Der Schweizer Meister verliert gegen Schachtar Donezk 1:2 und bleibt punktlos. Fragen wirft auf, weshalb der Trainer Joël Magnin nach jedem Match das halbe Team auswechselt.
YB ist noch nicht ganz unten angekommen. Da ist immer noch mehr möglich. Also greift sich der Captain Loris Benito im Champions-League-Spiel gegen Schachtar Donezk an den Oberschenkel. Es geht nicht mehr weiter. Gegenüber dem Schweizer Fernsehen spricht der Spieler hinterher von einem «Stich», wie von einem «Messer», es habe in den Adduktoren gezwickt. Er wirkt ratlos, nennt die vielen Wechsel, mit denen das Team konfrontiert sei; und den Sprung vom heimischen Kunstrasen auf den Naturrasen als mögliche Ursache der Verletzungen.
Am Ende fragt Benito: «Wann hört das auf?»
Die Berner erhalten auf dem Weg zu ihrer vierten Niederlage in der Königsklasse eine Art Résumé, weshalb sie sich in dieser Saison mit vielen Widerwärtigkeiten und Unzulänglichkeiten auseinandersetzen, weshalb sie nicht den Tritt finden – und weshalb sie immer wieder stillzustehen scheinen.
Die YB-Abwehr wird zum Versuchslabor
Als Benito gepflegt wird, erzielen die Ukrainer gegen den in diesem Moment dezimierten Gegner den 1:1-Ausgleich. In der Folge wird der Match zum defensiven Berner Notprogramm. Nach dem Ausfall Benitos bilden zunächst Sandro Lauper und Cheikh Niasse die zentrale Abwehr, und als sich in der zweiten Halbzeit auch Lauper am Fuss verletzt und das Spielfeld verlassen muss, rückt Lewin Blum an die Seite Niasses. Blum, der eigentlich Rechtsverteidiger ist, aber mangels Alternative gegen Schachtar zu Beginn Linksverteidiger spielt.
Die YB-Ausgabe 2024/25 ist Improvisation. Das steht spätestens in jenem Moment fest, als der YB-Trainer Joël Magnin eine halbe Stunde vor Schluss den 18-jährigen Nachwuchsspieler Rhodri Smith ins Spiel schickt. Premiere, auf höchster Ebene. Zudem bietet das Spiel drei YB-Captains (Benito, Lauper, Blum). Der Klub sucht dringend vermisste Führungsspieler. Er findet sie nicht. Der Auftritt gegen Schachtar hat Symbolkraft, weil sich das ungeschriebene Gesetz bewahrheitet, dass es immer noch deftiger auf einen hereinbrechen kann, wenn die Dynamik gegen unten dreht.
Die Verantwortlichen tun sich schwer, den Verletzungs-Reigen zu erklären. Der Hinweis auf den Kunstrasen relativiert sich mit dem Blick auf die vergangenen Jahre. Da deutete sich an Blessuren das, was jetzt ist, nicht einmal ansatzweise an. Pikanterweise stellte der Klub im April in einem Video das Tool einer «datenbasierten Belastungssteuerung» vor, das Verletzungsrisiken «minimieren» soll. Das wirkt ein halbes Jahr später aus der Zeit gefallen. Warum auch immer. Natürlich hilft auch die angeschlagene Psyche der fragilen Physis nicht.
YB ist nicht stabil, hat keine Hackordnung, wenig Struktur und Kontinuität. Keine Verlässlichkeit mehr. YB wirkt bisweilen wie ein Jekami-Experiment. Das lässt sich nicht allein mit Verletzungen, Abwesenden und zwangsläufigen Umstellungen begründen.
Magnin kultiviert den Personalwechsel
Der interimistische YB-Trainer Joël Magnin lässt sich nicht beirren und wechselt fast jedes Mal die halbe Mannschaft aus, egal, ob das Team zuvor gewonnen hat, egal, ob wieder jemand verletzt ist, egal, ob Champions League, Inter Mailand oder sonst ein besonderes Spiel ist. Einfach wechseln und allen das Gefühl geben, dass sie gebraucht werden. YB frönt unter Magnin der Basisdemokratie. Oder wie hat der frühere YB-Leader Guillaume Hoarau einst gesungen: «Tous ensemble.»
In Gelsenkirchen nimmt Magnin nach dem 0:0 am letzten Samstag beim FC Zürich sieben Änderungen vor. Er setzt auf den 22-jährigen Goalie Marvin Keller. David von Ballmoos sitzt auf der Ersatzbank, bleibt aber laut Magnin die Nummer 1. Der experimentierfreudige Trainer verzichtet zunächst auf Joël Monteiro, der nach seinem Platzverweis in Zürich (sonderbarer Schuh-Wurf) im heimischen Championat für zwei Spiele gesperrt ist – nicht aber in der Champions League.
Mit Monteiro wird YB besser
Als Monteiro gegen Schachtar nach der Pause eingreift, wird YB besser. Da stellt sich umgehend die Frage, weshalb Monteiro nicht von Beginn weg mitgetan hat. Magnin fördert mit seinem Coaching den Eindruck des zufälligen YB-Mosaiks. Ja, es werden wiederholt Teile herausgerissen, jetzt auch gegen Schachtar Donezk wieder. Aber Magnin entfernt und ersetzt auch Mannschaftsteile, die er nicht anfassen müsste.
Das führt in der Addition zum Themenbereich, wer in der YB-Kabine führend ist. Es sind alle – oder keiner. Die Berner ringen angeschlagen um eine Struktur, um eine Hierarchie, um eine positive Dynamik. In den guten letzten Jahren hätte der Schweizer Meister in der Champions League spätestens gegen Schachtar Donezk etwas Zählbares herausgeholt. Jetzt bleibt er fast zuhinterst in der Tabelle. Vier Spiele, null Punkte, 1:11 Tore. Wäre das Torverhältnis von Slovan Bratislava und Roter Stern Belgrad nicht noch schlechter, wäre er ganz unten.