Sie kam aus Tunis, sprach kaum Italienisch, und wurde zur prägenden Figur des europäischen Kinos. Claudia Cardinale verkörperte Schönheit mit Tiefe, Glamour mit Würde – und schrieb mit Visconti, Leone und Fellini Filmgeschichte. Jetzt ist sie 87-jährig gestorben.
Claudia Cardinale, am 15. April 1938 vergleichsweise «spät» in Tunesien geboren, sicherte sich ihren Rang in der italienischen Filmlandschaft, als Cinecittà noch ganz auf die Strahlkraft von Sophia Loren und Gina Lollobrigida ausgerichtet war. Selbst gegenüber der internationalen Konkurrenz — von Brigitte Bardot bis Marilyn Monroe — machte sie stets gute Figur.
Wobei bestimmt entscheidend war, dass sie stets auch die richtigen Karriere-Entscheidungen traf: «CC», die jünger war als die grossen Stars des Nachkriegskinos, konnte sich nicht nur auf ihren Titel als «plus belle Italienne de Tunis» berufen, sie spielte auch in einer Reihe von Meisterwerken, die ihr eine einzigartige Position in der Filmgeschichte garantieren sollten.
Lösung aus dem familiären Hintergrund
Aussergewöhnlich, zumindest aus heutiger Sicht, nimmt sich auch ihr persönlicher Lebenslauf aus: Ihre Jugend in Nordafrika verdankte sie ihren sizilianischen Grosseltern, die sich angesichts der Armut im 19. Jahrhundert entschieden hatten, das Mittelmeer zu überqueren. Die Schuljahre, die sie im damaligen französischen Protektorat verbrachte, hatten sie so sehr aus dem familiären Hintergrund gelöst, dass sie die italienische Sprache nur rudimentär beherrschte und ihre Dialogzeilen lange von Kolleginnnen synchronisieren lassen musste.
Ihre ersten Leinwandauftritte waren allerdings ohnehin stumm: In «Les anneaux d’or» von René Vautier spielte sie 1956 eine junge Berberin, zwei Jahre später folgte «Goha le simple» (mit Omar Sharif), in dem sie für die Rolle einer arabischen Dienstkraft gecastet wurde.
Wie sie Jahre später selbst bekanntgab, hatte sie im selben Jahr auch eine Vergewaltigung erlitten, in deren Folge sie schwanger wurde. Nachdem sie sich von ihrem Produzenten überzeugen liess, dass die Filmindustrie kein Verständnis für unverheiratete Mütter aufbringen würde, gab sie das Kind jahrelang als ihren jüngeren Bruder aus.
Wie aktuell damals die Frage der sozialen Tabuzonen war, lässt sich auch aus dem Script von «La ragazza con la valigia» (1961) von Valerio Zurlini erahnen, in dem sie zu ihrer ersten Hauptrolle kam: Die von ihr verkörperte Figur der mittellosen Provinzschönheit, die ihren Sohn einer Pflegefamilie anvertrauen muss, um sich einen reichen Verehrer zu angeln, konnte sie mit einer schillernden Emotion anreichern, aus der man heute unschwer eine persönliche Erfahrung heraushören kann.
Zeigte Zurlini einen bemerkenswerten Sinn für die gesellschaftlichen Realitäten, so bewies er zugleich auch ein gutes Auge für Cardinales glamouröses Potenzial. Die Szene, in der sie, begleitet von Verdis Aida-Thema, die Treppe eines aristokratischen Landguts heruntergleitet, schien ihre zukünftigen Regisseure nachgerade herausgefordert zu haben.
In Viscontis «Gattopardo» bewegte sie sich im Palast des Fürsten Salina, als ob sie ihn einnehmen wollte, in der Eingangssequenz von «Once Upon a Time in the West» liess Sergio Leone die Kamera von einem Kran in die Höhe hieven, um ihre Figur im Gewühl der Westernstadt nicht zu verlieren. Bei Fellini (in «Otto e mezzo») erschien sie als eigentliche Lichtgestalt, als Traumfigur, die dem im Albtraum gefangenen Regisseur momentweise zu mentaler Ruhe verhalf.
In einem ebenso befremdlichen wie interessanten, 1961 im Magazin «Esquire» veröffentlichten Gespräch mit Alberto Moravia, in dem der Schriftsteller die Schauspielerin dazu brachte, sich als «Objekt» zu beschreiben, zeigte sie sich nicht nur frei von jedem Narzissmus, sondern auch nachgerade kritisch gegenüber ihrer Erscheinung. Sie gab zu Protokoll, ihren Körper «seltsam zu finden».
Mag sein, dass ihr diese Haltung auch den Einstieg in die Komödien erleichterte: Als David Niven, Cardinales Partner in «The Pink Panther», einst sagte, sie sei «die schönste Erfindung Italiens neben den Spaghetti», empfand sie den Satz jedenfalls als «das hübscheste Lob», das sie je erhalten hatte. Vermutlich erschien ihr die Bemerkung auch deshalb charmant, weil es die Popularität unterstrich, die die Schauspielerin nie verlassen hatte.
In Hollywood wurde sie 1964 von Henri Hathaway für «Circus World» verpflichtet, in dem sie neben Rita Hayworth John Wayne zum Partner hatte. Unter ihren italienischen Produktionen sind vor allem Mauro Bologninis «Il bell’Antonio» und Viscontis «Rocco e suoi fratelli» hervorzuheben. Unter der Regie ihres Lebenspartners Pasqualie Squitieri, der sie insgesamt für knapp zehn Produktionen vor die Kamera holte, drehte sie 1977 «Corleone».
Nachdem sie sich in Paris niedergelassen hatte, arbeitete sie in den 1980er Jahren vermehrt in Frankreich. Ihre südländischen Züge erlauben es ihr, sowohl in Henri Verneuils armenischer Familiensaga «Mayrig» zu spielen, als auch an der epischen Biografie des Sultans Abd el Malek («The Battle of the Three Kings») teilzunehmen. Die Schweiz beehrte Cardinale 2011, als ihr am Filmfestival Locarno der Preis für ihr Lebenswerk verliehen wurde.
Die Eleganz des Alterns
Frappant war, wie elegant sie zu altern wusste: Ein Kronjuwel in ihrem Spätwerk ist Manuel de Oliveiras «Gebo et son ombre» (2012), in dem sie an der Seite von Michael Lonsdale und Jeanne Moreau auftrat. Ihr Status als UNESCO-Botschafterin für Frauenrechte erlaubte es ihr, die Balance zwischen Schauspiel und öffentlichem Leben zu halten, mit grossem Selbstverständnis hatte sie sich auch im Kampf gegen die Aids-Epidemie engagiert.
Auf die eigene Karriere sah sie mit Gleichmut zurück. Als das Festival von Cannes das offizielle Plakat 2017 mit einer Fotografie von ihr illustrierte und das 1959 entstandene Bild von einem anonymen Grafiker retouchieren liess, trug sie den Affront mit Fassung: Sie sei eine «überzeugte Feministin», liess sie wissen, in dieser Frage handle es sich allerdings «nur ums Kino». Wie ihr Agent bekanntgab, ist Claudia Cardinale am 23. September gestorben.









