Die Nachfrage nach Medikamenten gegen Fettleibigkeit ist riesig. Es fehlt aber an Fertigungskapazitäten. US-Restriktionen gegen China drohen das Problem zu verschlimmern.
Der Pharmasektor gehört weltweit zu den wachstumsstärksten Branchen. In den kommenden fünf Jahren dürfte die jährliche Expansion seines Gesamtumsatzes nach Einschätzung von Marktbeobachtern bis zu 8 Prozent betragen.
Die Geschäfte der Medikamentenanbieter werden vor allem durch hochpreisige Neuheiten beflügelt, die eine hohe Wirksamkeit vor allem gegen Krebsleiden und andere chronische Erkrankungen wie multiple Sklerose oder Diabetes versprechen. Stark steigende Einnahmen erwirtschaftet die Branche neuerdings auch mit Präparaten zur Behandlung von Fettleibigkeit.
Der Konzernchef von Roche, Thomas Schinecker, sprach am Mittwoch anlässlich der Präsentation der jüngsten Quartalszahlen davon, dass dieser Markt bis Ende des laufenden Jahrzehnts ein jährliches Volumen von 80 bis 100 Milliarden Dollar und darüber hinaus sogar ein solches von bis zu 150 Milliarden erreichen könnte.
Roche hat anders als der dänische Pharmakonzern Novo Nordisk und der amerikanische Konkurrent Eli Lilly noch kein Medikament gegen Fettleibigkeit auf dem Markt. Das Unternehmen ist laut Schinecker aber bestrebt, «deutlich vor 2030» in diesem lukrativen Geschäft präsent zu sein.
Wenig bekannte, aber unerlässliche Partner
Die hohen Erwartungen, die an die Pharmabranche gestellt werden, sind allerdings nur erfüllbar, wenn ein wenig bekannter Teilbereich dieses Sektors mitzieht. Dabei handelt es sich um die sogenannten Contract Development and Manufacturing Organizations (CDMO). Das sind Firmen, die im Auftrag von Pharma- oder Biotechnologieunternehmen Medikamente herstellen. Auch helfen sie oft bei der Entwicklung von Pharmaprodukten mit.
Dieser Geschäftszweig hat sich in den vergangenen Jahren ebenfalls stark ausgedehnt. Weltweit soll es rund 500 von ihnen geben. Laut Angaben der Zürcher Kantonalbank gelang es den Lohnherstellern bis anhin sogar, das Wachstum des gesamten Pharmamarktes zu übertreffen. Inzwischen wird ihr Gesamtumsatz auf rund 150 Milliarden Dollar geschätzt.
Bis Ende dieser Dekade sagen Marktbeobachter den Auftragsfertigern ein jährliches Wachstum von rund 7 Prozent voraus. Weil selbst grosse Pharmaunternehmen bei der Entwicklung und der Produktion von Medikamenten verstärkt auf die Unterstützung externer Spezialisten setzen, mutet diese Vorgabe nicht übertrieben ambitioniert an. Viele Medikamentenanbieter verfügen gar nicht mehr über die Ressourcen, komplexe neuartige Krebspräparate und andere moderne Therapien von A bis Z selbst herzustellen.
Flaschenhals bei der Abfüllung
Wie stark die Pharmabranche inzwischen auf Firmen aus dem CDMO-Bereich angewiesen ist, zeigte sich während der Pandemie. Ohne die Mithilfe von Lohnherstellern hätten die Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 nie im selben Tempo entwickelt und in den benötigten riesigen Mengen produziert werden können.
Mit den neuen Präparaten gegen Fettleibigkeit öffnet sich der Pharmabranche ein weiterer Massenmarkt. Wie aus Branchenkreisen zu vernehmen ist, hat sich wegen der hohen Nachfrage ein Flaschenhals bei der fertigen Formulierung sowie der Abfüllung der Medikamente gebildet. Die bisher erhältlichen Produkte werden mithilfe von Einwegspritzen verabreicht, die sich die Patienten selbst setzen können.
Ein führender Anbieter im Bereich der Abfüllung flüssiger Arzneimittel ist der US-Lohnhersteller Catalent. Doch soll nun ausgerechnet er für 16,5 Milliarden Dollar von der Beteiligungsgesellschaft Novo Holdings übernommen werden, welche die Stimmenmehrheit bei Novo Nordisk hält. Im Rahmen einer nachgelagerten Transaktion will Novo Nordisk zudem Novo Holdings zum Preis von 11 Milliarden Dollar drei Fabriken von Catalent abkaufen.
«Unorthodoxer Akt»
Der Verkauf von Catalent hat zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen. Der Vertreter eines Konkurrenzunternehmens, der namentlich nicht genannt werden möchte, spricht von einem «unorthodoxen Akt». Bisher kam es in der Pharmabranche so gut wie nie vor, dass ein Medikamentenanbieter einen Lohnhersteller übernahm.
Auch der Chef von Roche wundert sich. Schinecker liess in der Telefonkonferenz durchblicken, dass es ein falscher Entscheid wäre, wenn die Wettbewerbsbehörden den geplanten Besitzerwechsel durchwinken würden. Zugleich betonte er zusammen mit der Leiterin der Pharmasparte, Teresa Graham, dass Roche ausreichend Kapazitäten bei anderen Lohnherstellern reserviert habe. Laut der Roche-Führung könnte es aber für kleinere Pharmaunternehmen zu einem Problem werden, falls sie wegen des Eigenbedarfs von Novo Nordisk keinen Zugang mehr zu Kapazitäten von Catalent hätten.
Wuxi Biologics im Visier amerikanischer Politiker
Zu einem weiteren, wohl noch deutlich grösseren Hindernis könnte für Medikamentenanbieter ein geplantes neues US-Gesetz werden. Die sogenannte Biosecure Act, die im vergangenen September bereits vom Repräsentantenhaus verabschiedet wurde, den Weg aber auch noch durch den Senat nehmen muss, sieht weitgehende Restriktionen gegen Lohnhersteller aus China vor. So sollen staatliche US-Institutionen wie die Krankenversicherung Medicare keine Medikamente mehr beziehen können, bei deren Produktion und Entwicklung Firmen involviert waren, denen das Gesetz eine zu grosse Nähe zur chinesischen Regierung unterstellt.
Welche Unternehmen aus China im Visier amerikanischer Politiker sind, ist nicht abschliessend geklärt. Allerdings kursieren diverse Namen, darunter auch jene bedeutender chinesischer Auftragsfertiger wie Wuxi Biologics sowie der Schwesterfirma Wuxi Apptec. Die beiden Konzerne erwirtschafteten 2023 zusammen einen Umsatz von umgerechnet 8,1 Milliarden Dollar.
Wuxi Biologics ist unter anderem als Hersteller von Peptiden bekannt, aus denen der Wirkstoff für die Abnehmspritzen besteht. Das Unternehmen steht damit in Konkurrenz unter anderem mit den drei Schweizer Peptid-Spezialisten Bachem, Polypeptide und Corden Pharma.
Bei Roche arbeitet man wie bei vielen anderen westlichen Pharmakonzernen daran, Abhängigkeiten von chinesischen Lohnherstellern zu verringern. Das Unternehmen tut dies allerdings nur widerwillig, wie der Konzernchef Schinecker deutlich machte: «Vorhaben wie die Biosecure Act machen das Leben für Firmen mit globalen Wertschöpfungsketten viel komplizierter.»