Der Bund schöpft das Budget für die Entwicklungshilfe nicht aus. Kritiker sagen, diese sei im Sahelstaat gescheitert.
Mali ist chronisch instabil und eines der ärmsten Länder der Welt. Militärs putschen innerhalb von weniger als einem Jahr zwei Mal: Sie setzten 2020 den Präsidenten beziehungsweise 2021 den Übergangspräsidenten und den Regierungschef ab. Sie warfen zunächst Frankreich, die alte Kolonialmacht, aus dem Land. Auf Wunsch der Generäle musste Ende 2023 auch die Uno-Friedensmission Mali verlassen. Die Lücke, die westliche Staaten hinterlassen, versuchen Russland und China zu füllen.
Mali ist auch ein Schwerpunktland der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Die Schweiz bekämpft in dem Sahelstaat die Armut und setzt sich für die Menschenrechte und einen dauerhaften Frieden ein. Diverse westliche Länder haben im Zuge des Putsches ihre Vertretungen in Bamako geschlossen und ihre Programme der internationalen Zusammenarbeit (IZA) beendet. Die Schweiz hat in Mali nach wie vor ein Kooperationsbüro, kämpft aber ebenfalls mit Schwierigkeiten. Das zeigt ein Bericht der internen Revision des Aussendepartements (EDA), in den die NZZ Einsicht erhalten hat – gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) und mit geschwärzten Passagen.
Acht Millionen Franken anderweitig verwendet
Infolge der politischen und wirtschaftlichen Instabilität sei die Umsetzung des bilateralen Kooperationsprogramms von 2022 bis 2025 «herausfordernd», heisst es im Bericht. «Die Schweizer Vertretung in Bamako konnte 2024 einen beträchtlichen Teil ihres IZA-Budgets nicht ausschöpfen.» Deshalb habe sie die Abteilung Afrika des EDA informiert, dass diese die gut 8 Millionen Franken anderweitig einsetzen könne. Die Gelder machten rund 38 Prozent des Jahresbudgets des Kooperationsprogramms für Mali aus.
Die Schweizer Vertretung in Bamako führt die Probleme vor allem darauf zurück, dass die Wartefristen bei neuen Projekten so lang sind. Neue Programme hätten monatelang nicht lanciert werden können, da die malischen Behörden die Verträge nicht unterzeichnet hätten. Deshalb hätten Programme nicht oder nur reduziert in Angriff genommen werden können. Die Transfers vom malischen Zentralstaat an die Regionen seien stark beeinträchtigt. Nur das Budget für die kurzfristigere humanitäre Hilfe schöpfte die Schweiz in Mali vollständig aus.
Kriegerische Auseinandersetzungen erschwerten die Arbeit der Deza zusätzlich. In den betroffenen Regionen sei es nur in begrenztem Ausmass möglich gewesen, Besuche von Projekten und Partnern durchzuführen, heisst es im Bericht. Kontrollen scheinen generell schwierig zu sein. Die Prüfer stiessen auf verschiedene Zahlungen an Partnerorganisationen, die freigegeben worden waren, ohne dass bei diesen ein Bedarf an liquiden Mitteln feststellbar gewesen sei. In einigen Fällen seien für 2024 vereinbarte Zahlungen ohne nachweisbaren Bedarf bereits Ende 2023 vorgenommen worden.
Die Kontrolleure des EDA attestieren der Schweizer Vertretung zwar, dass sie ihre Aufgaben in einem volatilen Umfeld angemessen erfülle. Verbesserungsbedarf sehen sie aber bei der finanziellen Planung und den Zahlungen an Partner. Die Verzögerungen sollten bei der Planung der Projekte berücksichtigt werden. So könne das Risiko reduziert werden, dass das Kooperationsbüro während Monaten vollständige Projektteams finanziere, die noch nicht operativ wirksam seien. Bei der gegenwärtigen Praxis bestehe das Risiko, dass falsche Signale an Partner gesendet würden und Mittel der IZA verlorengingen. Die Kontrolleure schlagen deshalb vor, dass die Partnerorganisationen für Ratenzahlungen nachweisen müssen, dass sie das Budget ausgeschöpft haben.
Die Vertretung in Bamako schreibt, sie arbeite daran, die Koordination mit den Partnern zu verbessern. Doch es stellt sich auch die politische Frage, wie viel Sinn die Entwicklungszusammenarbeit, die über die humanitäre Hilfe hinausgeht, in Mali gegenwärtig noch hat. Der Bund muss bei der IZA sparen, weil das Parlament die Mittel für die Armee schneller als geplant erhöhen will.
Gescheiterte Staaten trotz jahrzehntelanger Hilfe
Der Experte Toni Stadler zog unlängst in einem Gastbeitrag in der NZZ eine kritische Bilanz zum Engagement der Schweiz und weiterer Geberstaaten. Er war bis zur Pensionierung 25 Jahre für die Deza, das IKRK und die Uno tätig. Nach jahrzehntelanger Unterstützung durch den Westen seien Mali und weitere Länder in der Region gescheiterte Staaten und würden wieder autoritär regiert. Trotz lokalen Erfolgen stehe der Gesamtaufwand westlicher Staatshilfe an ärmste Länder in keinem Verhältnis zum Ertrag. Ausser Botswana und Rwanda habe keines den Anschluss an die Industrialisierung geschafft. «Diese Rückschläge führten weder in der Deza-Leitung noch im Parlament zu einer Diskussion über den Ersatz des unwirksamen Narrativs.»
Mali ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig: Im Jahr 2019 machten diese rund 11 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Die Schweiz gehörte mit Ausgaben von rund 38 Millionen Franken zu den zehn wichtigsten Geberstaaten.
Die Deza rechtfertigt das Schweizer Engagement mit der strategisch wichtigen Lage Malis, das einen grossen Einfluss auf die ganze Sahelregion habe. Im laufenden Programm verweist sie auf die gefährlichen Migrationsrouten. Zudem habe die Schweiz in der Vergangenheit gute Resultate erzielt. Das Jahr 2024 sei eine Ausnahme gewesen, sagt der EDA-Sprecher Pierre Alain Eltschinger. Trotz den Problemen habe die Deza auch neue Projekte lanciert, bei der Ernährungsunsicherheit, der Bildung in Notsituationen oder der verbesserten Unterstützung von Minenopfern. Seit dem Militärputsch von 2020 habe die Deza die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit planmässig umgesetzt.
Tieferliegende Ursachen angehen
Für das EDA ist es keine Option, sich auf die humanitäre Hilfe zu beschränken. In volatilen Kontexten wie Mali sei eine Kombination von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe wichtig, um die langfristigen Ziele zu erreichen, sagt Eltschinger. So könne die Deza auf die unmittelbaren Auswirkungen der humanitären Krisen reagieren und die tieferliegenden Ursachen angehen, etwa über die Stärkung der Lokalregierungen. Der Bericht der internen Revision empfiehlt ebenfalls die Stärkung dieses Ansatzes.
Trotzdem hat der Bund in Mali Anpassungen vorgenommen. Das Budget für 2025 hat das EDA im Vergleich zum Vorjahr um gut 5 Millionen Franken auf rund 20 Millionen Franken reduziert. Es reagierte damit auf die Kürzungen, die das Parlament beschlossen hat. Diese gingen zulasten der Entwicklungszusammenarbeit, während das Budget für die humanitäre Hilfe leicht erhöht worden sei, sagt Eltschinger. Die nicht ausgeschöpften Mittel für die IZA für 2024 seien humanitären Projekten in der Sahelregion (Mali, Niger, Burkina Faso) zugutegekommen, die unter anderem von Überschwemmungen betroffen war.
Zudem will das EDA in Mali dieses Jahr drei Stellen abbauen, wie es im Bericht der internen Revision heisst. Die an Ort und Stelle tätigen Schweizer sagten den Kontrolleuren, man ermüde in diesem Umfeld stark und benötige alle zwei bis drei Monate eine Auszeit. Selbst innerhalb Bamakos sei es nur mit Einschränkungen möglich, sich zu bewegen. Dadurch sei man das ganze Jahr einer schlechten Luft ausgesetzt. Das EDA bekundet zunehmend Mühe, Interessenten für die frei werdenden Stellen zu finden. Für die Stelle des Chefs der IZA ging in der ersten Runde keine Bewerbung ein.