Trend
Dünne Sohlen, minimalistische Silhouetten: An vielen neuen Schuhentwürfen der Designermarken ist nicht viel dran, und auch Celebritys propagieren den Barfuss-Look.
Es ist ein Zyklus, der sich in der Mode inzwischen etabliert hat: Kleidungsstücke oder Accessoires, die in erster Linie eine Funktion erfüllen müssen und nach traditionellen Massstäben nicht als schön gelten, werden plötzlich als modisch umdefiniert. Birkenstocks, Opa-Sandalen, Outdoor-Jacken oder Bauchtaschen – alles Dinge, über die Modefans früher die Nase gerümpft hätten und die heute selbstverständlich in den coolsten Concept-Stores zu finden sind.
Eine ähnliche Entwicklung macht nun auch der Barfuss-Schuh durch. Genau, ebenjene dünnen Hüllen, die je nach Design wie Slipper oder Strümpfe aussehen können, die in manchen Fällen auch mit Zehentrennern ausgestattet und gerne einmal an das Schuhwerk einer Unterwasserkreatur erinnern. Ihre Form, die ohne dicke Absätze oder Polsterungen auskommt, soll dem Fuss ein möglichst naturnahes Gehen ermöglichen, dadurch die Muskulatur stärken und Schmerzen und Fehlstellungen vorbeugen.
Eine tolle Sache, nur wirklich gut sahen die Gesundheitsschuhe nie aus. Trotzdem wird der Barfuss-Look gerade als Vorbild für neue Designermodelle genommen und von Stars als Fashion-Accessoire getragen. So haben beispielsweise sowohl Bottega Veneta als auch The Row Strumpfschuhe im Programm, die wie ein Stiefel übergestreift werden, aber mit kaum mehr auskommen als mit einer dünnen Sohle und einem weichen, eng anliegenden Schaft, der bei Bottega Veneta übrigens aus gestricktem Leder besteht. Von The Row wiederum stammen die Nude-farbenen Mesh-Slipper, kaum dicker als ein Nylonsöckchen, in denen Jennifer Lawrence im vergangenen Januar gesehen wurde.
Solche Modelle werden von der Modepresse aufgrund der transparenten Materialien auch «Naked Shoe» genannt, beim Barfuss-Schuh geht es jedoch weniger um nackte Haut, als vielmehr um eine minimalistische Form. Die fällt heute umso mehr auf, als die Schuhtrends der vergangenen Jahre das genaue Gegenteil propagierten: breite Sohlen, klobige Silhouetten. Der «Triple S»-Sneaker von Balenciaga, ein Ungetüm mit der Eleganz eines Motorradreifens, gehörte nach seinem Launch im Jahr 2017 lange zu den beliebtesten Designer-Sneakers überhaupt. Bottega Veneta selbst gelang noch unter der Leitung des früheren Kreativdirektors Daniel Lee ein It-Piece mit einem mächtigen Lederstiefel mit einer Sohle, so dick wie ein Surfbrett.
Bei Barfuss-Schuhen wird jede Art von Polsterung oder Verstärkung so gering wie möglich gehalten, weil es eben darum geht, die Fussmuskulatur zu beanspruchen und dadurch zu stärken. Für eine neue Generation gesundheitsbewusster Konsumenten, die ihre Reinigungsprodukte auf den Chemikalieninhalt überprüft und nur noch Manufakturbrot vom Sauerteigexperten isst, ist es durchaus logisch, dass man auch seinen Füssen ein möglichst unverfälschtes und natürliches Erlebnis bietet. Eben das war auch schon immer das Verkaufsargument von Birkenstock, das beim Launch seiner allerersten «Madrid»-Sandale im Jahr 1963 die Mission verkündete, den Fuss zu befreien. Dass die Botschaft bis heute ankommt, beweist der Erfolg des Unternehmens.
Generell haben ungewöhnlich oder gar hässlich aussehende Schuhe in den vergangenen Jahren immer wieder einen besonderen Reiz ausgeübt, so dass mit «Ugly Shoes» sogar ein eigener Begriff für den Trend gefunden wurde. Im vergangenen Jahr sorgte zudem ein weiterer Celebrity für Aufsehen, weil er sich dem Tragen «richtiger» Schuhe anscheinend komplett verweigerte: der Rapper Kanye West, der sich heute «Ye» nennt. Im vergangenen Sommer sorgte er für Aufsehen, als er mit seiner Frau Bianca Censori barfuss durch Italien lief und mit diesem Look sogar in edlen Restaurants einkehrte.
Noch viel öfter trug er zudem schwarze Strumpfschuhe, die sich als neues Schuhmodell seines Labels Yeezy entpuppen sollten. Dieses betreibt West heute ohne die Kooperation mit Adidas; das Unternehmen beendete die Zusammenarbeit mit dem Rapper 2022 aufgrund von dessen antisemitischen Äusserungen. Laut Medienberichten sollten die Strumpfschuhe gegenwärtig auf der Website von Yeezy zur Vorbestellung erhältlich sein, jedoch findet man sie dort derzeit nicht.
Fans interpretierten Wests plötzliche Barfuss-Begeisterung als kleinen Racheakt gegenüber Adidas, als Versuch, einen hyperminimalistischen Nichtschuh ohne jegliches Logo als cool zu etablieren und der Firma damit eins auszuwischen. In jedem Fall hat der Künstler, wieder einmal, einen Nerv getroffen. Irgendetwas inspiriert Menschen derzeit dazu, ihre Füsse leichter durchs Leben gehen zu lassen. So viel, wie diese auszuhalten haben, haben sie es ja so schon schwer genug.