Wie das vermeintliche Einhorn E-Fishery aus Indonesien renommierte Investoren täuschte und die Schwächen der globalen Startup-Branche offenlegte.
Die Story, die das Startup-Unternehmen E-Fishery den Investoren auftischte, schien nachhaltig, traf den Zeitgeist und klang vermutlich zu gut, um kritisch hinterfragt zu werden. Der vielversprechende Agrartechnologie-Innovator erreichte eine Bewertung von zuletzt 1,4 Milliarden Dollar und liess sich als neues Unicorn aus Indonesien feiern. Doch der Schwindel flog auf und mahnt dazu, genauer hinzuschauen.
Das Startup E-Fishery aus Indonesien bediente genau jene Sehnsüchte, die man mit dem riesigen Schwellenland verbindet: eine technikaffine, junge Gesellschaft in einer aufstrebenden Demokratie, schlummerndes Marktpotenzial, Skaleneffekte dank Digitalisierung, ein nachhaltiger Primärsektor.
Indonesien, dieser verlockende Archipel am Äquator, der schon den niederländischen Kaufleuten seinerzeit ungeahnten Reichtum bescherte, zählt heute doppelt so viele Konsumenten wie Russland.
Vor 25 Jahren schüttelte es aus eigener Kraft die Suharto-Diktatur ab, unlängst wurde ein Freihandelsabkommen mit den Efta-Staaten geschlossen. Auch für global aufgestellte Beteiligungsgesellschaften wie Temasek und Softbank galt Indonesien als ein heisses Investitionsziel in Südostasien. Die Suche nach dem nächsten grossen Ding ergab also vielleicht Sinn.
Und zu einer maritimen Nation, deren Gewässer 70 Prozent der Staatsfläche ausmachen und die über schier unendliche Küsten verfügt, passte eigentlich nichts besser als eine Aquakultur-Erfolgsstory.
E-Fishery ist eine auf kleine Züchter ausgerichtete Geschäftsidee, die intelligent gesteuerte Fütterungstechnik, digitale Überwachung, Marktzugang und Finanzierung im Gesamtpaket anbietet.
E-Fishery hat die Startup-Branche aufgerüttelt
Kürzlich sorgte E-Fishery jedoch für Schlagzeilen. Ein Whistleblower machte auf betrügerische Machenschaften und fingierte Geschäftszahlen des Unternehmens aufmerksam.
Der Finanzmarktaufsicht in Jakarta, der indonesischen Polizei sowie einer mit Abklärungen betrauten amerikanischen Prüfungsgesellschaft liegen klare Hinweise für systematisch manipulierte Finanzzahlen ab 2017 vor. Dazu kommen erfundene Lieferketten, wie man sie aus dem Wirecard-Skandal kennt, die bloss dem «round-tripping» dienten: Umsatzzahlen also, die durch Geldtransfers von Scheinfirmen kreislaufmässig aufgeblasen wurden.
Zwar wird noch ermittelt, doch der Fall hat die Startup-Szene bereits durchgeschüttelt, und der Reputationsschaden beschränkt sich nicht auf Indonesien.
Das Erstaunliche an dem Fall ist, dass selbst versierte institutionelle Investoren dem Zahlenschwindel von E-Fishery auf den Leim gegangen sind. Die Betrugsmasche nährte sich damit selbst: Die Erfolgsstory wurde immer glaubhafter, weil über Jahre hinweg namhafte internationale Geldgeber angelockt wurden. Es entwickelte sich eine Eigendynamik: Keiner wollte den Schnellzug verpassen.
Investitionen in Ernährungstechnologien sind interessant. Fisch und Seafood sind Alternativen zu Fleisch, die globale Bevölkerung wächst weiter, vor allem in Asien, und damit auch der Bedarf an Protein. Alleine die Zahlen zu Shrimps sind gigantisch: Etwa 440 Milliarden Garnelen werden weltweit jährlich gezüchtet.
Das Aquatech-Startup E-Fishery, das Aufzuchtmethoden revolutionierte, Nachhaltigkeit versprach und Hunderttausenden Kleinunternehmern eine Perspektive bot, war weltweit ein Novum.
In Indonesien sowie bei Investoren, die das Land auf dem Radar hatten, herrschte Euphorie: Im Mai 2023 konnte sich E-Fishery in einer vierten Finanzierungsrunde über 200 Millionen Dollar beschaffen, womit die Bewertung auf 1,4 Milliarden Dollar hochschnellte. Zu den Geldgebern gehörten renommierte Staatsfonds wie Temasek (Singapur) und 42XFund (Abu Dhabi), der malaysische Pensionsfonds KWAP, klassische Startup-Financiers wie Softbank und Northstar sowie der niederländische Branchenspezialist Aqua-Spark. 2022 und 2024 gewährten auch die indonesischen Ableger der Banken DBS und HSBC Kredite im zweistelligen Millionenbereich.
Was war passiert?
Die Gründer nutzten einen Hype aus
Gegründet wurde E-Fishery 2013 von den zwei Jungunternehmern Gibran Huzaifah und Chrisna Aditya. Beide aus einfachem Haus, aber klug, talentiert und ambitioniert. Die Idee, da waren sich Branchenexperten und die ersten Investoren einig, überzeugte: Moderne Technologie garantiert effiziente Fütterungs- und Überwachungssysteme (E-Feeder), dank Apps und digitalen Marktplätzen werden – ähnlich den etablierten E-Commerce-Plattformen – Markttransparenz und Finanzierungskanäle auch für Kleinstanbieter geschaffen. Ein neues Ökosystem rund um Aquakulturen schien geboren.
Zu Manipulationen kam es laut vorliegenden Abklärungen bereits 2017. Um dem Hype und dem steigenden Finanzbedarf zu genügen, wurden fortan zwei getrennte Bücher geführt: eines für den internen Gebrauch, ein anderes mit aufgeblähten Umsatz- und Erfolgszahlen. Damit imponierten die Gründer den Investoren, den Medien und anderen Stakeholdern.
Das Geschäft von E-Fishery wuchs zwar, doch blieb es unter den hochgeschraubten Erwartungen. In der Folge wurde die Diskrepanz mit jedem Jahr grösser: 2024 wurden statt 24 000 aktiver E-Feeder 400 000 ausgewiesen, statt eines Umsatzes von 157 Millionen Dollar stand gegen aussen 752 Millionen im Buch. Und die ausgewiesenen Gewinne im zweistelligen Millionenbereich waren in Realität Millionenverluste in ähnlichem Umfang.
Sieben Jahre lang konnten die beiden Gründer die Investoren, die zwei Auditoren PwC und Grant Thornton sowie die Fachpresse mit fingierten Zahlen hinters Licht führen.
Der blinde Fleck der Investoren
Tom Ludescher, ein Fintech-Experte in Südostasien, sieht Parallelen zum Wirecard-Skandal. Beide Fälle würden auf ein Kernproblem westlicher Investitionsstrategien in Asien hinweisen: eine unzureichende Due Diligence. Die Jagd nach Renditen in einem globalen Umfeld mit niedrigen Zinsen habe dazu geführt, dass Investoren mehr auf Wachstumshoffnungen als auf solide Fundamentaldaten setzen würden. Die mangelnde Transparenz in vielen asiatischen Märkten, gepaart mit institutionellen Schwächen in der Finanzaufsicht, verstärkt diese Dynamik.
Jörg Wolle ist der Verwaltungsratspräsident von Kühne + Nagel, der auch Temasek, einem der betroffenen Staatsfonds, durch seinen Einsitz im International Advisory Network verbunden ist. Für ihn erscheint der Fall aus mehreren Gründen symptomatisch. Auch er warnt davor, dass gute «Startup-Geschichten» oft zu wenig hinterfragt werden. Wenn ein Hype entstehe, werde in den Chefetagen ungeduldig gefragt, wieso man nicht mitmache. Bei den Mitarbeitern fehle dann oft der Mut, sich querzustellen, auf mehr Transparenz zu pochen und traditionelle Investitionsgrundsätze in Erinnerung zu rufen.
Jörg Wolle zeigt sich skeptisch gegenüber Indonesien. Das Land stehe tendenziell zu hoch im Kurs, sagt er. Das habe auch mit dem gegenwärtigen «China-Bashing» zu tun. Die südostasiatischen Länder (Asean), unter denen Indonesien grössenmässig eine Sonderstellung hat, wiesen derzeit zwar eindrückliche Wachstumszahlen aus.
Aber wer im Asean-Raum nach Perspektiven und Alternativen zu China suche, finde heute in Vietnam, Thailand, Singapur oder Malaysia verlässlichere Partner und häufiger eine «saubere Geschäftsbasis», die globalen Standards entspreche. Das seien dann aber meist keine Jungstars, die an Firmen aus dem Silicon Valley erinnern würden, sondern alteingesessene Familienunternehmen.
Strukturelle Probleme in Indonesien
Der E-Fishery-Skandal trifft nicht nur die indonesische Startup-Szene, sondern dämpft die Stimmung in der ganzen Region. Südostasien kämpft derzeit ohnehin mit einer finanziellen Dürre: Im vergangenen Jahr gingen die Zusagen für Venture-Capital gemäss der Fachpublikation «Deal Street Asia» um 42 Prozent zurück und beliefen sich damit noch auf einen Fünftel des Spitzenjahrs 2021.
Die Fortschrittserzählung in Indonesien ist brüchig geworden. Das Bild eines sprungbereiten Tigerstaats, der in den nächsten 20 Jahren zur viertgrössten Wirtschaftsmacht der Welt aufsteigen könnte, wirkt neuerdings ziemlich realitätsfremd. Die Mittelschicht ist seit 2019 um 10 Millionen Personen geschrumpft und macht laut offiziellen Statistiken heute nur noch 17 Prozent der 277 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung aus.
Besonders unter den Jungen ist die Frustration über mangelnde berufliche Perspektiven gross. Sie entlädt sich in Studentenprotesten unter dem Hashtag «Indonesia Gelap» (schwarzes Indonesien): Die Zukunft des Landes sei schwarz. Viele wandern deshalb in Nachbarstaaten ab, was sich in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag «#KaburAjaDulu» (Nichts wie weg) zeigt. Auch die anhaltende Korruption ist ein Faktor: In entsprechenden Erhebungen bleibt Indonesien schlechter klassiert als konkurrierende Länder wie Malaysia oder Vietnam.
Auch aus logistischer Sicht ist das Land laut Jörg Wolle immer noch massiv im Hintertreffen. Dass es ferner technologisch im Rückstand ist und zu wenig High-Tech-Investitionen anzieht, zeigt sich daran, dass die Regierung in Jakarta den Apple-Konzern mit dem Verkaufsverbot für das iPhone 16 zwingen will, Milliarden im Land zu investieren.