Russland plant nach Einschätzung westlicher Geheimdienste seinen hybriden Krieg gegen den Westen zu verschärfen. Zu befürchten seien vermehrt Sabotageakte und sogar Bombenanschläge.
Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen nur unfreundlich zu nennen, wäre untertrieben. Die Machtblöcke befinden sich schon lange in einem hybriden Krieg, der sich unter anderem durch den Einsatz nicht offen militärischer Mittel wie Cyberangriffe, Spionage, Desinformation und Propaganda auszeichnet – und in den westlichen Ländern Ängste und Zwietracht säen soll.
Erst kürzlich berichtete die «Washington Post» über ein geleaktes Geheimdokument des russischen Aussenministeriums vom 11. April 2023. Das Papier bestätigt schwarz auf weiss, dass Russland nicht nur die öffentliche Unterstützung für die Ukraine untergraben will, sondern dass der Kreml beabsichtigt, die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten auf Dauer zu schwächen.
«Verletzliche Stellen finden»
So schlägt das Ministerium vor, «Mechanismen zu schaffen, um die verletzlichen Stellen ihrer Aussen- und Innenpolitik zu finden». Gefordert wird eine «offensive Informationskampagne» und andere Massnahmen, die «den militärisch-politischen, ökonomischen und psychologischen Bereich» umfassen.
Auch heisst es in dem Dokument, dass der Ausgang des Krieges in der Ukraine «in hohem Masse die Umrisse der künftigen Weltordnung bestimmen wird». Ganz offensichtlich will Moskau die Invasion eben auch dafür nutzen, um eine globale Ordnung zu schaffen, die frei ist von amerikanischer Dominanz.
Hat Wladimir Putin, bestärkt durch jüngste militärische Erfolge, in seinem verdeckten Krieg gegen den Westen die Gangart verschärft? Dafür gibt es einige Indizien. So wurden in den letzten Wochen gleich in mehreren europäischen Nato-Staaten «feindselige staatliche Aktivitäten» gemeldet. Man sei «zutiefst besorgt» über die hybriden Aktionen auf alliiertem Territorium, heisst es in einer Erklärung, die der Nordatlantikrat, das wichtigste Entscheidungsgremium der Nato, am vergangenen Donnerstag veröffentlichte.
Die Allianz erwähnt Tschechien, Estland, Deutschland, Lettland, Litauen, Polen und das Vereinigte Königreich als Schauplätze von Sabotageakten, Cyberangriffen und anderen Operationen und macht Moskau direkt dafür verantwortlich. Man verurteile das Verhalten Russlands, schreiben die Verbündeten, werde sich aber nicht davon abhalten lassen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen.
Konkrete Details werden in der Erklärung nicht aufgeführt, doch einige Beispiele sind bekannt: So wurden Ende April in Grossbritannien zwei Männer angeklagt, die ein Lager mit Hilfslieferungen für die Ukraine in Brand gesetzt haben sollen. Die britische Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, für die russische Regierung zu arbeiten.
Ebenfalls im April nahm das deutsche Bundeskriminalamt in Bayreuth zwei Russlanddeutsche fest, die einen Stützpunkt der Amerikaner ausgespäht und Sprengstoff- und Brandanschläge auf militärisch genutzte Infrastruktur und Industriestandorte vorbereitet haben sollen. Laut der Bundesanwaltschaft ist es ihr Ziel gewesen, «die aus Deutschland der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg geleistete militärische Unterstützung zu unterminieren».
In Berlin bestellte die deutsche Bundesregierung am Freitag ausserdem den Geschäftsträger der russischen Botschaft ins Auswärtige Amt ein. Ermittler hatten herausgefunden, dass hinter einer Cyberattacke auf E-Mail-Konten des Parteivorstands der SPD im letzten Jahr eine Einheit des russischen Militärgeheimdiensts GRU gesteckt hatte.
In Estland sollen russische Agenten im Februar einen Anschlag auf das Auto des Innenministers und eines Journalisten verübt haben, wie der Inlandsgeheimdienst des Landes berichtete. Seit Wochen werfen die drei baltischen Staaten Moskau darüber hinaus vor, für Störungen des GPS-Signals im Ostseeraum verantwortlich zu sein und so massiv die Sicherheit des Flugverkehrs zu gefährden. Zwei Finnair-Flüge, die im estnischen Tartu laden sollten, mussten im April nach Helsinki umgeleitet werden.
In Schweden gehen die Sicherheitsdienste davon aus, dass hinter einer Reihe von Eisenbahnentgleisungen Sabotageakte stecken. In Norwegen liess die Regierung im April 15 russische Diplomaten aus dem Land weisen, bei denen es sich um Agenten handelte, die für Moskau spionierten. Auch das französische Verteidigungsministerium warnte vor möglichen russischen Sabotageangriffen auf militärische Ziele im Land.
Putin fühlt sich ermutigt
Für Thomas Haldenwang, den Chef des deutschen Verfassungsschutzes, ist derzeit überall auf dem Kontinent von einem erhöhten Risiko staatlich gesteuerter Sabotageakte auszugehen. Russland, sagte er nach der Festnahme der beiden Russlanddeutschen in Bayreuth, fühle sich offensichtlich wohl dabei, Operationen auf europäischem Boden mit «hohem Schadenspotenzial» durchzuführen. Haldenwang hob auch die Bedeutung von russischen Stellvertretern hervor – wozu Mitglieder der russischen Diaspora zählten, die die Medien ihres Heimatlandes konsumierten und für die Propaganda Putins empfänglich seien.
Nach Einschätzung anderer Geheimdienstquellen soll Russland bereits damit begonnen haben, verdeckte Bombenanschläge, Brandanschläge und Angriffe auf kritische Infrastruktur aktiver vorzubereiten. Das berichtet die britische «Financial Times». Die Beweise für eine «aggressivere und konzertierte Anstrengung» gegen den Westen hätten sich gehäuft, schreibt die Zeitung.
In Brüssel ist man alarmiert und will die Verbündeten besser wappnen. Nur wie? Man werde einzeln und gemeinsam agieren und sich eng koordinieren, heisst es denkbar wolkig in der Erklärung des Nordatlantikrats. Auch solle die Widerstandsfähigkeit im Bündnis weiter gestärkt werden, um russische Hybridaktionen abzuwehren.