Der überdurchschnittlich grosse Optimismus der US-Anleger ist ein Alarmsignal. Das Kopf-an-Kopf-Rennen um das Präsidentenamt spricht ebenfalls für stärkere Kursausschläge. Relativ gut ist das Chancen-Risiko-Verhältnis in nächster Zeit dagegen für Aktien aus China.
Der US-Leitindex S&P 500 ist seit Jahresbeginn mehr als 20% gestiegen, der Dax immerhin mehr als 15%. Beide haben Rekordstände markiert.
Aus dem Blickwinkel der Markttechnik ist es keineswegs sicher, dass sich die Serie der internationalen neuen historischen Höchstkurse fortsetzt. Nach dem neuesten globalen Fondsmanager-Überblick ist die Barquote der Fondsmanager auf 3,9% gesunken, was aufgrund der Historie als Verkaufssignal gewertet wird.
Tatsächlich ist von Skepsis oder Vorsicht bei den Fondsmanagern wenig zu sehen. Die US-Wachstumsaktien («Magnificent 7») führen weiterhin die Liste der «most crowded trades» an, stehen also an erster Stelle über den übrigen Hausse-Positionen der Fondsmanager. Dann folgt Gold mit 17%. Chinesische Aktien schossen hoch auf die dritter Stelle mit 14%. Vor einem Monat gehörten dagegen die Baisse-Spekulationen auf chinesische Aktien noch zu den «most crowded trades».
Interessant ist auch, dass die Fondsmanager ihren Aktienanteil am meisten seit Juni 2020 erhöhten und gleichzeitig ihren Anleihenanteil in einem seit Jahrzehnten nicht mehr gekannten Ausmass zurückfuhren. Haupttreiber dieses markttechnisch ungünstigen Optimismus sind die erwarteten weltweiten Zinssenkungen der Zentralbanken und die überraschende chinesische Konjunkturankurbelung. Wegen der grossen Abhängigkeit Europas von der chinesischen Konjunkturentwicklung ist besonders der Optimismus für europäische Aktien wieder etwas gestiegen, allerdings von extrem tiefem Niveau kommend.
Viel Optimismus zeigt auch die US-Put/Call-Ratio, was gegen eine baldige allgemeine Aktienmarktverbesserung spricht. Der Fear-and-Greed-Indikator liegt in der Greed-Zone und solche Gier ist ein Warnsignal. Die Cash-Salden der globalen Anleger liegen dagegen auf historischen Tiefs.
Die oft prozyklisch handelnden ausländischen Anleger in amerikanischen Aktien haben auf Rekordniveau dort investiert. Die Hedgefonds, die sonst vor Wahlen vorsichtig investiert sind, agieren diesmal optimistisch und sind hoch investiert, in absoluten Zahlen mit mehr als 2000 Mrd. $ auf Kredit.
Hedgefonds gehen vor der US-Wahl untypisch stark ins Risiko
Amerikanische Haushalte sind mit 48% im Rekordausmass in US-Aktien investiert. Nur im Jahr 2000 war die Aktienquote der Haushalte ähnlich hoch.
US-Haushalte setzen auf Aktien wie seit 2000 nicht mehr
Positiv zu werten ist, dass der breite Markt zuletzt stärker stieg als die favorisierten grossen Technologieaktien. Positiv ist auch, dass sich kleine Aktien dem Hausse-Trend des gesamten Marktes angeschlossen haben. Andererseits haben auch die Favoriten-Aktien des Jahres, Nvidia, ihren Jahreshöchstkurs fast wieder erreicht.
Besonders gross ist der Optimismus bei Gold. Hier liegen die Long-Positionen am Terminmarkt auf einem Höchststand, die Short-Positionen verharren nahe des Rekordtiefs.
Zusammengefasst ist zu sagen: Die Markttechnik in den USA lässt eine Börsenkorrektur erwarten. Der überdurchschnittlich grosse Optimismus der US-Anleger ist ein Alarmsignal. Käme es im Nahen Osten zu den von Israel angekündigten Vergeltungsschlägen gegen den Iran, könnten die Weltbörsen zunächst einmal korrigieren.
Gutes Risiko-Rendite-Verhältnis für chinesische Aktien
Wie geht es in China weiter? Die internationale Anlegergemeinde ist der Meinung, dass die bisherigen monetären Konjunkturanreize nicht genügen, sondern dass erst noch ein ausreichend grosser fiskalpolitischer Nachfrageschub für die Volkswirtschaft generiert werden muss. Gegen Ende des Monats erwartet man hier Beschlüsse, die mindestens einer Neuverschuldung von 2000 Mrd. Yuan (284 Mrd. $) entsprechen sollten. Käme es dazu, könnte sich der China-Aktienaufschwung trotz aller Probleme im Immobiliensektor und hinsichtlich schwacher Konsumnachfrage im Zug hoher Arbeitslosigkeit fortsetzen. Goldman Sachs zum Beispiel stufte China-Aktien auf «übergewichten» hoch und hält ein weiteres Kurspotenzial bis 20% für möglich.
Skeptische Anleger erinnern sich an den chinesischen Börsenaufschwung von 2014/15, als der Shanghai Composite um 151% bis Juni 2015 anstieg, um danach bis Anfang 2016 einen Grossteil seiner Gewinne zu verlieren. Damals kauften chinesische Anleger – auch auf Geheiss des Staates – chinesische Aktien auf Kredit, und zwar in Höhe von rund 10% der gesamten chinesischen Marktkapitalisierung, was ein Maximum in der Wirtschaftsgeschichte bedeutete und nur vergleichbar war mit 1929 in den USA, als ebenfalls eine 10%-Kreditgrösse erreicht wurde.
Der heutige Aufschwung dürfte allerdings auf solideren Beinen stehen als im Jahr 2015. Anders als damals wurde er zum grössten Teil durch Eindeckung von Leerverkäufen generiert. Positiv ist diesmal, dass chinesische A-Share-Gesellschaften in diesem Jahr bis Oktober 155 Mrd. Yuan für Aktienrückkäufe aufwendeten. Im gesamten Jahr 2023 waren es nur 91,6 Mrd. Yuan. Der Betrag an auf Kredit gekauften Aktien stieg diesmal nur um 16% auf 1,6 Bio. Yuan am letzten Mittwoch gegenüber 2,3 Bio. Yuan auf dem Index-Hoch im Juni 2015. Bezogen auf die Börsenumsätze hat sich der Wert der auf Kredit gekauften chinesischen Aktien schon seit Jahren nicht mehr verändert, was fehlende grössere Spekulationen anzeigt.
Nachdem bereits eine Korrektur auf den jüngsten massiven Index-Anstieg stattgefunden hat, könnte das Chancen-Risiko-Verhältnis für chinesische Aktien in nächster Zeit relativ gut sein. China wäre wahrscheinlich auch weniger betroffen, falls es zu den erwarteten Schlägen Israels gegen den Iran kommen sollte. Negativ für die chinesische Börse wäre aber ein Trump-Wahlsieg, wegen der für diesen Fall erwarteten Zölle. Wie schon in den letzten Monaten empfohlen, dürfte es wegen niedriger Bewertungen und sehr geringer internationaler Anlegerpositionierung besonders in Hongkong ratsam bleiben, mit einem begrenzten Aktienbetrag investiert zu bleiben.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus der «Finanzwoche», dem seit 1974 erscheinenden Investmentbulletin von Jens Ehrhardt.
Jens Ehrhardt
Jens Ehrhardt ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender von DJE Kapital. Nach fünfjähriger Partnerschaft in der seinerzeit grössten deutschen Wertpapier-Vermögensverwaltungs-Gesellschaft promovierte er 1974 über «Kursbestimmungsfaktoren am Aktienmarkt». Im selben Jahr legte er den Grundstein für den Aufbau seiner Firmengruppe, die er von Beginn an leitet. Ehrhardt verantwortet neben seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender noch die Bereiche Risikomanagement und Unternehmens-/Anlagestrategie.