Die walisische Pop-Sängerin Gwenno Saunders war Tänzerin in Las Vegas. Zurück in Grossbritannien, widmete sie sich der Musik. Das neue Album «Utopia» ist den wichtigsten Orten ihrer Karriere gewidmet.
Es sei, als wolle man einen Film schreiben, sagt Gwenno Saunders. «Ich liebe Filme.» Zu ihren Lieblingen zähle «Paris, Texas» von Wim Wenders. Die walisische Musikerin ist via Zoom aus ihrer Heimatstadt Cardiff zugeschaltet und erklärt ihre Arbeit als Songwriterin.
Das cineastische, leicht entrückte Moment ist auch aus ihrem neuen Album «Utopia» herauszuhören. Der Titelsong trägt einen mit seiner Piano-Bar-Atmosphäre direkt nach Las Vegas. Dort tanzte die Künstlerin vor einem Vierteljahrhundert als Teil von «Lord of the Dance» mit jungen Frauen aus aller Welt. Es war Gwenno Saunders’ erster Job. Und «Utopia» hiess der Technoklub, in dem die damals 19-Jährige mit ihren Kolleginnen an freien Nächten feiern ging.
Ein neuer Sound, eine neue Sprache
Ihr neues Album «Utopia» klingt zunächst allerdings wie eine Abkehr von allem, was sich die 44-jährige Musikerin in den letzten Jahren aufgebaut hat: Gwenno – wie Gwenno Saunders sich als Solokünstlerin nennt – machte sich anfangs mit Psych-Pop-Alben in ihren Muttersprachen Walisisch und Kornisch einen Namen. Ihr Debüt aus dem Jahr 2015, das weitgehend auf Walisisch gesungene «Y Dydd Olaf», war vom gleichnamigen Roman des walisischen Autors Owain Owain inspiriert.
Die Pop-Musikerin übersetzte die dystopische Science-Fiction des Romans in Songs über die patriarchale Gesellschaft, über Regierungspropaganda, Isolation und die Bedeutung von Minderheitensprachen. Die elektronisch geprägten, motorischen Klanglandschaften wurden zum Überraschungshit und wurden mit einem Welsh Music Prize ausgezeichnet.
Gwenno Saunders’ Liebe für den Film war schon damals unverkennbar: «Y Dydd Olaf» klang nach Arthouse-Kino mit Abstechern in die keltische Folklore. Und jetzt Musik à la Las Vegas? «Ich stamme eigentlich von einem komplett konträren Ort», meint die Sängerin. Sie habe sich dieses Kontrasts zwischen provinzieller Herkunft und der mondänen Metropole annehmen wollen. Schon als Teenager.
Doch später kam einiges dazwischen. Insbesondere ein Abstecher zur Brightoner Indie-Pop-Band The Pipettes, wo Gwenno die Rolle der Leadsängerin übernahm. Dann zwei weitere Alben in ihren Muttersprachen: «Le Kov» erschien 2018 auf Kornisch und wurde zum Kritikererfolg, der «Guardian»-Autor Alexis Petridis etwa sah darin ein «Konzeptalbum über Cornwall, versunkene Städte, gestürzte Segelflieger und Käse».
Käse? Tatsächlich findet sich zwischen den psychedelischen und Krautrock-artigen Sounds ein Lied namens «Eus Keus?» – zu Deutsch: «Gibt es Käse?». Der Song war ein Seitenhieb gegen die Anglisierung kornischer Ortsnamen und zeigte den Humor und die sympathische Verschrobenheit in Gwennos Musik. Auf «Tresor» (2022) besang sie dann die Herausforderungen der Mutterschaft. Das Album erschien mit einem Begleitfilm und wurde für einen Mercury Prize nominiert.
Leben in der Stadt
«Utopia» nun ist eine Hommage an all die Städte, die Gwenno Saunders in den letzten 25 Jahren besuchte. Hier singt sie erstmals vorwiegend auf Englisch. Da sie bisher aus Überzeugung in ihren zwei Muttersprachen gesungen hat, ist das durchaus eine Überraschung. Aber auch die englische Sprache gehört zu ihrer Identität. Tatsächlich hat ihre Familie Wurzeln in Irland, England, Schottland und anderen Teilen Grossbritanniens. Auf Englisch zu singen, sei jetzt ein Versuch, verschiedene Einflüsse zu verstehen.
Auf «Utopia» wird Las Vegas zum Thema – «weil das mein erster Job war, das erste Mal von zu Hause weg». Das sei für sie eine irre Erfahrung gewesen: «Magisch und filmisch – samt all diesen Teenager-Dingen: Technoklubs, Drogen, Essstörungen, aber auch eine tiefe Verbundenheit unter Frauen.» Es hat lange gedauert, das alles zu verarbeiten! «Ein Vierteljahrhundert», sagt Saunders lachend. Später handelt das Album dann auch von den ersten Gehversuchen in der Londoner Musikszene der nuller Jahre sowie von der Zeit bei The Pipettes.
Sanftere Klänge
Auch musikalisch hat sich auf «Utopia» einiges verändert: Gwenno Saunders komponierte am Klavier statt wie bis anhin am Laptop. Die Musik klingt merklich sanfter. Und man ist versucht zu sagen: humaner. Es gehe ihr aber nicht um ein musikalisches Statement gegen Technik, vielmehr suche sie einen behutsamen Umgang mit dieser. «Wir befinden uns mit KI und all diesen Dingen an einem historischen Wendepunkt, und es ist wichtig, dass wir verstehen und deutlich machen, was uns als Menschen auszeichnet, auch was uns in unserer Kreativität auszeichnet. Ich wollte wissen, was Musik sein kann, wenn nicht technische Perfektion der treibende Faktor ist.»
Zuletzt singt Gwenno doch nochmals auf Kornisch: In «Hireth» besingt sie die «Sehnsucht nach etwas, das du niemals hattest». Wenn sie sich von der Welt verstecken wolle, Zuflucht und Trost suche, dann wende sie sich dem Kornischen zu, erklärt Gwenno Saunders. Zum Glück liebt Gwenno noch immer auch Spielerei und Witz. Das zeigt sich in «Y Gath», einem Song, den sie zusammen mit den walisischen Musikern Cate Le Bon und H. Hawkline aufgenommen hat: Er handelt von der Kraft von Katzen.