Nebst einem Badetuch, Sonnencrème und einer Kopfbedeckung gehört für viele auch ein gutes Buch mit in die Badi-Tasche. Fünf Tipps für den Saisonstart.
«Im Meer waren wir nie» von Meral Kureyshi
In der Badi vergehen die Stunden gefühlt langsamer als anderswo – erst recht, wenn man alleine dort ist und einfach nur daliegt, die Umgebung beobachtet, vielleicht mal kurz einnickt, ehe man wieder das Buch zur Hand nimmt. «Im Meer waren wir nie» von Meral Kureyshi zum Beispiel. Das im Februar erschienene Buch passt gut zu einem langsamen Badi-Tag, nicht nur wegen des Covers, das ein Schwimmbecken zeigt.
Die Schweizer Autorin Meral Kureyshi erzählt in ihrem dritten Roman vom Älterwerden. Es geht ums Alleinsein, um Menschen, die in der modernen Gesellschaft häufig etwas vergessengehen, aber selbst nicht vergessen, wie eine Protagonistin im Buch es so schön formuliert. Und es geht um das Altersheim – als letzten Ort vor dem Tod.
Hier lebt die 90-jährige Lili. Sie ist die Grossmutter von Sophie, die wiederum die beste Freundin der namenlosen Ich-Erzählerin ist, die sich um Lili kümmert. Lilis Tochter bezahlt sie dafür; es gibt sogar einen Vertrag. Die Ich-Erzählerin besucht Lili, geht mit ihr einkaufen, teilt mit ihr einen Wein und vor allem: hört ihr zu. Zwischen den Frauen entwickelt sich eine Freundschaft, wie auch die Freundschaft der Ich-Erzählerin und Sophie im Buch eine wichtige Rolle spielt.
Die beiden Frauen wohnen im gleichen Haus, beide in eigenen Wohnungen, aber unter einem Dach, und sie ziehen gemeinsam Sophies Sohn Eric gross. Alles scheint zu laufen, wie es soll, jede ist für die andere da, wo sie gebraucht wird. Aber wie es eben so ist im Leben, kommt immer auch mal ein Wendepunkt, der bestehende Konstrukte auf den Kopf zu stellen droht.
«Im Meer waren wir nie» ist nicht linear erzählt. Die Handlung springt vor und zurück, beginnt aber nicht irgendwo, sondern mit dem Abschied, der Beerdigung von Lili. Das mag etwas deprimierend klingen, tatsächlich hinterlässt die Lektüre dieses Buches aber das gegenteilige Gefühl.
Buchtipp von Lea Hagmann
«Im Meer waren wir nie» von Meral Kureyshi
Limmat-Verlag, 216 Seiten, 30 Franken.
«Eve’s Hollywood» von Eve Babitz
Am besten wäre es, man läse Eve Babitz am Strand in Los Angeles oder auf einem orangen Liegestuhl im «Chateau Marmont». Aber eine Badi tut es auch. Denn «wenn in L. A. jemand korrupt wird, findet das immer am Pool statt», schreibt Babitz in «Eve’s Hollywood». Die Memoiren der Autorin aus den fünfziger und sechziger Jahren in ihrer kalifornischen Heimatstadt sind aufgeteilt in Essays und getaucht in Sonnenlicht. Und sie sind charakterisiert von Lust: Lust auf Abenteuer, Lust auf die Schuhe der coolen Mädchen in ihrer Highschool, Lust auf Männer und Tiki-Bars und Autofahren und auf keinen Fall auf Langeweile.
Also folgt man Babitz auf ihren Erkundungstouren und wünscht sich, man könnte genauso zwischen Leichtigkeit und Tiefgründigkeit hin und her springen, wie sie es tut. Doch als Tochter einer Künstlerin und eines Musikers und als Patenkind von Igor Strawinsky ist ihre Position als «Spionin im Land der Privilegierten», wie sie es selbst beschrieb, einzigartig. Zusammen mit ihrer Auffassungsgabe und ihrer präzisen und lustigen Sprache macht das Babitz neben Joan Didion zu einer der grossen Chronistinnen dieser Zeit und dieses mythischen Orts.
Zwischen den Essays wird man sich etwas abkühlen müssen, entweder im Wasser oder mit Glace. Letztere beschreibt Babitz genauso genüsslich wie die Menschen, die sie begehrt: Sei es «Will Wright’s chocolate burnt-almond ice cream cone» oder gefrorene «Look Bars», «which we shattered against the counter in their wrappers and ate the splintered pieces which were heaven».
Buchtipp von Jana Schibli
«Drei Wochen im August» von Nina Bussmann
Am besten geht man mit diesem Buch alleine in die Badi – Nina Bussmanns kurze, eindringliche Sätze nehmen einen ganz in Beschlag, man wird von ihnen überfallen, mitgerissen. Ihr Buch spielt an der französischen Atlantikküste, drei Wochen verbringen dort Elena, freie Kuratorin, ihre Kinder Linn und Rinus und Eve, Kindermädchen und für alle Bezugsperson. Vater Kolja kann nicht die ganze Zeit mit: die Arbeit.
Zugleich ist das Buch eine Momentaufnahme der Gesellschaft, eine Studie des sogenannten Bildungsbürgertums. Darüber, wie Kinder gesehen werden («. . . sie sollen nicht den ganzen Tag in Betreuungseinrichtungen verbringen, voll von schreienden Kindern, mit der schrecklichen Angst, nicht gehört zu werden»), über ungeschriebene Verhaltensregeln, etwa, als Eve Elena beim ersten Kennenlernen die Hand hinstreckt («Damals war das eine ganz normale Geste, nur kannte ich kaum Menschen, die das taten. Meine Freunde und ich küssten und umarmten uns, alle anderen fasste man gar nicht an»).
Nach der Ankunft am Haus am Meer entwickelt sich ein Kammerspiel, vorangetrieben durch äussere Umstände, die auch schon Dramatik in sich tragen: Waldbrände, unangekündigte Gäste und durch innere, namentlich schon länger schwelende Konflikte. Ist das Buch ausgelesen, kann man den Sprung ins kühle Wasser gut vertragen.
Buchtipp von Malena Ruder
«Drei Wochen im August» von Nina Bussmann
Verlag Suhrkamp, 317 Seiten, etwa 30 Franken.
«Klarkommen» von Ilona Hartmann
Drogenrausch, unzählige Affären, lebensverändernde Reisen. So wird das Leben Zwanzigjähriger in Literatur und Film dargestellt. Und genau darum geht es im Roman «Klarkommen» von Ilona Hartmann nicht.
Der Roman erzählt die Geschichte der namenlosen Ich-Erzählerin und ihrer beiden besten Freunde, Leon und Mounia. Sie wachsen in einer Kleinstadt auf, die nicht viel mehr als ein Irish Pub zu bieten hat. Hier wird das Leben begriffen als ein «störungsanfälliger Minimalraum, in dem es sich gleichförmig zu bewegen galt». Nach Abschluss des Abiturs folgt deshalb der Auszug – beziehungsweise Ausbruch – in die Grossstadt.
Doch will der Ich-Erzählerin das Ausbrechen irgendwie nicht gelingen. Die idealisierten «coolen Leute» scheinen unerreichbar. Ihr heimlicher Crush Leon dated ständig andere Frauen. Zu den Partys traut sie sich nicht, sagt krankheitshalber ab. «Wenn nichts passierte, war es auf eine Art besser, als wenn eine der zehn Millionen Möglichkeiten einer Millionenstadt eintraf. Weil: Wer wusste schon, was da kam und ob wir das aushalten würden.»
In «Klarkommen» passiert wenig. Deswegen ist der Roman so gut. Während des Lesens denkt man sich ständig, ganz so langweilig ist mein Leben doch nicht. Der Roman lässt einen mit einem positiven Gefühl der Ernüchterung zurück und macht deutlich: Überforderung, Ausgeschlossenheit und Alltägliches gehören zum Erwachsenwerden dazu. Gerade zum Sommer passt die Lektüre, ist das doch die Jahreszeit, an welche die grössten Erwartungen gestellt werden.
Buchtipp von Claude Menzi
«Klarkommen» von Ilona Hartmann
Park x Ullstein, 192 Seiten, etwa 20 Franken.
«Bonjour Tristesse» von Françoise Sagan
Françoise Sagans Debütroman von 1954 spielt in einer Villa an der Côte d’Azur. Erzählt wird aus der Perspektive der 17-jährigen Cécile, die mit ihrem Vater und dessen freigeistiger junger Geliebter Elsa den Sommer in Südfrankreich verbringt. Sie leben in einer sonnengetränkten Welt voller Leichtigkeit und Schönheit, geniessen das Nichtstun, faulenzen am Strand, schwimmen, essen und trinken. Schule spielt keine Rolle, Geld auch nicht. Auch Céciles Affäre mit dem Nachbarsjungen Cyril fügt sich in diese Dynamik.
Die Ankunft von Anne, einer Modedesignerin und alten Freundin der verstorbenen Mutter, bringt das Gleichgewicht ins Wanken: Sie beginnt auch eine Beziehung mit dem Vater, will Cécile zum Lernen zwingen und den Kontakt zu Cyril unterbinden. Cécile fühlt sich bedrängt, sieht ihre Freiheit bedroht – und schmiedet einen Plan.
«Bonjour Tristesse» ist eine wunderbare Geschichte über die komplexe Beziehung zwischen drei Frauen aus unterschiedlichen Generationen, die denselben Mann verehren und um dessen Anerkennung buhlen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Jede hat einen faszinierenden Charakter, identifizieren kann man sich mit allen dreien, zumindest zeitweise: der eifersüchtigen Elsa, die das mit viel Mühe zu verstecken versucht, mit Anne, die einen launischen Teenager erziehen will, mit Cécile, die durch Annes Strenge um die Leichtigkeit ihres unbeschwerten Lebens fürchtet.
Es ist ein schlankes, präzise geschriebenes Buch; man hat den französischen Klassiker innerhalb kurzer Zeit gelesen. Wer am Beckenrand aber auch lieber das Nichtstun geniesst: Diesen Frühling kommt eine neue Verfilmung von Durga Chew-Bose in die Kinos. Erste Bilder und der Trailer versprechen ein sensibles, kunstvoll inszeniertes und bildgewaltiges Drama mit der Schönheit der Côte d’Azur, der Newcomerin Lily McInerny und Chloë Sevigny in den Hauptrollen.
Buchtipp von Sonja Siegenthaler
«Bonjour Tristesse» von Françoise Sagan
Ullstein-Verlag, 176 Seiten, etwa 20 Franken.