidige Thema der Doppelrunden – zwei Spiele innert 24 Stunden am Wochenende – sollte vertieft werden. Sportmediziner machen seit Jahren darauf aufmerksam, dass diese das Verletzungsrisiko erhöhen und nicht gesund sind.
«Aber das Geld regiert», sagt Beat Schwegler, seit fast zwei Jahrzehnten der Teamarzt des EV Zug. Es wird deshalb rituell am Freitag- und Samstagabend gespielt, weil die Klubs dann am meisten Tickets absetzen und den höchsten Gastronomieumsatz erzielen. Irgendwie müssen die aufgeblasenen Spielerlöhne ja finanziert werden, da hilft jedes schale Bier für 6 Franken 50.
2027 aber läuft der TV-Vertrag aus, vielleicht lässt sich der Spielplan tatsächlich neu denken, partiell zumindest. In der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) etwa haben sich der Dienstag, der Freitag und der Sonntag als Spieltage etabliert. Der Terminkalender der Zukunft wird eine Herausforderung werden, nicht zuletzt aufgrund des von der NHL reaktivierten World Cup of Hockey.
Ab Februar 2028 wird dieser im Vierjahresturnus alternierend zu den Olympischen Spielen ausgetragen werden – mit hoher Wahrscheinlichkeit inklusive Schweizer Nationalteam, was einen knapp dreiwöchigen Meisterschaftsunterbruch nach sich ziehen würde. Der zusätzliche Wettbewerb werde für das hiesige Eishockey «radikal einschneidend» sein, sagt ein hochrangiger Ligafunktionär.
Es sind Probleme von morgen. Am Donnerstag beginnt das Play-off, diese vertraute Zauberformel, durch die spätestens am 29. April ein Meister feststeht. Und die bis dann bei allem Blut und allen Tränen für launige Unterhaltung sorgen wird.
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