Die militante kurdische Arbeiterpartei hat beschlossen, ihre Waffen niederzulegen. Unklar ist, was mit ihren Kämpfern geschieht und zu welchen Zugeständnissen die türkische Regierung bereit ist.
Nach einem jahrzehntelangen blutigen Konflikt mit dem türkischen Staat hat die bewaffnete kurdische Arbeiterpartei PKK angekündigt, sich aufzulösen. Sie habe ihre Mission erfüllt, teilte die PKK am Montag mit. Die kurdische Frage könne fortan auf demokratischem Wege gelöst werden. Die Delegierten folgten damit einem Aufruf ihres Gründers Abdullah Öcalan von Ende Februar. Öcalan ist seit 1999 auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftiert.
Offenbar fiel der Entscheid vergangene Woche bei einem Kongress im kurdischen Teil des Iraks. Bereits am Freitag hatte aus dem Hauptquartier in den Kandil-Bergen verlautet, es seien «historische Entscheidungen» getroffen worden. Was damit gemeint war, wurde nicht gesagt.
Seit 1984 kämpft die in der Türkei verbotene Organisation mit Terroranschlägen für einen kurdischen Staat oder ein Autonomiegebiet im Südosten der Türkei. Dabei wurden über 40 000 Menschen, neben Tausenden von Sicherheitskräften und PKK-Extremisten auch Zivilpersonen, getötet. Inzwischen ist die PKK von der Forderung nach einem unabhängigen Staat abgerückt. Die Türkei, Amerika und die EU stufen die PKK als Terrororganisation ein.
Was geschieht mit Öcalan?
Präsident Recep Tayyip Erdogans AK-Partei reagierte verhalten auf die Verlautbarung der kurdischen Nationalisten: Wenn die Beschlüsse vollständig umgesetzt und alle PKK-Unterorganisationen aufgehoben würden, sei dies ein bedeutsamer Schritt auf dem Weg zu einer «terrorismusfreien Türkei», sagte ein Parteisprecher. Die einzelnen Schritte würden minuziös überwacht.
Die Regierung spielt damit auf die zahlreichen offenen Fragen an: Was geschieht mit den Tausenden von Kämpfern und den Führungskadern im irakischen Hauptquartier? Sind sämtliche Flügel innerhalb der zersplitterten PKK bereit, auf einen friedlichen Weg umzuschwenken?
Die jüngsten Deklarationen markieren lediglich eine erste Etappe in einem komplexen Friedensprozess, für den es keine Erfolgsgarantie gibt. Die kurdische Seite erwartet von der türkischen Führung Minderheitenrechte, ein Ende der Repression und eine Amnestie für Tausende von Gefangenen, die wegen mutmasslicher Verbindungen zur PKK langjährige Haftstrafen verbüssen.
Die PKK hatte ihre Auflösung zuvor daran geknüpft, dass Öcalan «unter freien Bedingungen» leben und arbeiten kann. Dazu ist bis jetzt aber nichts bekannt. Erdogan hatte eine Freilassung strikt abgelehnt. Einer der bekanntesten Kurdenpolitiker, der frühere Präsidentschaftskandidat Selahattin Demirtas, sitzt seit 2016 aus politischen Gründen ebenfalls hinter Gittern. Ankara widersetzte sich wiederholt der Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Demirtas freizulassen.
Obwohl der türkische Staat und die Kurden seit Monaten Bereitschaft für eine Annäherung bekunden, gibt es auch gegenteilige Signale. Die Regierung enthebt weiterhin prokurdische Bürgermeister ihrer Ämter und ersetzt sie durch Zwangsverwalter. Im Laufe der Jahre hat es immer wieder Friedensbemühungen gegeben, die schliesslich scheiterten. Ein 2013 ausgehandelter Waffenstillstand zerbrach 2015.
Erdogans Kalkül
Dass sich die beiden Seiten überhaupt aufeinander zubewegen, hat mehrere Gründe: Zum einen ist die marxistisch-leninistische Organisation durch die türkischen Angriffe militärisch geschwächt. Zudem sehnt sich die kurdische Minderheit– sie macht einen Fünftel der Bevölkerung der Türkei aus – nach Frieden und Aussöhnung. Auch der Sturz des syrischen Diktators Bashar al-Asad setzte der PKK zu. Ihr syrischer Ableger hat der neuen Regierung in Damaskus signalisiert, ihre Milizionäre vollständig in die Streitkräfte des Landes integrieren zu wollen.
Der Aufruf Öcalans geht auf eine Initiative des ultranationalistischen Regierungspartners von Erdogan, Devlet Bahceli, zurück. Bahceli, lange ein eingefleischter Gegner einer Aussöhnung mit der PKK, hatte im Oktober 2024 die Freilassung Öcalans ins Spiel gebracht, sollte die PKK ihre Waffen niederlegen und sich auflösen.
Hinter dem überraschenden Kurswechsel des Ultranationalisten dürfte Erdogans Kalkül stecken: Der türkische Staatschef braucht die kurdischen Stimmen, um die Verfassung zu ändern und damit die Voraussetzungen für eine weitere Amtszeit zu schaffen.
Analytiker interpretieren Erdogans Taktik auch als Versuch, einen Keil zwischen die Kurden und die anderen Oppositionsparteien zu treiben –insbesondere zu der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) des populären Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu, der ebenfalls mit einer konstruierten Anklage aus dem Verkehr gezogen wurde.
Für die türkische Regierung wäre eine Entwaffnung und Auflösung der kurdischen Extremistenorganisation ein Riesenerfolg. Die unzähligen Militäroperationen gegen die PKK im Irak, in Syrien und in der Türkei haben horrende Summen verschlungen. Zudem schadete der Kampf gegen die Kurden der Reputation der Türkei. Ankara wurde deshalb immer wieder wegen Menschenrechtsverletzungen angeprangert.