Todesfälle, Angriffe auf Polizisten und leidende Tiere: Feuerwerk sorgt nicht nur für funkelnde Augen. Aber bei einem Verbot werden hohe Entschädigungszahlungen an die Industrie fällig.
Jack hatte keine Chance. Der 14-Jährige aus Rotterdam wollte in der vergangenen Silvesternacht einen vermeintlich defekten Feuerwerkskörper nochmals anzünden – und wurde auf der Stelle getötet, als dieser explodierte. Gemäss der Zeitung «AD» spielte sich das Drama vor den Augen seines Vaters und den beiden Brüdern ab. Einen Tag später erlag ein 46-jähriger Mann den Verletzungen, die er sich ebenfalls wegen unsorgfältigen Umgangs mit Pyrotechnik zugezogen hatte.
Die beiden Todesfälle sind nur die bekanntesten Feuerwerkunfälle, welche die Niederlande Anfang 2025 erschütterten. Gemäss Zahlen der niederländischen Behörden mussten sich alleine in jener Nacht 1162 Personen deswegen in ärztliche Behandlung begeben, 37 Prozent von ihnen waren unter 16 Jahren. Die Feuerwehr wurde zu 4100 Bränden gerufen. Und: 295 Polizisten und 49 Rettungskräfte wurden verbal oder körperlich angegriffen, zahlreiche von ihnen mit Feuerwerk. Hinzu kommen die negativen Folgen für Tiere, Umwelt und Klima.
Die Kumulation all dieser Faktoren hat in der niederländischen Politik zu einem radikalen Umdenken geführt: Am Dienstag hat die Zweite Kammer ein generelles Verkaufsverbot für Feuerwerk beschlossen. Die noch ausstehende Zustimmung des Senats gilt als sicher. Die Niederlande werden damit zu einem der restriktivsten Länder Europas, lediglich Irland kennt ähnlich strenge Richtlinien.
Zündverbot bewirkt wenig
Dabei regulieren die Niederlande den Umgang mit Feuerwerk bereits jetzt verhältnismässig strikt: Die Knallkörper dürfen nur gerade in den Tagen vor Silvester verkauft werden. In 19 Gemeinden, darunter den grossen Städten, ist das Abfeuern von Knallkörpern untersagt. Weil aber der Verkauf weiterhin erlaubt ist, bewirkt das Verbot wenig, wie die zahlreichen Vorfälle auch in diesen Gemeinden zeigen.
Nur wenn auch der Handel verboten wird, kann man des Problems Herr werden, so hofft die Parlamentsmehrheit, die dank dem Umschwenken der Zentrumspartei NSC möglich geworden ist. Die Massnahme gilt nur für Privatpersonen: Behörden sowie Organisationen der Zivilgesellschaft, die einen öffentlichen Anlass organisieren, dürfen sich weiterhin mit Feuerwerk eindecken, sofern sie gewisse Sicherheitsmassnahmen einhalten.
Ausgerechnet die liberalen Niederlande
Am Ursprung der Gesetzesänderung steht Jesse Klaver, der Vorsitzende von GroenLinks. Dass ausgerechnet die Niederlande mit ihrer liberalen Tradition zum kontinentaleuropäischen Verbotsvorreiter werden, erachtet er nicht als Widerspruch: «In unserer Gesellschaft gibt es eine Vielzahl von Einschränkungen der individuellen Freiheit: Am Anfang störten sich auch alle über Sitzgurte oder das Rauchverbot in Innenräumen – und nun will niemand mehr zurück», sagt er auf Anfrage.
Unzufrieden ist er hingegen mit der Detailberatung des Feuerwerksverbots. Seine Partei, das sozialdemokratisch-grüne Bündnis, drängt auf eine Inkraftsetzung per Ende Jahr, die Parlamentsmehrheit wollte ein Jahr mehr Zeit einräumen.
Hauptgrund dafür sind die Entschädigungszahlungen, die zugunsten der Feuerwerksindustrie fällig werden. Je entfernter der Stichtag ist, desto geringer ist der Anspruch – wobei die Höhe noch offen ist. Klever spricht von maximal 150 Millionen Euro. Die Industrie will für die Geschäfte, die ihr entgehen, bis zu 900 Millionen.
Am kommenden Silvester können es die Niederländer also ein letztes Mal krachen lassen, bevor sie nur noch zuschauen dürfen. Präventionsfachleute befürchten, dass die Feierlichkeiten dieses Mal deshalb noch mehr aus dem Ruder laufen könnten als in den Vorjahren.
Deutsche Bundesregierung gegen «Böllerverbot»
Klar ist: Im übrigen Europa schaut man mit Interesse auf die Niederlande – denn die Erfahrungen im Umgang mit den immer gefährlicheren Knallkörpern ähneln sich. Auch in Deutschland kommt es jede Silvesternacht zu unzähligen Personen- und Sachschäden in Zusammenhang mit Feuerwerk. Alleine letztes Jahr sind fünf Personen gestorben. Bisher hat sich die Bundesregierung jedoch stets gegen ein «Böllerverbot» ausgesprochen, zumal die Gemeinden bereits jetzt entsprechende Erlasse verabschieden können.
Die Schweiz, wo am 1. August, dem Nationalfeiertag, mehr noch als an Silvester geböllert wird, stimmt voraussichtlich über ein Verbot ab. Eine entsprechende Volksinitiative ist zustande gekommen, das Geschäft liegt nun im Parlament. Die zuständige Kommission des Nationalrats hat sich für einen indirekten Gegenvorschlag ausgesprochen.
Die Beweggründe für ein Verbot sind hierzulande freilich anders gelagert als in den Niederlanden. Angriffe auf Polizisten und Sanitäter sind selten. Den Initianten geht es in erster Linie um die Umwelt und um das Tierwohl. Als sie die Unterschriftsbögen bei der Bundeskanzlei einreichten, brachten sie putzige Hunde mit.