Eskapismus
Wer nicht länger auf Sonne und Wärme warten will, reist in den Süden. Diese Inseln in Europa besucht man nicht nur wegen der Temperaturen, sondern auch um aus- und abzuschalten.
Der Winter ist fast vorbei, der Frühling noch nicht wirklich da. Doch die Tatsache, dass er bald kommt, anderswo vielleicht schon für Wärme sorgt, macht uns unruhig. Vielen möchten den grauen Wintertagen entfliehen und dort sein, wo die Sonne scheint. Dass man dafür nicht zehn Stunden im Flugzeug sitzen muss, fördert die Reiselust und einen Eskapismus, bei dem es nicht nur um Temperaturen geht, sondern auch ums Aus- und Abschalten.
1. Sizilien in all seinen Facetten
«Sizilien ist eine Bühne, auf der jeder seine Rolle erfindet», schrieb der sizilianische Literaturnobelpreisträger Luigi Pirandello. Wer den Glamour-Part wählt, fährt in das über der Küste schwebende Taormina mit seinen steilen Stufen und karminroten Bougainvilleen. Früher machten Audrey Hepburn und Marlene Dietrich hier Urlaub, heute schieben sich Touristen über den Corso Umberto bis zur Piazza IX Aprile, wo sie im Caffè Wunderbar einen Cappuccino mit Aussicht geniessen.
Doch fast um die Ecke gibt es ein anderes Sizilien zu entdecken. Die Küstenstrasse nach Siracusa führt an Feldern mit Kaktusfeigen vorbei und mündet im puren sizilianischen Barock. Siracusas Altstadt ist ein prächtiges Freilichtmuseum wie auch die im Hinterland gelegenen Städtchen Modica, Noto und Ragusa, die zum Weltkulturerbe der Unesco zählen.
Schliesslich Palermo, verblasst und vernachlässigt, stolz und schön. In der Altstadt: Palmen, Paläste, Mofas, Trümmer. Trotzdem gibt es nichts Besseres, als in einer Bar am Capo-Markt schon mittags ein Glas Wein zu trinken und von den soeben gekauften Oliven zu naschen.
Zu Tisch: Die Premiata Enoteca Butticè ist eigentlich eine Weinhandlung und gilt als Palermos angesagteste Adresse für den Apéro. Kenner bleiben gerne länger, denn sie wissen: Was aus der Küche kommt – Pasta, Pesce, Patate fritte – schmeckt sensationell.
Über Nacht: Ein Architekten-Paar aus Mailand entdeckte ein paar verfallene Gebäude am Südhang von Modica und machte daraus das verwunschene Garten-Refugium Casa Talía mit Cinemascope-Blick auf die Altstadt. Gefrühstückt wird im zauberhaften Garten.
2. Mallorca: Goldene Sandstrände und versteckte Badebuchten
Die grösste der Balearischen Inseln lockt mit einer verführerischen Mischung aus Küste und Bergen, Dörfern, Weinbergen und der pulsierenden Hauptstadt Palma. Mit von Platanen flankierten Alleen, gotischen Kathedralen, schicken Läden sowie unzähligen Bars, Restaurants und Boutique-Hotels hat sie fast eine kosmopolitische Schönheit.
Die Mini-Metropole mit Mittelmeer-Charme ist aber nur eines der Highlights Mallorcas. Im Norden gibt es lange, goldene Sandstrände, im Westen die wilde Berglandschaft der Serra de Tramuntana und die versteckten Badebuchten zu ihren Füssen. Man kann die Tage damit verbringen, kleine Dörfer oder die römischen Ruinen von Pollentia zu erkunden, oder durch beinahe unbesiedelte Natur wandern und an einem einsamen Mini-Strand baden.
Nicht verpassen sollte man Cala Figuera, ein charmantes Fischerdorf mit weiss getünchten Häusern im Südosten der Insel, und den Sonntagsmarkt von Valldemossa, der als bester Ort gilt, um lokale Köstlichkeiten wie getrocknete Feigen und Pfirsiche, Honig, Käse und Wurstwaren zu kaufen.
Kunstfreunde zieht es in die Galerie La Bibi in Palma, die mit fortschrittlichen Ausstellungen frischen Wind in die zeitgenössische Kunstszene Mallorcas bringt und im Rahmen ihres Residenzprogramms auch internationale Künstler auf die Insel lockt.
Zu Tisch: Das Ses Coves ist ein rustikales Restaurant in den Hängen des Puig de Sant Miquel im Norden der Insel. Als Bestseller gelten die Grillgerichte: ganz gleich ob Garnelen, Tintenfisch oder Kalbsbries – alles schmeckt köstlich. Dazu gibt es gute Weine und eine schöne Aussicht.
Über Nacht: Eine alte Finca aus dem 13. Jahrhundert und ein paar weitere Gebäude aus dem 18. Jahrhundert wurden in das puristisch gestaltete Retreat Es Racó d’Artà verwandelt. Es steht in einem ruhigen Tal, nur einen Steinwurf vom Dorf Artà und der Bucht Cala Torta entfernt.
3. Auf Hydra geht das Leben gemächlich seinen Gang
Kein Flughafen, keine Autos, kein Nachtleben. Trotzdem ist das zu den Saronischen Inseln gehörende Mini-Eiland ein angesagtes Reiseziel – sowohl für die Bewohner von Athen als auch für ein internationales Publikum.
Neu ist das nicht: In den 1960er Jahren posierten Greta Garbo und die Callas im Badeanzug am Strand, Gunter Sachs und Onassis steuerten ihre Jachten ins Hafenbecken, Henry Fonda und Juan Carlos tranken gemeinsam Ouzo im Kafenion am Anleger und Leonard Cohen kam als unbekannter junger Dichter, kaufte sich ein Haus in den Hügeln und komponierte dort einige seiner Welthits.
Die Fähren aus Piräus legen nur ein paar Meter vor den Cafés an, die das hufeisenförmige Hafenbecken säumen. Neuankömmlinge schauen nach einem Taxi, um schnell zum Hotel zu fahren und ihre Reisebekleidung gegen ein lässiges Insel-Outfit zu tauschen. Doch auf Hydra gibt es nur Esel, die Lebensmittel, Baumaterial und die Koffer der Feriengäste den Hang hinauf bis zu den kubistisch verschachtelten Häuschen und überraschend prächtigen Villen transportieren.
Das Leben geht gemächlich seinen Gang: Man frühstückt in einem der Hafen-Cafés und lässt sich dann von einem Wassertaxi an die Badebuchten von Mandraki, Bisti, Saint George oder Vlychos bringen. Oder man besucht das «Slaughterhouse», eine Ausstellungshalle für zeitgenössische Kunst, die keine zehn Spazierminuten vom Dorfzentrum entfernt auf den Klippen über dem Meer steht. Oder man bummelt durch die schmalen Gassen mit vielen netten kleinen Läden.
Auf jeden Fall muss man am Abend zum Sonnenuntergang in die Hydronetta Cocktail Bar – die Bar befindet sich an einer spektakulären Lage über den Klippen und ist für ausufernde Full-Moon-Partys bekannt.
Zu Tisch: Gregarious Stathis fischt nachts Calamari und behauptet, es seien die besten der Insel. Tatsächlich schmecken die leicht frittierten Tuben und Tentakel hervorragend, wie auch die Sardinen, Vorspeisen und Salate. Das sympathische Lokal Ostria befindet sich gleich hinter dem Hafen und überzeugt durch faire Preise.
Über Nacht: Das «Orloff House» wurde 1796 von einem adligen Russen errichtet und war bis 1986 eine Privatresidenz. Heute bietet es neun schön gestaltete Zimmer und eine Suite, die sich um den üppig begrünten Innenhof gruppieren. Es gibt ein leckeres Frühstück mit griechischem Joghurt, hausgemachten Marmeladen und Kuchen.
4. Auf der französischen Insel Porquerolles ist die Zeit stehengeblieben
Mit ihren zwölfeinhalb Quadratkilometern ist Porquerolles die grösste der Îles d’Hyères und wirkt wie ein südfranzösisches Dorf, das vor der Küste Anker geworfen und alle Uhren angehalten hat. Neben einem Mini-Dorf mit Hafen gibt es hier wilde Strände, eine einzigartige Flora sowie unzählige, von Steineichen, Olivenbäumen und windgepeitschten Kiefern gesäumte Sand-Wanderwege.
Weil es nachts keinen öffentlichen Bootsservice zum Festland gibt, verlassen die meisten Tagesausflügler mit der letzten Fähre die Insel. Wer bleibt, kommt in den Genuss des unverfälschten lokalen Insel-Lifestyles: Bei Sonnenuntergang versammelt man sich auf dem Dorfplatz vor der Kirche und schaut den Pétanque-Spielern zu. Von dort aus geht es zum Apéritif in die beliebte Eckbar L’Escale und anschliessend nach Hause.
Selbst in der Hochsaison sind noch einsame Badebuchten zu finden. Man erreicht sie mit den allgegenwärtigen Fahrrädern, die komplett mit Kindersitz vermietet werden. Alternativ stehen kleine Motorboote zur Verfügung, die ohne Führerschein gefahren werden dürfen und mit denen auch die abgelegene, felsige Südküste erkundet werden kann.
Als kulturelle Attraktion der 200-Einwohner-Insel gilt die Fondation Carmignac, ein 2018 eröffnetes Privatmuseum mit Ausstellungshaus, Skulpturengarten und Restaurant im Pinienwald. Gezeigt wird dort moderne und zeitgenössische Kunst, Ende April beginnt die Ausstellung «The Infinite Woman» mit Werken von Botticelli, Roy Lichtenstein, Louise Bourgeois, Tracey Emin und anderen.
Zu Tisch: Das klassische Fischrestaurant Le Porquerollais wird fast täglich frisch beliefert und tischt auf, was das Mittelmeer hergibt – gerne roh, wie in Frankreich üblich, aber auch gebraten, gedünstet, als Suppe oder aus dem Ofen. Man sitzt direkt auf dem Dorfplatz und kann beim Essen die Boule-Spieler beobachten.
Über Nacht: Das eleganteste Hotel der Insel ist Le Mas du Langoustier, ein ganz in der Natur gelegenes, weitläufiges und wunderbar altmodisches Landhaus mit 48 hellen Zimmern und Suiten. Manche davon mit privater Terrasse, Garten, Pool und phantastischem Restaurant.
5. Lanzarote: Die karge Vulkaninsel ist nicht für jedermann
Lanzarote ist die östlichste der Kanarischen Inseln, wie ihre sechs Schwestern sorgt die Sonne rund ums Jahr für angenehme Temperaturen. Doch die karge Vulkaninsel ist nicht für jedermann – die dunklen Strände und die von Kratern übersäte Erdoberfläche wirken wie eine Mondlandschaft. Anderen gefällt genau das.
Das viele Schwarz lässt Farben leuchten – das Meer und den Himmel, die weissen Häuser, die purpurfarbenen Bougainvilleen und das saftige Grün der Weinreben.
In den Strandorten Puerto del Carmen, Costa Teguise und Playa Blanca kann man ein wenig bummeln: Frühstück mit Café con Leche, Croissants oder einer gesunden Granola Bowl im Bonbon Café in Costa Teguise, dann ein wenig Shopping.
Die kleinen Läden an der Uferpromenade verkaufen vom Surfbrett bis zum einheimischen Honig all das, was man schon immer haben wollte. Zur Entspannung stehen Liegestühle an der angenehm windgeschützten und von Palmen bestandenen Playa Bastian bereit.
Wer den Wind liebt, fährt ins verschlafene Fischerdorf Caleta de Famara an der Westküste, mit weissen Schachtel-Häuschen, ungeteerten Strassen und ein paar lässigen Strandlokalen. Die Bucht gilt als Hotspot für Wellenreiter und Kitesurfer, sogar die dreifache Kitesurf-Weltmeisterin Kirsty Jones reist regelmässig zum Training an.
Weinfans pilgern dagegen in das Tal La Geria, wo die Malvasia-Trauben wachsen. Die Weinstöcke stehen versenkt in Kuhlen im Lavatuff, um sie herum haben Winzer halbrunde Lavastein-Mäuerchen als Windschutz errichtet. Was aus der Luft wie ein gigantisches Häkelmuster wirkt, wurde bereits 1964 vom New Yorker Museum of Modern Art zum Gesamtkunstwerk erklärt.
Zu Tisch: Frittierte Calamari, grillierter Atlantik-Fisch, Meeresfrüchte-Kasserolle oder gedünstete Muscheln – im netten Strandrestaurant Costa Azul in El Golfo isst man einfach, aber sehr gut. Die weiss gedeckten Tische stehen direkt am Wasser, zu trinken gibt es kühlen Inselwein.
Über Nacht: Das ehemalige Sommerhaus einer spanischen Adelsfamilie wurde in ein ländliches Retreat mit Garten verwandelt. Im Caserío de Mozaga stehen acht weiss getünchte, mit Antiquitäten möblierte Zimmer und Suiten bereit, in den ehemaligen Stallungen wird traditionelle Kanaren-Küche serviert.
6. Madeira gilt als Mekka für Outdoor-Fans
Lange galt Madeira als verschlafene Destination für Rentner: schön, aber eher langweilig. Doch das Image ändert sich gerade. Neuerdings steht die portugiesische Insel auch bei urbanen jungen Travellern hoch im Kurs, vor allem gilt sie als Mekka für Outdoor-Fans. Ganz gleich, ob man surfen, wandern, tauchen, biken oder im traditionellen Korbschlitten vom Luftkurort Monte bis in die Hauptstadt Funchal fahren möchte – die Topografie der Insel ermöglicht diese und andere Aktivitäten.
Was Madeira an Grösse fehlt, macht die Vielfalt an Naturattraktionen wett – es gibt hawaiianisch anmutenden Wasserfälle und dichte Wälder, steile Berghänge und hohe Klippen, natürliche Felsenpools und pechschwarze Sandstrände.
Im Städtchen Funchal stehen schicke Restaurants und coole Beach-Bars an der Strandpromenade, in altmodischen Konditoreien werden Pasteis de Nata verkauft, verwöhnte Reisende dürfen sich auf elegante, traditionsreiche Hotels freuen, Kunstfreunde auf das Caravel Art Center und Blumenliebhaber auf einen Botanischen Garten mit 3000 Pflanzensorten und Aussicht aufs Meer.
Kleiner und ländlicher präsentiert sich Porto Moniz ganz im Nordwesten der Insel, bekannt für unglaublich fotogene, natürliche geformte Lava-Badebecken – das kristallklare Meerwasser zwischen den dunklen Felsen wirkt irreal schön, man kann darin eintauchen, während die Brandung des Atlantiks krachend an den Beckenwänden zerschellt.
Sonnenanbeter bevorzugen die Südwestküste Madeiras. Das Fischerdorf Câmara de Lobos ist ein stimmungsvolles Fischerdorf, wunderhübsch ist auch die Bucht von Ponta do Sol und der nahe gelegene Strand Madalena do Mar.
Zu Tisch: Das Restaurant O Polar in Câmara de Lobos ist für seine schnörkellose, traditionelle Inselküche bekannt. Einheimische stehen Schlange für Hausspezialitäten wie Espetada (Fleischspiess), Frango (gegrilltes Hähnchen) und Bolo do caco (ein saftiges Fladenbrot aus Süsskartoffelmehl). Das Restaurant liegt an der Rua do Pico da Torre, Câmara de Lobos.
Über Nacht: Das zu Design Hotels gehörende Estalagem da Ponta do Sol steht auf einer Klippe hoch über dem Meer und wurde vom portugiesischen Designer Carvalho Araújo mit minimalistischem Schick, viel Weiss und Holz gestaltet. Besonders spektakulär ist das fast rundum verglaste Restaurant.
7. Zypern: kristallklares, türkisblaues Meerwasser
Man muss ein wenig besser hinschauen, um Zyperns Charme zu erkennen. Die Insel biedert sich nicht an, ihre Reize sind nicht offensichtlich. Dafür hat sie sich viel Authentizität und einen freundlichen, gelassenen Lebensstil bewahrt.
Archäologische Funde aus der griechisch-römischen Zeit bieten eine hohe Dichte von Denkmälern, ganze Regionen wurden von der Unesco zum Weltkulturerbe erhoben. Insbesondere Paphos, einst Hauptstadt der Ptolemäer, heute ein expandierender Ferienort, lockt mit Kastell und Königsgräbern, altrömischen Ruinen und antiken Bodenmosaiken.
Eine Klasse für sich ist das Meerwasser rund um die Insel: kristallklar und türkisblau. Kein Wunder, dass Aphrodite, die schönste und berühmteste Zypriotin, ihre Liebhaber in der Bucht Fontana Amorosa traf.
Zum Baden empfiehlt sich allerdings eher der Strand von Latchi – Insider kommen am späten Nachmittag und bleiben bis zum Abend, wenn die Sonne wie eine rote Kugel an der Spitze der zerklüfteten Akamas-Halbinsel im Meer versinkt.
Tagsüber ist die Akamas ein beliebtes Wandergebiet. Natur-Freaks können nicht nur die spektakuläre Steilküste am Meer entlanglaufen und auf den 370 Meter hohen Berg Moutti tis Sotiras steigen, sondern auch eine vielfältige Pflanzenwelt bewundern: Wacholder und wilde Artischocken säumen die Küste, der Boden ist mit Pistaziensträuchern, süss duftenden Zistrosen, Zwerg-Orchideen und Wildblumen bedeckt. Milchsterne und Anemonen strahlen Schneeweiss, die Blüten der winzigen Spargelbohne leuchten Blutrot und wer den Blick hebt, schaut in das glitzernde Blau des Mittelmeers.
Zu Tisch: Die Arsinoe Fish Tavern ist ein einfaches, sehr sympathisches Terrassen-Lokal am Dorfplatz von Polis. Es gibt bestes Tzatziki, grillierte Rotbarben, Wolfsbarsche oder Calamari, und zum Dessert einen Griesauflauf, der mit lokal produziertem Rosenwasser aromatisiert wurde.
Über Nacht: Das Anassa Hotel Zyprus steht am schönen Kiesstrand der Chrysochous-Bucht in einer grosszügigen Grünanlage. Die eleganten Zimmer und Suiten verteilen sich auf Haupthaus und Villen. Als Highlights gelten das Spa, das romantische Restaurant Helios mit französischer Küche und die sensationelle Bar-Terrasse.