Die Bevölkerung steht trotz höheren Strompreisen und drohenden Engpässen hinter der Energiepolitik des Bundesrates. Eine Mehrheit wünscht sich aber gemäss einer Umfrage eine Debatte über den Bau neuer Kernkraftwerke.
Nicht viel mehr als ein Jahr ist es her, seit der Bundesrat eindringlich vor einer möglichen Strommangellage warnte, teure, mit Gas und Öl betriebene Notkraftwerke aus dem Boden stampfte und die Bevölkerung in dringlichen Aufrufen zum Stromsparen aufrief. Die Nachwehen der Energiekrise sind immer noch spürbar: So sind die Preise für die Elektrizität für die meisten Haushalte spürbar angestiegen, an einigen Orten haben sie sich im Vergleich zum Vorjahr gar verdoppelt oder verdreifacht.
Der Verlust der Gewissheit, dass der Strom jederzeit praktisch zum Nulltarif aus der Steckdose fliesst, hat jedoch nicht dazu geführt, dass das Vertrauen in die offizielle Energiepolitik flächendeckend erodiert ist. Weiterhin sind 57 Prozent der Bevölkerung einverstanden mit dem Kurs des Bundesrats, der auf einen Ausbau der erneuerbaren Energien und Klimaneutralität bis 2050 setzt. Das zeigt eine repräsentative Umfrage von gfs.bern im Auftrag des Verbands der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen (VSE), an der 1000 Stimmberechtigte teilgenommen haben. In den vergangenen beiden Jahren hat die Zustimmung zur Energiepolitik sogar leicht zugenommen.
In der Umfrage spiegeln sich die Positionen der Parteien zum Stromgesetz, über das die Stimmbevölkerung übernächsten Sonntag abstimmt. Am grössten ist die Zustimmung im Lager der GLP, gefolgt von der Mitte, den Grünen sowie der SP. Dabei steht auch die Anhängerschaft der FDP mehrheitlich hinter der bundesrätlichen Politik. Bloss die Klientel der SVP will kein Weiter-wie-bisher: Sie lehnt zu zwei Drittel die gegenwärtige Energiepolitik ab. Sie folgt damit mehrheitlich der Parteispitze – und nicht Bundesrat Albert Rösti.
Insgesamt zeigt die Umfrage, dass die Schweizer Bevölkerung klar hinter dem Ausbau der erneuerbaren Energien steht. Sie sieht in ihm ein Mittel für mehr Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit. Entsprechend machen sich auch fast 80 Prozent dafür stark, dass die Solar- und Windenergie sowie die Wasserkraft vom Bund gefördert werden sollen. Geschehen soll dies mittels Subventionen oder steuerlicher Anreize.
Energiewende darf nicht teuer werden
Der Support der Schweizerinnen und Schweizer für die Energiewende endet allerdings beim Portemonnaie: Fast drei Viertel der Befragten sind der Auffassung, dass der Aufbau einer nachhaltigen Energieproduktion den Strom nicht verteuern darf. Auch dürfen Firmen nicht durch zusätzliche Energieabgaben belastet werden.
Die Schweiz steht in der Energiepolitik vor einem Trilemma: Erstens muss eine sichere Versorgung mit Energie gewährleistet bleiben. Zweitens muss sie bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Und drittens soll die Energieproduktion zu tragbaren Kosten geschehen. Für das Gros der Bevölkerung ist indes auch nach einem weiteren Winter ohne Engpässe klar, welches der drei Ziele oberste Priorität geniessen soll: die Versorgungssicherheit. Eine Mehrheit von 54 Prozent zeigt sich denn auch besorgt, dass es in den nächsten zehn Jahren zu einem Energie-Engpass kommen könnte. Um die Versorgungssicherheit langfristig zu gewährleisten, wird dabei der Ausbau der inländischen Stromproduktion gegenüber Energieimporten aus dem Ausland bevorzugt.
Fast uneingeschränkte Akzeptanz geniesst beim Ausbau der Stromproduktion die Solarenergie auf Gebäuden und Fassaden (92 Prozent) sowie die Wasserkraft (90 Prozent). Das gilt namentlich auch für Staumauern, die in den Rückzugsgebieten von Gletschern errichtet werden sollen. Überraschend grosse Zustimmung erfährt mit 74 Prozent auch die Windkraft. Dabei gab eine Mehrheit der Befragten zu Protokoll, sie sei auch mit Windrädern einverstanden, wenn diese vom eigenen Balkon aus sichtbar seien. Etwas umstrittener sind alpine Solaranlagen (60 Prozent), wobei diese im Vergleich zum Vorjahr etwas mehr Zuspruch erfahren. Wird der Bau dieser Anlagen beschleunigt, indem die Beschwerdemöglichkeiten eingeschränkt werden, ist das im Sinne der Mehrheit der Befragten.
Jüngere Generation ist AKW-kritischer
Deutlich tiefere Zustimmungswerte erhält die Kernkraft. Allerdings sind über 70 Prozent der Bevölkerung der Auffassung, dass die bestehenden Kernkraftwerke so lange betrieben werden wie möglich – auch wenn für die Nachrüstung Geld vom Bund nötig ist. Ebenfalls wünscht sich knapp die Hälfte der Bevölkerung (49 Prozent), dass die Debatte um die Aufhebung des Bauverbots für Kernkraftwerke neu lanciert wird. Ihr gegenüber stehen 47 Prozent, die nicht damit einverstanden sind, wobei die jüngere Generation der Kernenergie gegenüber deutlich kritischer eingestellt ist.
Den Bau von Kernkraftwerken wie sie derzeit in Frankreich oder Finnland gebaut werden, lehnt die Mehrheit der Befragten weiterhin ab. Jedoch ist die Zustimmung innerhalb des letzten Jahres deutlich angewachsen. Erlangen Kernkraftwerke der nächsten Generation Marktreife, würde sich gar eine Mehrheit von 51 Prozent für deren Bau aussprechen.