US-Präsident Trump könnte Zölle auf Medikamente erheben. Damit träfe er eine Branche, die für die Schweiz stark an Bedeutung gewonnen hat.
US-Präsident Donald Trump sorgt mit seiner erratischen Zollpolitik weltweit für Verunsicherung. Zölle könnte es auch für Medikamente geben, die in die USA importiert werden. Trump hat dies nach seiner Amtseinführung angekündigt. Der Präsident will so dafür sorgen, dass Pharmaprodukte künftig verstärkt in den USA hergestellt werden.
Die Zolldrohungen sorgen in der Schweiz für Unbehagen. Mit Roche und Novartis wären zwei der grössten Schweizer Unternehmen betroffen. Wie wichtig ist die Pharmabranche für die Volkswirtschaft, und wie verletzlich ist sie?
Pharma wird immer wichtiger
Die Bedeutung einer Branche für den Wohlstand in einem Land lässt sich am besten daran messen, welchen Beitrag sie für die wirtschaftliche Wertschöpfung leistet. Das Gewicht der Pharmaindustrie ist in den letzten 25 Jahren stark gewachsen. Um die Jahrtausendwende trug sie erst 2 Prozent zur Schweizer Wirtschaftsleistung bei. Mittlerweile sind es 5 Prozent.
Mit dem fulminanten Aufstieg hat sich die Pharmaindustrie einen Platz unter den wichtigsten Wirtschaftszweigen gesichert. Beispielsweise hat Pharma die Banken eingeholt. Der Finanzsektor war lange der Inbegriff der Schweizer Wirtschaft gewesen. Aber nach der Finanzkrise von 2007/08 hat er an Bedeutung verloren.
Die Bedeutung der Pharmabranche zeigt sich auch im Vergleich mit anderen Wirtschaftszweigen. Beispielsweise ist die Landwirtschaft politisch ein Riese – bald stellt sie vielleicht fünf von sieben Bundesräten. Aber wirtschaftlich ist sie ein Zwerg. Die Bauern schaffen nur ein Zehntel so viel Wertschöpfung wie die Medikamentenhersteller.
Ohne Pharma wenig Wachstum
Die Pharmaindustrie ist zudem in den vergangenen zehn Jahren der wichtigste Wachstumsmotor der Schweizer Wirtschaft gewesen. Seit 2012 ist das Schweizer Bruttoinlandprodukt (BIP) real – also inflationsbereinigt – um durchschnittlich 1,9 Prozent pro Jahr gestiegen. Laut einer Analyse des Wirtschaftsforschungsinstituts BAK Economics gingen 40 Prozent dieses Realwachstums auf das Konto der Pharmabranche.
Zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum wesentlich beigetragen haben ebenfalls die Finanzbranche, das Gesundheits- und Sozialwesen, die unternehmensnahen Dienstleistungen und der IT-Sektor. Doch der Wachstumsbeitrag dieser vier Branchen zusammengenommen ist gerade einmal so gross wie jener der Pharmaindustrie. Deren grosse Bedeutung rührt daher, dass die Schweizer Medikamentenhersteller ihre Produktivität im letzten Jahrzehnt enorm gesteigert haben. Ohne Pharma wäre der Wohlstand in der Schweiz nur dürftig gewachsen.
Ein Riese im Handel mit den USA
Dank der rasanten Entwicklung ist Pharma zur wichtigsten Schweizer Exportbranche aufgestiegen – noch vor Maschinen oder Uhren. Pharmaprodukte machen wertmässig rund 40 Prozent aller Warenausfuhren aus der Schweiz aus. Zu der Kategorie zählen neben pharmazeutischen Produkten auch Vitamine, Diagnostika und Wirksubstanzen.
Besonders im Handel mit den USA ist die Pharmabranche ein Riese. Ihre Produkte stehen für 60 Prozent aller Schweizer Exporte in die USA. Die Vereinigten Staaten sind für die Schwergewichte Roche und Novartis ein ausserordentlich attraktiver Markt, wo sie hohe Preise erzielen können.
Ein Teil dieser Produkte wird nicht nur in der Schweiz entwickelt, sondern auch hier produziert – und dann über den Atlantik geschickt. Roche stellt laut Analytikern beispielsweise seinen Umsatzrenner Hemlibra, der zur Behandlung der Bluterkrankheit eingesetzt wird, zum Teil in der Schweiz her, oder das Krebsmittel Tecentriq. Produktionsstätten in der Schweiz haben auch Novartis, die Pharmazulieferer Lonza und Bachem, die belgische Firma UCB oder die amerikanischen Unternehmen Johnson & Johnson, Biogen und Incyte. Die Firmen stellen hierzulande vor allem hochwertige Wirkstoffe, basierend auf Biotech-Verfahren, her.
Die Wirkung von amerikanischen Zöllen
Wie viel stünde für die Schweizer Volkswirtschaft auf dem Spiel, wenn Trump Zölle auf Pharmaprodukten erheben würde? Verschiedene Reaktionen sind denkbar. Anbieter wie Roche und Novartis würden wohl zunächst versuchen, die Zusatzkosten auf ihre Abnehmer zu überwälzen. Dann würden die Medikamentenpreise in den USA steigen – und die Schweizer Exporte gingen nicht zurück.
Mittelfristig könnte es aber sein, dass die Hersteller ihre Produktion stärker in die USA verlagern würden. Dann könnte jener Teil der Pharma-Wertschöpfung in der Schweiz schrumpfen, der von der Produktion und der Abfüllung von Wirkstoffen herrührt.
Wie gross dieser Schaden wäre, ist schwer zu sagen. Es gibt keine Zahlen dazu, welchen Anteil die Produktion an der Wertschöpfung der Pharmabranche in der Schweiz ausmacht. Laut Branchenexperten dürften andere Tätigkeiten aber wichtiger sein.
Besonders die zahlreichen Arbeitsplätze in der Forschung und Entwicklung, etwa in Basel, gelten als hoch produktiv. Laut dem Branchenverband Interpharma investieren seine Mitgliedsfirmen hierzulande pro Jahr gegen 9 Milliarden Franken in die Forschung. Zudem stellen die Konzernzentralen wichtige Dienstleistungen für das weltweite Geschäft bereit. Diese Aktivitäten dürften für den grössten Teil der Pharma-Wertschöpfung in der Schweiz stehen – und sie wären von amerikanischen Zöllen nicht direkt tangiert.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass die hohen Exportzahlen ein Stück weit täuschen. Exporte lassen sich nicht mit Wertschöpfung gleichsetzen. Wenn Roche oder Novartis ein Medikament über den Atlantik schicken, verrechnen sie zwar den vollen Preis dafür. Aber oft finden vorgelagerte Produktionsschritte in anderen Ländern statt – und diese Vorleistungen müssten von den Exportumsätzen abgezogen werden, um die Wertschöpfung der Schweizer Produktion zu ermitteln.
Dies fällt ins Gewicht, weil es in der Pharmabranche globale Produktionsnetzwerke gibt, in denen innovative Medikamente oft 10 bis 15 Produktionsschritte in verschiedenen Ländern durchlaufen. Beispielsweise führen Schweizer Pharmafirmen viele Erzeugnisse nach Slowenien aus, bearbeiten sie dort weiter und importieren sie dann zurück in die Schweiz. Wie hoch der Wert solcher Vorleistungsimporte ist, hat noch niemand untersucht.
Systemrelevant wohl nur für Basel
Stellt die Pharmabranche ein Klumpenrisiko für die Schweiz dar? Einiges spricht dagegen. So hat zwar die wirtschaftliche Bedeutung der Pharmaindustrie für die Schweiz stark zugenommen. Aber sie ist weiterhin nur eine von verschiedenen grossen Branchen. In der Rangliste nach dem Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung steht sie an siebter Stelle, nach Grosshandel, öffentlicher Verwaltung, Gesundheits- und Sozialwesen, Immobilienbranche, Banken und Baugewerbe.
Zudem ist die Pharmaindustrie im letzten Jahrzehnt für die Schweiz eher eine Klumpenchance als ein Klumpenrisiko gewesen. Ein Vorteil des Sektors ist es, dass der Medikamentenverkauf kaum konjunkturabhängig ist. Diese Stabilisierungsfunktion hat sich während der Corona-Pandemie gezeigt. Die guten Geschäfte der Pharmabranche trugen dazu bei, dass die Schweizer Wirtschaftsleistung in der Corona-Krise weniger stark einbrach als in anderen Ländern.
Dennoch hat das Pharma-Wunder auch einen Preis. Systemrelevant dürfte die Pharmabranche besonders für die Region Basel sein. In der Rheinstadt haben Roche, Novartis und andere Hersteller ein enormes Gewicht. Die Life-Science-Branche sorgt in Basel laut BAK Economics für ein Drittel der wirtschaftlichen Wertschöpfung und 7 Prozent der Arbeitsplätze. Die Unternehmen bescheren der Staatskasse hohe Steuereinnahmen. In Basel dürfte man deshalb mit besonderem Argwohn beobachten, was US-Präsident Trump mit seinen Zollplänen vorhat.