Im letzten Jahr beschloss das Parlament eine Nothilfe für die gebeutelten Stahlproduzenten. Nun wollen Politiker der einheimischen Schwerindustrie auch im öffentlichen Beschaffungswesen entgegenkommen – zum Ärger der Bauwirtschaft.
Es war eine einmalige Rettungsaktion und ein Sündenfall zugleich. Im Dezember 2024 schnürte das Parlament für die kriselnde Stahl- und Aluminiumindustrie ein Hilfspaket. Für die nächsten vier Jahre sollten vier Unternehmen einen Rabatt auf die Nutzung des Stromnetzes erhalten. Kostenpunkt für den Bund: 37 Millionen Franken. Die jahrzehntelang praktizierte Maxime, die Existenz von Unternehmen, die in Schieflage geraten, nicht mit staatlichen Subventionen zu sichern, war plötzlich Makulatur.
Noch bevor einer der vier Stahl- und Aluminiumhersteller überhaupt die «Überbrückungshilfe» in Anspruch genommen hat, ist das Parlament nun daran, der heimischen Schwerindustrie erneut unter die Arme zu greifen.
Dieses Mal jedoch geht es nicht um eine künstliche Verbilligung der Stromkosten für die Unternehmen, sondern darum, ihnen sichere Aufträge durch die öffentliche Hand zu verschaffen. Künftig sollen in öffentlichen Ausschreibungen jene Anbieter von Baustoffen wie Stahl, Aluminium und Zement bevorzugt werden, die möglichst wenig CO2-Emissionen aufweisen.
Schweizer Stahl ist klimafreundlicher
Gerade die Schweizer Stahlwerke sind punkto Nachhaltigkeit und Klima ihren ausländischen Konkurrenten voraus: Da sie Stahlschrott als Grundlage für ihre Produktion verwenden und mit Strom produzieren, stossen sie im Durchschnitt deutlich weniger Treibhausgase pro Tonne produziertem Stahl aus – entsprechend gross sind die Chancen, dass sie jeweils den Zuschlag für die Aufträge erhalten.
Treibende Kraft hinter dem latent protektionistischen Anliegen ist der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller. Anfang April hat die Umweltkommission des Ständerats auf sein Betreiben hin eine entsprechende Motion eingereicht, wenig später doppelte die Schwesterkommission des Nationalrats mit einem gleichlautenden Vorstoss nach. Bereits im Juni soll das Geschäft in beiden Räten behandelt werden.
«Schweizer Unternehmen werden heute gegenüber ausländischen Mitbewerbern benachteiligt, die mit konventionellen, auf fossilen Energien beruhenden Verfahren günstiger produzieren», sagt Müller. Die öffentliche Hand müsse ihre Zulassungs- und Vergabekriterien darum konsequenter an der Nachhaltigkeit ausrichten. Für die Verbreitung klimafreundlicher Baustoffe sei es essenziell, dass erste Absatzmärkte geschaffen würden. «Hier liesse sich das öffentliche Beschaffungswesen als Impuls nutzen.»
In der Stahlindustrie findet Müllers Idee – wenig überraschend – Zuspruch. «Wir produzieren in Gerlafingen den CO2-ärmsten Stahl in Europa», sagt Patrick Puddu, Finanzchef von Stahl Gerlafingen. «Sollte die öffentliche Hand tatsächlich CO2-Vergabekriterien einführen, dann hätten wir hierzulande wieder einigermassen faire Wettbewerbsbedingungen.»
Laut Puddu ist die Schweizer Stahlindustrie unverschuldet in die Krise geschlittert. «Aufgrund des Handelskrieges zwischen den USA und der EU sind wir zwischen die Fronten geraten und aus dem Markt in der EU gedrängt worden.» Zudem profitierten die Stahlwerke in der EU von massiven Transformationshilfen, weil die EU ihre Stahlindustrie verteidigen wolle. Werde die Nachhaltigkeit im Schweizer Vergabewesen nun stärker berücksichtigt, könne man wieder kostendeckende Preise anbieten.
Für die Baustoffindustrie fiele die neue Regelung auch mengenmässig ins Gewicht. Der Staat gehört in der Schweiz zu den grössten Auftraggebern. Insgesamt beläuft sich das Volumen der öffentlichen Beschaffung auf jährlich 41 Milliarden Franken, was etwa 6 Prozent des BIP entspricht.
Bund bummelt beim Klimaschutz
Bisher hatte es der Bundesrat nicht eilig mit dem Klimaschutz im öffentlichen Bauwesen: Vor zwei Jahren hat die Schweizer Stimmbevölkerung das Klimaschutzgesetz angenommen. Darin heisst es, dass Bund und Kantone bei der Erreichung des Netto-Null-Ziels eine Vorbildfunktion wahrnehmen sollten – und bereits bis 2040 unter dem Strich keine Emissionen mehr aufweisen dürften. Doch die Umsetzung des Gesetzes liess bisher auf sich warten. Die Ausarbeitung eines Konzeptes zur Reduktion der vor- und nachgelagerten Emissionen durch Dritte will der Bund erst nach 2025 angehen.
Damian Müller findet das unverständlich. Der Bundesrat müsse das Klimaschutzgesetz rascher umsetzen und auf Verordnungsebene die nötigen Grundlagen dafür schaffen. Denn noch würden Nachhaltigkeitskriterien in Ausschreibungen zu oft kaum oder zu wenig hoch gewichtet. «Das führt dazu, dass beispielsweise CO2-freier Beton aufgrund der Ausschreibungskriterien nicht berücksichtigt wird», sagt der Luzerner.
Im bürgerlichen Lager löst der Vorstoss der beiden Umweltkommissionen allerdings gemischte Reaktionen aus – nicht zuletzt auch in Müllers Partei, der FDP. Als «völlig falsch» bezeichnet sein Parteikollege Christian Wasserfallen das Anliegen. Er befürchtet, dass aufgrund der strengeren Eignungs- und Zuschlagskriterien im öffentlichen Beschaffungswesen viele Anbieter ausgeschlossen werden. «Darunter würde der Wettbewerb leiden, was zulasten der Bauherren und Planer gehen würde.»
FDP ist sich uneinig
Wasserfallen, der bei Bauen Schweiz und weiteren Verbänden der Bauwirtschaft im Vorstand sitzt, widerspricht Müller diametral. Mit dem revidierten Beschaffungsrecht flössen Nachhaltigkeitskriterien bereits heute stark ins Vergabewesen ein. So gehe der Zuschlag gemäss Gesetz nicht mehr an das «wirtschaftlich günstigste», sondern an das «vorteilhafteste» Angebot. «Die Qualitäts- und Nachhaltigkeitskriterien wurden gegenüber dem Preiskriterium bereits deutlich gestärkt, und die Branche fordert diese aktiv ein», sagt Wasserfallen.
Tatsächlich zeigt der Vergabemonitor von Bauen Schweiz, dass mittlerweile 35 Prozent der Ausschreibungen Kriterien für die Nachhaltigkeit definieren. Das sind mehr als doppelt so viele wie noch im Jahr 2023. «Eine Änderung der Verordnung ist nicht notwendig», sagt Wasserfallen. Es gebe bereits alle Instrumente, damit nachhaltige Projekte realisiert werden könnten.
Ähnlich tönt es beim Schweizerischen Baumeisterverband. Man begrüsse zwar, dass die nachhaltige Produktion von Baustoffen gestärkt werden solle. «Die Motionen schlagen aber den falschen Weg ein», sagt der Sprecher Pascal Gysel. Auch der Verband befürchtet, dass die Wahl der Materialien durch die Verankerung zu strenger Kriterien eingeschränkt würde. «Der Zweck des Gebäudes könnte dann weniger stark gewichtet werden als seine Umwelteffekte.» In welchem Ausmass damit auch die Bautätigkeit verteuert würde, könne man derzeit noch nicht abschätzen.
Der FDP-Ständerat Damian Müller betont derweil, dass es ihm nicht darum gehe, bei den öffentlichen Ausschreibungen Protektionismus in einem grünen Mäntelchen zu betreiben. Wer klimaschonend produziere, verdiene eine faire Chance – unabhängig davon, ob es Schweizer Firmen oder ausländische seien. Schweizer Recyclingstahl habe aber diesen Vorteil, und dieser müsse auch belohnt werden.