Die Touristenstadt an der Adria ist voller Reminiszenzen an den grossen Regisseur. Ein Augenschein.
In manchen Städten sind die Spuren ihrer grossen Töchter und Söhne nur mit einiger Mühe zu verfolgen. Oder mit viel Phantasie. Da steht vielleicht ein Geburtshaus, ein Denkmal, ein Museum, aber nicht viel mehr. Rimini aber, die kleine Stadt an der Adriaküste, ist voll von Federico Fellini (1920–1993). Sogar der Flughafen trägt seinen Namen. Der Filmemacher wurde dort geboren, und er ist dort begraben.
Er kam immer wieder zurück, liess sich inspirieren und trug die Erinnerung an den Ort seiner Herkunft in seine Arbeit. Rimini ist in fast jedem seiner Werke präsent. Und das, obwohl keine einzige Szene wirklich dort gedreht wurde – der Visionär des italienischen Nachkriegsfilms liess die Stätte seiner Geburt in römischen Filmstudios nachbauen.
Fellinis Palast – ein ehemaliges Gefängnis
Heute verbindet die Provinzstadt die Erinnerung an den fünffachen Oscarpreisträger elegant und mit Hinweisen auf eine bis in die Römerzeit zurückreichende Geschichte – bevor es 1943 und 1944 schwer bombardiert und nach dem Krieg vom Massentourismus heimgesucht wurde.
In Rimini entdeckte Fellini seine Liebe zum Kino. In den Armen seines Vaters sah er «Maciste all’Inferno» (1925), dem der Filmhistoriker Vittorio Martinelli «eine aussergewöhnliche Mischung aus Phantastik und Groteske, Sanftheit und Sentimentalität, Komik und Tragik» bescheinigte. Fellini erzählte später, wie das Werk sein filmisches Unterbewusstsein geprägt habe.
Schauplatz dieses Besuchs war das Cinema Fulgor am Corso d’Augusto, das 1914 eröffnet und nach einer längeren Schliessung vor einigen Jahren wieder in Betrieb genommen wurde. Die Renovierung betreute Dante Ferretti, der für Fellini als Szenenbildner gearbeitet hatte, in Filmen wie «Ginger and Fred» (1986), «E la nave va» (1983) und «La città delle donne» (1980).
Das Cinema Fulgor ist heute Teil des Fellini-Museums, das sich über mehrere Orte der Stadt erstreckt. Dessen Herzstück ist das Castello Sismondo, eine von Filippo Brunelleschi entworfene Burg aus dem 15. Jahrhundert in der Altstadt. Bauherr war Sigismondo Malatesta, ein gebildeter Mann mit fragwürdigem Charakter, dem Ezra Pound in seinen Cantos ein Denkmal setzte. Später wurde es zum Gefängnis. Fellini, der grosse Traum- und Albtraumreisende des Kinos, kannte es noch so.
Seit 2021 wird hinter den dicken Mauern des Palasts sein Werk in Installationen gewürdigt, die Ähnlichkeit mit begehbaren Theaterkulissen haben. Das ist nicht nur etwas für Kenner, auch Laien werden über die ausführlichen Begleittafeln informiert und einbezogen. In einem Saal etwa stehen Beichtstühle. Öffnet man deren Flügel, «beichten» Fellinis Mitarbeiter in Filminterviews ihre Beziehung zu ihm.
Im Innenhof gaukelt der lachende Filmscheich aus «Lo sceicco bianco» (1952) auf einer Schaukel über dem Eingang – ein poetischer Einfall, der mit weiteren Dingen, die vom Himmel fallen, fortgesetzt wird. Etwa Drehbuchseiten mit Dialogen aus «La dolce vita» (1960), die aus einem Turm auf den eintretenden Besucher herunterzuflattern scheinen. Eine grosse Christusfigur, die im selben Film per Flugzeug über den Wolken schwebte, breitet nun von der Museumsdecke hängend die Arme über den Eintretenden aus.
Fellini liebte es, aufs Meer zu schauen und es zu bebildern – trotzdem war sein Verhältnis dazu verhalten. Sorgfältig erkundet das Museum seine Strandszenen auf grossen Leinwänden, mit Videoprojektionen aus Filmen wie «Otto e mezzo» (1963) und «Giulietta degli spiriti» (1965). Davor wird die winterliche See durch Stoffbahnen evoziert, die sich im Luftzug von Ventilatoren bewegen. «Die Rollläden heruntergelassen, die Pensionen geschlossen, eine grosse Stille und das Geräusch des Meeres», so erinnerte sich Fellini an die Atmosphäre in der Badestadt, nachdem alle Sommergäste abgereist waren.
Die weitläufigen Ausstellungsräume sind ungewöhnlich, verschwenderisch und phantasievoll ausgestattet, dem Mann angemessen, den sie ehren. Und überhaupt – welcher Filmregisseur hat schon sein eigenes, noch dazu riesenhaftes Museum? Wie in anderen Institutionen solcher Art gibt es auch Filmausschnitte, Requisiten, Skizzen, Kostüme, aber auch Hörbeispiele aus seiner Bibliothek und Zeichnungen: Fellini, der ein begnadeter Zeichner war und seine Karriere in Rom als Karikaturist begann, fing in den sechziger Jahren an, seine Träume aufzuzeichnen, manche davon wanderten später in seine Filme.
Eine Brücke, die über einen Teich führt, verbindet das Castell mit der Piazza, die bis vor wenigen Jahren ein Parkplatz war und heute wie ein angedeutetes Zirkusrund das museale Fellini-Universum mit der Stadt verbindet. Fast alle ihr Läden, Bars und Restaurants tragen das Logo des Museums neben der Tür oder im Schaufenster. Es ist der Schattenriss des Nashorns, das in «E la nave va» (1983) in einem kleinen Rettungsboot steht, das von einer Schiffskatastrophe verschont geblieben ist. Die ganze Stadt ist auf den berühmtesten Mann aus ihrer Mitte eingeschworen.
Als der Wagen mit seinem Sarg 1993 die alte Römerbrücke Ponte di Tiberio überquerte, säumten Tausende den Weg – am Rande der Brücke sind heute die Fotos des Ereignisses zu besichtigen. Der Trauerzug führte zum Cimitero Monumentale, wo er neben seinem als Baby gestorbenen Sohn Pierfederico und Giulietta Masina, der Gefährtin in Leben und Kunst, begraben wurde. Eine Bronzeskulptur von Arnaldo Pomodoro erinnert an ihn. Sie ähnelt dem Segel eines Schiffs.
Ein fünfminütiger Fussweg trennt die Via Dardanelli, in der er 1920 geboren wurde, von dem Grand-Hotel, das eng mit seiner Arbeit, seinem Leben und schliesslich seinem Tod verknüpft war. In der Legende des Stadtplans, der den «Itinerario Felliniano» vorgibt, wird es als «Symbol der verbotenen Träume» bezeichnet. Der Schöpfer von «La dolce vita» (1960) und «Satyricon» (1969) soll als Kind durch die Tore des Grand-Hotels geschaut und damit seine ambivalente, lebenslange Beziehung zum Luxusleben begonnen haben. Als junger Mann sass er in der Lobby und zeichnete die Gäste. Das 1908 erbaute Hotel erinnert auch an eine Zeit, in der Rimini ein eleganter Jugendstilbadeort war.
Es ist ein prachtvoller alter Kasten, der ein paar Renovierungsschleifen ausgesetzt hat, verschwenderisch ausgestattet, aber angestaubt. Auf der Terrasse stehen immer noch dieselben schmiedeeisernen Stühle, die auf einem alten Fellini-Foto im Vestibül zu sehen sind. Das Gebäude bildete die Kulisse für mehrere Szenen in Amarcord (1973), einer Coming-of-Age-Komödie, in der Fellini Mussolini und die katholische Kirche aufs Korn nahm. Als er genug Geld verdiente, war der Regisseur dort regelmässiger zu Gast.
«Sein» Zimmer, in dem er so oft abstieg, ist eine Suite mit Meerblick, im klassischen Zuckerbäcker-Grand-Hotel-Stil. Sie trägt die Nummer 315, und man weiss das, weil historische Hotels historische Zimmernummern so fest in Erinnerung behalten wie die Menschheitsgeschichte ihre Jahreszahlen. Dort erlitt Fellini 1993 einen Schlaganfall, bevor er ein paar Monate später in einem Krankenhaus in Rom starb.