Auf der Strecke vom europäischen Festland nach London hat Eurostar das Monopol. Diverse Investorengruppen wollen aber ein Konkurrenzangebot lancieren. Das senkte die Preise. Doch die Hindernisse sind gross.
London scheint gerade eine Traumdestination zu sein – für Bahnbetreiber und Investoren mit Ambitionen im Zuggeschäft. Selbst das Management der SBB spielt mit dem Gedanken, in die britische Metropole Hochgeschwindigkeitszüge fahren zu lassen. Aber das Unternehmen handelt sich auf dieser Strecke gerade eine Verspätung ein.
Denn das Rennen um internationale Passagiere läuft bereits. Diverse Investoren und Firmen treiben Projekte voran, Städte im Nordwesten Europas mit London zu verbinden. Die besten Chancen, dieses Ziel als Erster zu erreichen, hat Richard Branson, der 74-jährige Gründer des Mischkonzerns Virgin.
Das Unternehmen beabsichtigt, Verbindungen von London nach Paris sowie Brüssel und eines Tages nach Amsterdam anzubieten. Das Projekt kommt zwar langsamer voran als gedacht, doch Branchenvertreter sehen Virgin wegen des angesehenen Firmengründers in einer besseren Position als andere private Konkurrenten, die ebenfalls ins Geschäft einsteigen wollen.
So möchte die neue niederländische Gesellschaft Heuro Verbindungen von Amsterdam über Brüssel nach Paris anbieten. Die Verbindung nach London kommt möglicherweise später hinzu. Eine Gruppe englischer und französischer Geschäftsleute will unter der Marke Evolyn Züge zwischen London und Paris betreiben. Und vor wenigen Tagen enthüllte die zuvor weitgehend unbekannte Neugründung Gemini ähnliche Absichten. Chairman dieser Firma ist ein 85-jähriger britischer Lord.
Ein Monopolist mit hohen Preisen
Früher haben wohlhabende ältere Geschäftsleute gerne Fluggesellschaften gegründet, nun scheinen sie von Hochgeschwindigkeitszügen fasziniert zu sein. Nordwesteuropa, also die Region, die sich von Amsterdam über Brüssel und Paris bis London erstreckt, scheint aber auch wie geschaffen für dieses Transportmittel. Die Gegend ist dicht besiedelt, und die Millionenstädte sind bedeutende Wirtschafts- und Verwaltungszentren. Zudem ziehen sie viele Touristen an. Gleichzeitig sind die Distanzen verhältnismässig gering, so dass Hochgeschwindigkeitszüge mit den Airlines konkurrieren können.
Aber das Interesse der Investoren hängt auch mit einem verbreiteten Unbehagen über die Marktsituation zusammen. Das Hochgeschwindigkeitsgeschäft in der Region wird von einer einzigen Firma beherrscht: von Eurostar, zu deren Aktionären die französische Staatsbahn SNCF und private Investoren gehören. Auf der Tunnelstrecke nach London hat Eurostar sogar das Monopol.
Das stört besonders die private Firma Getlink, die den Tunnel unter dem Ärmelkanal betreibt. Das vor 31 Jahren eröffnete Bauwerk ist bloss zur Hälfte ausgelastet. Damit kann sich eine privat finanzierte Firma nicht zufriedengeben. Getlink wirbt daher aktiv um neue Zugbetreiber, die im Idealfall ihr Angebot anders gestalten als der Monopolist Eurostar.
Dessen Ticketpreise sind an Spitzentagen ähnlich hoch wie jene der Airlines, zum Beispiel auf der Strecke zwischen Amsterdam und London. Sie richten sich wie bei Fluggesellschaften nach dem Zeitpunkt der Buchung und der Auslastung. Adrian Quine, der Chef von Gemini, sieht darin eine Chance. «Wir wollen den Passagieren eine Auswahlmöglichkeit bei einer Monopolroute bieten», sagt er.
Die Zughersteller sind ausgebucht
Gemini sollte sich allerdings beeilen, um von den anderen Konsortien nicht abgehängt zu werden. «Aus meiner Sicht gibt es im Eurotunnel nur Platz für einen weiteren Konkurrenten von Eurostar», sagt Markus Fröhlich von Apex Rail, einem Schweizer Unternehmen, das Eisenbahnen bei der Finanzierung berät. Kein Investor werde das Risiko eingehen, die Nummer drei zu finanzieren.
Grenzen setzen den Eurostar-Konkurrenten auch die engen Verhältnisse in den Bahnhöfen und die Produktionskapazitäten der Zughersteller. «Diese sind gut ausgelastet, die Lieferfristen bei Hochgeschwindigkeitszügen sind entsprechend lang», sagt Fröhlich. Alstom beispielsweise ist im Highspeed-Bereich auf Jahre ausgebucht.
Ausser dem Virgin-Projekt sind alle Vorhaben aber ohnehin vage. Zudem scheinen die Promotoren teilweise etwas romantische Vorstellungen vom Zuggeschäft zu haben.
Ihr Vorbild dürfte die private italienische Gesellschaft Italo sein. Mit Erfolg betreibt sie Hochgeschwindigkeitszüge, die von den Regionen im Norden bis in den Süden verkehren. Italo hat es geschafft, den Airlines Marktanteile wegzunehmen.
Solche Erfolge locken aber Konkurrenten an. Im kommenden Jahr will SNCF das Angebot in Italien stark ausbauen. Da auch die staatliche Trenitalia Hochgeschwindigkeitszüge betreibt, werden dann drei Firmen um Passagiere konkurrieren. In Spanien gibt es diese Konstellation bereits. Dort fordern die SNCF und Trenitalia das staatliche Unternehmen Renfe heraus.
Hohe Anfangsinvestitionen
Dass sich der Wettbewerb derart verschärft, ist ganz im Sinne der EU. Im Jahr 1992 hatte sie die Luftfahrt liberalisiert; seither können die Airlines der Mitgliedsländer die Preise und die Flugrouten frei gestalten.
Das Geschäft ist dadurch aufgeblüht. Viele Investoren erhoffen sich eine ähnliche Entwicklung im ebenfalls liberalisierten Bahnmarkt. In der EU herrscht «open access». Das heisst, private Zugbetreiber erhalten Zugang zu den nationalen Netzen, wenn sie gewisse Bedingungen erfüllen.
Allerdings haben privat finanzierte Anbieter gegen die Staatsbahnen einen schweren Stand – noch konkurrieren wie in Italien und Spanien vor allem Staatsbahnen miteinander. Zumindest die grossen Anbieter wie SNCF und Trenitalia können mehr Risiken eingehen als private Betreiber. Falls sie bei der Expansion scheitern, springen die Steuerzahler ein. Private müssen dagegen spitzer kalkulieren.
Zumal sie vor vielen Hindernissen stehen und einen langen Atem benötigen. Virgin arbeitet angeblich seit zweieinhalb Jahren am Projekt, trotzdem werden die Züge frühstens 2029 verkehren.
Der Kapitalbedarf ist beträchtlich. Erstens braucht man Geld, und man muss ein Team zusammenstellen, um einen Geschäftsplan zu erstellen. «Dieser muss von hoher Qualität sein, um Investoren und Banken zu überzeugen», sagt Fröhlich von Apex Rail. Zweitens sind für das Rollmaterial hohe Anfangsinvestitionen vonnöten. Ein Hochgeschwindigkeitszug kostet zwischen 30 und 60 Millionen Euro, eine Gesellschaft benötigt mehrere davon.
Drittens erfordert das Hochfahren des Geschäfts viel Kapital. In dieser Phase wirft der Bahnbetrieb noch kaum genügend Geld ab, um alle Kosten zu decken. Virgin will immerhin 700 Millionen Pfund beschaffen.
Schwieriger «Business-Case» für die SBB
Gleichzeitig verteidigt Eurostar ihr gut laufendes Monopolgeschäft. Das Unternehmen hat vor einem Jahr mitgeteilt, fünfzig neue Züge kaufen zu wollen. Bisher ist ein Abschluss aber nicht zustande gekommen.
Für die vagen London-Pläne der SBB sind das schlechte Vorzeichen. Man kann sich nur schwer einen «Business-Case» vorstellen, der für sie aufgehen könnte. Fröhlich bezweifelt aber ohnehin, dass sich der Zug für diese Strecke als Transportmittel eignet. «Die Schweiz scheint mir dafür von London zu weit weg zu sein», meint er.