Homöopathie ist die umstrittenste sowie beliebteste Form der Komplementärmedizin. Seit 200 Jahren diskutieren wir über sie. Warum?
Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach sagt Anfang Januar: «Die Homöopathie bringt keinen medizinischen Nutzen auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sachstandes.» Lauterbach möchte die Homöopathie als Kassenleistung streichen. Krankenkassen sollten nicht Leistungen bezahlen, die medizinisch nichts bringen. Sollten Menschen diese Leistungen wünschen, müssten sie selbst dafür aufkommen oder Zusatzversicherungen abschliessen.
Lauterbach hat mit diesen Aussagen die Gemüter erregt. Viele Deutsche schwören seit je auf die Globuli-Kügelchen oder -Tropfen. Andere finden sie nutzlos und lächerlich. Doch Thema ist die Homöopathie irgendwie immer.
Laut den Befürwortern geht es bei der Homöopathie um mehr als Medizin. Es geht um den Menschen und sein Verhältnis zur Natur, sein Verhältnis zur Gesellschaft. Die Homöopathie-Branche inszeniert sich als Alternative zur Pharmaindustrie. Dabei setzt sie weltweit jährlich mehrere Milliarden um. Allein in Deutschland belief sich der Umsatz mit homöopathischen Mitteln 2022 auf 530 Millionen Euro.
Wie aber hat es mit der Homöopathie angefangen? Wie konnte sie so gross werden? Und wie wirken die Globuli-Kügelchen wirklich?
Die Idee zur Homöopathie hatte ein Mediziner aus Deutschland, Samuel Hahnemann. Hahnemann war Ende des 18. Jahrhunderts auf der Suche nach einer sanften Alternative zur Schulmedizin. Diese bestand damals aus Aderlässen, blutigem Schröpfen oder Brechmitteln wie Quecksilber. Hahnemann glaubte, dass diese rabiaten Mittel den Patienten oft mehr schaden als nutzen.
«Ähnliches mit Ähnlichem heilen»
1790 stiess Hahnemann auf eine Theorie zur Heilwirkung von Chinarinde bei Malaria. Er hielt die Theorie für unplausibel, schluckte die Chinarinde aber trotzdem in grossen Mengen. Das Resultat: Schüttelfrost, Herzrasen, Angstzustände – die Symptome einer Malaria.
Hahnemann zieht aus dem Experiment einen Schluss. Chinarinde hilft gegen Fieber, weil es Fieber verursacht. Was beim Gesunden eine Scheinkrankheit hervorrufe, das kuriere die echte Krankheit. Hahnemann erfindet das erste Grundprinzip der Homöopathie: «Ähnliches mit Ähnlichem heilen».
Und so wird ein Bienenstich in der Homöopathie mit Apis mellifica behandelt, dem Gift der Honigbiene. Sepia, das Sekret des Tintenfisches, soll gegen Menstruationsbeschwerden helfen. Und so weiter.
Das zweite Prinzip der Homöopathie ist die Potenzierung, die Herstellung. Der Wirkstoff wird bei der Herstellung etliche Male verdünnt, etwa per Hand mit Wasser geschüttelt oder für die Globuli-Kügelchen mit Zucker vermischt und verrieben. Dadurch wird nach homöopathischem Verständnis die Wirkung stärker, obwohl die Menge an Wirkstoff jedes Mal abnimmt.
Wie oft ein Wirkstoff verdünnt worden ist, zeigt sich am Potenzierungsgrad. C1 bedeutet: ein Milliliter der Urtinktur wird auf die flüssige Menge in der Grösse eines Weinglases verdünnt. Bei der C12-Potenz wird ein Milliliter Urtinktur auf die Wassermenge des gesamten Pazifiks und Indischen Ozeans verdünnt. So viel zur Theorie.
0 Prozent Wirkstoff, 100 Prozent Zucker
Kritiker sahen diese extreme Verdünnung von Wirkstoffen schon im 19. Jahrhundert als Hauptargument gegen die Homöopathie. Sie sagten: 0 Prozent Wirkstoff, 100 Prozent Zucker. Hahnemanns Thesen polarisierten, und seine Anhänger entwickeln ein Feindbild: die Schulmedizin.
Bis heute hat die Homöopathie ein banales, aber grosses Problem: Ihr fehlt nach wie vor ein schulmedizinischer Nachweis für eine pharmakologische Wirksamkeit ihrer Arzneien. Ebenso fehlt eine wissenschaftliche Begründung, wie die Globuli wirken sollen.
Die ehemalige Homöopathin und Ärztin Natalie Grams unterstützt die Kritik und bekämpft seit Jahren die «sanfte Medizin». Sie schreibt: «Bis heute hat man unzählige klinische Studien durchgeführt. In der Gesamtschau zeigen sie: Je besser sie wissenschaftlich gemacht sind, desto deutlicher zeigt sich, dass es keine verlässliche Wirkung über den Placebo-Effekt hinaus gibt.»
Der Bund klassischer Homöopathen Deutschlands widerspricht. Der Pressesprecher Stefan Reis sagt: «Es gibt durchaus klinische Studien, die eine Wirkung nachweisen, die deutlich über dem Placeboniveau liegt, und zwar sowohl aus dem human- wie auch aus dem veterinärmedizinischen Bereich.» Er müsse aber auch einräumen, dass nicht alle Studien, die im Ergebnis eine Wirksamkeit der Homöopathie zeigten, ordentlich durchgeführt worden seien.
Bei der Studienlage zur positiven Wirkung von Homöopathie akzentuiert sich klar, wie weit die zwei Lager voneinander entfernt sind: Die Homöopathie-Befürworter sind der Meinung, es müsse noch mehr geforscht werden. Homöopathie-Gegner berufen sich auf Hunderte von Studien, die bereits durchgeführt wurden und meist von schlechter Qualität seien.
Eine Analyse des Gesundheitswissenschafters Gerald Gartlehner aus dem Jahr 2023 bescheinigt die schlechte Forschungspraxis. Er sagt, es gebe darüber hinaus ein grosses Problem: 40 Prozent der registrierten Homöopathie-Studien würden nie publiziert. Das führe zu einer verzerrten Einschätzung der Wirksamkeit von Homöopathie. Gartlehner sagt: «Es ist ein bisschen wie das Phänomen bei Selfies – man macht viele, und nur die guten werden auf Instagram veröffentlicht.»
Eine erste grosse Studie stammt aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Nazis beschäftigten sich Anfang der 1930er Jahre mit der Homöopathie und waren begeistert. Sie förderten sie sogar institutionell, erstmals in ihrer Geschichte wird die Alternativmedizin staatlich unterstützt. NS-Grössen wie Heinrich Himmler oder Rudolf Hess sind Verfechter der homöopathischen Medizin, die als «Neue Deutsche Heilkunde» angepriesen wird.
Doch das Interesse an der Homöopathie erlahmt bald. Als Hauptgrund gilt eine grosse Untersuchung zwischen 1936 und 1939 durch den Arzt Fritz Donner. Er macht klinische Versuche, überprüft einzelne Arzneimittel und führt erstmalig Placebo-Versuche durch – alles ohne Erfolg.
30 Jahre später fasst Fritz Donner die Ergebnisse der Untersuchung in einer Stellungnahme zusammen. Die Ergebnisse würden die Basis der gesamten Homöopathie infrage stellen, da die Testpersonen auch bei der Einnahme von Placebo-Medikamenten Symptome entwickeln würden. Für Donner ist die Homöopathie ein «totales Fiasko».
Auch Goethe empfindet eine «lebhafte Wirkung»
Alle die fragwürdigen Studien und die vielen Diskussionen haben dem Erfolg der Homöopathie als Geschäftsmodell aber keineswegs geschadet. Viele Menschen schwören seit Jahrzehnten auf Globuli. Die Hersteller der homöopathischen Mittel erzielen durch die günstigen Inhaltsstoffe unglaubliche Gewinnspannen.
Der Placebo-Effekt hingegen ist in der Forschung gut belegt. Er bezeichnet die lindernde oder heilende Wirkung eines Medikaments, das keinen Wirkstoff enthält. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Zuwendung zum Patienten durch den Arzt sowie persönliche Vorerfahrungen und der schiere Glaube an die Wirkung. Nimmt sich der Arzt oder der Therapeut genug Zeit und fühlt sich der Patient ernst genommen, kann das Scheinmedikament durchaus positive Wirkungen erzielen.
Positive Wirkungen, die auch der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe spürte. In einem Brief an einen Bekannten schrieb Goethe über den Homöopathie-Gründer Samuel Hahnemann: «Ich glaube jetzt eifriger denn je an die Lehre des wundersamen Arztes, seitdem ich die Wirkung einer allerkleinsten Gabe so lebhaft gefühlt und immer wieder empfinde.»
Homöopathie habe eine Wirkung, sagen die Befürworter bis heute. Homöopathie habe keine Wirkung, sagen die Gegner. Die Debatte scheint kein Ende zu nehmen. Immer wieder wird sie neu entfacht.
2019 genehmigte der Bayerische Landtag einen Antrag für eine klinische Studie mit der Frage, ob durch Homöopathie der Einsatz von Antibiotika reduziert werden könne. Erste Ergebnisse soll es im Juli 2024 geben. Spätestens dann wird man wieder über Homöopathie und ihre Wirkung streiten. So wie man es seit 200 Jahren tut.