Nachruf
Iris Apfel war bekannt für ihren eklektischen Stil und ihre unglaubliche Lebensfreude. Nun ist die Amerikanerin im Alter von 102 Jahren verstorben.
Es gibt unzählige Superlative, die auf Iris Apfel zutrafen. Viele davon bezogen sich auf ihr Alter: Die älteste Influencerin der Welt war sie, das älteste Supermodel der Welt (mit 97 Jahren nahm sie die Agentur IMG unter Vertrag), die älteste Stilikone der Welt natürlich ohnehin. Nun ist Iris Apfel im Alter von 102 Jahren gestorben in ihrem Zuhause in Palm Beach, Florida.
Als mutig und unangepasst galt sie – und dann war sie auch noch die erste Person, die keine Designerin war, der jemals eine eigene Mode-Ausstellung im Museum of Modern Art gewidmet worden war. Letzteres im Jahr 2005, da war Iris Apfel 84 Jahre alt. Es war der Startschuss ihrer Karriere als Mode-Star. «Für mich kam dies aber nicht über Nacht», sagte die gebürtige New Yorkerin darüber einmal. «Mein über Nacht hat schliesslich 70 Jahre gedauert».
«Rara Avis» war damals der Titel der Ausstellung; was so viel bedeutet wie «seltener Vogel». Der damalige Kurator des MoMA, Harold Koda, der die Auswahl an Outfits von Iris Apfel persönlich in ihrer Wohnung ausgewählt hatte, erkannte damals schon, kurz nach dem Beginn des neuen Jahrtausends, wie selten man noch Menschen mit einem Stil wie dem von Iris Apfel, der Frau mit den bunten Kleidern, dem vielen Schmuck und der auffälligen runden Brille, begegnete.
Erfrischende Lebensweisheiten
Zitate von ihr darüber, was Stil ist, sind heute weltberühmt. Darunter: «Wenn Mode keinen Spass mehr macht, dann können Sie auch gleich tot sein»; «Wer jung bleiben will, muss jung denken»; «Ich habe keine Regeln, denn ich würde sie nur brechen», «Wenn Sie in den Spiegel schauen, dann müssen Sie sich selbst sehen.» Oder, wohl einer der berühmtesten: «Ich bin nicht hübsch und ich werde nie hübsch sein, aber das spielt keine Rolle, denn: Ich habe etwas viel besseres – Stil». Oder, noch allumfassender: «Wer sich nicht wie jemand anderes anzieht, muss nicht denken wie jemand anderes».
Ihre Sprüche wurden zu Lebensweisheiten, illustriert am Beispiel der Mode. Iris Apfel zeigte, was für eine Rolle Mode im Leben von jedem spielen kann, in einer Zeit, in der das in der Modewelt selbst immer wieder in Vergessenheit zu geraten schien, mit immer schneller werdenden Trends und Hypes, die kaum noch eine gewisse Stil-Kontinuität zuzulassen schienen.
Das Paradoxe ist, dass Iris Apfel zu einem so lieb gewonnenen Star der Modewelt wurde, weil sie alles verkörperte, was die Modewelt oft zu vermissen scheint: Leidenschaft, Authentizität, Freude, Ehrlichkeit, Selbstbewusstsein, Individualität. Von Nostalgie hielt Iris Apfel, die gerne alte Dinge trug, allerdings nichts: «Gestern ist vorbei, niemand weiss, ob er das Morgen noch sehen wird – also können wir doch einfach den Moment, die Gegenwart geniessen», schrieb sie im Juli 2020 noch in einem Essay.
Eklektisch und expressiv
Ihr Stil richtete sich direkt gegen alles Monokulturelle, gegen Anpassung an vermeintliche Konformitäten. «Bevor Multikulturalismus ein Begriff war, trug Iris Apfel ihn», schrieb die Kunst-Kritikerin Roberta Smith 2005 in der New York Times, in einem Artikel über die bekannte Ausstellung. Das, was Iris Apfel in einem ihrer Zitate als «jung denken» beschrieb, war vor allem Neugierde und Weltoffenheit.
Es ist nicht verwunderlich, dass in den letzten Jahren viele einflussreiche Kollektionen des Modehauses Gucci aussahen, als würden sie direkt aus Iris Apfels Kleiderschrank stammen. Ihre Art, sich anzuziehen war vor allem eklektisch und expressiv, wobei diese Beschreibungen ihren Looks fast gar nicht gerecht werden.
Ein wilder Mix aus verschiedenen Stilen und Epochen
Was Iris Apfel trug, konnte die unterschiedlichsten Hintergründe haben, antik sein oder Haute Couture, auf einem Flohmarkt gefunden oder extra für sie von einem Pariser Designer angefertigt sein – darin war sie grunddemokratisch. Sie trug ein golden-braunes Lanvin-Abendkleid aus den 1980er Jahren zu Armreifen aus Bhutan aus dem späten 19. Jahrhundert, dazu eine Kette aus Tibet aus dem frühen 20. Jahrhundert – einer der unzähligen Looks der in «Rara Avis» ausgestellt wurde.
Ein wilder Mix aus verschiedenen Stilen und Epochen. Mit dieser Herangehensweise lebte sie auch (ohne diesen Begriff jemals zu nutzen) eine nachhaltige Herangehensweise an den Mode-Konsum.
Andererseits würde vieles, was Iris Apfel trug, heute – gerade in den USA – als kulturelle Aneignung wahrgenommen. Käme ein junger Star heute mit Türkisschmuck der Native Americans daher, wie Iris Apfel ihn trug, würde es sicherlich unzählige empörte Artikel und Social-Media-Posts hageln.
Aber Iris Apfel durfte irgendwie vieles, weil sie es mit so viel Grazie, so viel Offenheit und so viel Authentizität tat. In die Herzen vieler auch nicht unbedingt modeaffiner Menschen schaffte sie es nicht nur durch die Ausstellung im MoMA, sondern noch einmal zehn Jahre später in der Dokumentation «Iris» vom berühmten Dokumentar-Regisseur Albert Maysles.
Schon der Titel zeigte, wie weit es Iris Apfel bis dahin gebracht hatte: Wenn nur ein Name reicht, um zu wissen, um welche Person es geht, dann heisst das schon etwas. 2018 folgte ausserdem sogleich ihr Buch «Iris Apfel: Accidental Icon – Musings of a Geriatrie Starlet».
Sie lebte Feminismus
Die Untertitel liessen klar auf das Selbstverständnis der Stilikone schliessen: Es strotzte vor ehrlicher Selbsteinschätzung und einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein. Denn Iris Apfel war auch durch und durch Feministin, ohne sich selbst so betiteln zu müssen – sie lebte das einfach. Eine der vielen Anekdoten, die sie selbst gerne von sich erzählte, war die, dass sie die erste Frau in New York gewesen sei, die Jeans getragen habe. Ob das stimmt weiss niemand, aber das zu behaupten war ihr wichtig.
Ausserdem erzählte sie, sie habe einen Jeans-Verkäufer lange überzeugen müssen, dass er ihr ihre erste (Männer-)Jeans verkaufte und für sie anpasste. Das aber ist nur eines von vielen Beispielen, wie sie Feminismus lebte. Ein weiteres ist das, dass sie – angeblich – eine Karriere als Modejournalistin ausschlug, weil die Magazine schon damals zu schlecht bezahlten.
Stattdessen schlug sie zusammen mit ihrem Mann Carl Apfel (die beiden sollen eine sehr symbiotische Beziehung gehabt haben) eine Karriere als Interior-Designerin ein. 1950 machten die beiden sich (gleichberechtigt – das war damals bei weitem keine Selbstverständlichkeit) mit ihrer Einrichtungsfirma «Old World Weavers» selbständig. Sie statteten nicht nur die aufregendsten Wohnungen in Manhattan mit ihren teils antiken Stoffen aus, sondern auch das Weisse Haus. Bis zu ihrer Rente im Jahr 1992 waren die beiden zusammen dort tätig. Carl Apfel starb 2015 im hohen Alter von 100 Jahren.
Heute scheint es, als sei Iris Apfels Karriere als Interior-Designerin so etwas wie ihre Vorbereitung für ihre späte Karriere im hohen Rentenalter gewesen, und vielleicht hat sie von all dem geträumt was ihr jenseits der 80 widerfahren ist: Ralph Lauren widmete ihr eine seiner Interior-Kollektionen, die Make-up-Marke Mac empfand einige seiner Lidschatten-Farben dem Stil von Iris Apfel nach, in sämtlichen ersten Reihen der Fashion Weeks von New York bis Paris sass sie als geehrter Gast. Ihre Couture-Sammlung kaufte sie aber am liebsten bei Sample-Sales, und sie erzählte stolz, dass sie in all die Kleider auch im hohen Alter noch herein passte.
«Ich bin hoffnungslose Romantikerin: Ich kaufe Dinge, weil ich mich in sie verliebe», hat Iris Apfel einmal erklärt. «Ich kaufe nie etwas, nur weil es wertvoll ist». Dieser Gedanke ist wohl einer der zeitgeistigsten rundum die Mode.