Die ukrainische Regierung will, dass ab dem 1. Januar kein russisches Gas mehr durch ihr Land strömt. Ministerpräsident Robert Fico sucht deswegen die Konfrontation mit Wolodimir Selenski.
Vielerorts in Europa hat der Krieg in der Ukraine in der Energiepolitik für ein Umdenken gesorgt. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico hingegen will, dass alles bleibt, wie es ist. Sein Land soll auch 2025 über Pipelines Erdgas aus Russland erhalten.
Dafür braucht Fico das Einverständnis der ukrainischen Regierung, denn Teile der russischen Gaslieferungen nach Europa strömen über die sogenannte Transitroute durch die Ukraine. Doch die ukrainische Regierung will dafür sorgen, dass russische Energiekonzerne ab dem 1. Januar ihr Gas nicht mehr durch die Ukraine liefern dürfen. Die Gelegenheit bietet sich, weil der langjährige Transitvertrag mit Gazprom per Jahresende 2024 ausläuft.
Für die Slowakei wäre das problematisch: Sie ist neben Österreich und Ungarn eines der wenigen Länder, deren Energieversorgung noch stark von der Transitroute abhängt.
Deshalb setzt Robert Fico den Nachbarstaat nun unter Druck: Wenn Kiew russische Gaslieferungen blockiere, werde die Slowakei im Gegenzug ihre Stromlieferungen in die Ukraine aussetzen, sagte Fico in einem zehnminütigen Video, das er am Freitag auf Facebook veröffentlichte.
Es ist die Zuspitzung eines Streites zwischen der Slowakei und der Ukraine. Vor Weihnachten hatte Robert Fico bereits den russischen Präsidenten Wladimir Putin im Kreml besucht und bot sein Land als Gastgeber für Friedensverhandlungen an. Der slowakische Verteidigungsminister Robert Kalinak erklärte am Wochenende zudem in einem Fernsehauftritt, die Ukraine müsse einen Teil ihres Territoriums aufgeben und so den Weg für Frieden frei machen.
Brenzlige Lage um die Energieversorgung in der Ukraine
Die ukrainische Regierung reagierte empört auf Ficos jüngste Drohgebärden. Präsident Wolodimir Selenski sagte, der slowakische Staatspräsident eröffne damit eine «zweite Energiefront gegen die Ukraine». Denn die Lage um die Stromversorgung in der Ukraine ist angespannt: Seit Monaten greift Russland gezielt die Energieinfrastruktur des Nachbarlandes an. Laut einem Bericht der internationalen Energieagentur (IEA) besass die Ukraine bereits im September verglichen zu ihrer Stromproduktion vor Kriegsausbruch nur noch einen Drittel der Erzeugungskapazitäten.
Damit ein Kollaps der Stromversorgung verhindert werden kann, ist die Ukraine zunehmend auf Stromimporte aus Nachbarstaaten angewiesen. Laut Zahlen der Fraunhofer-Gesellschaft, eines deutschen Forschungsinstituts, war die Slowakei im Jahr 2024 der wichtigste Stromlieferant der Ukraine, netto kamen rund 2,8 Terawattstunden Strom aus der Slowakei.
Zum Vergleich: 2022 betrug der gesamte Stromverbrauch der Ukraine laut dem Datenanbieter Enerdata 85 Terawattstunden. Neuere Zahlen sind zurzeit nicht bekannt. Der Verbrauch dürfte aber inzwischen gesunken sein, da mit Andauern des Krieges immer häufiger der Strom ausgefallen ist.
Fico sagt, er wolle die europäische Wirtschaft retten
Robert Fico argumentiert, dass Europa ohne russisches Gas der wirtschaftliche Kollaps drohe. In einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rief er die EU-Staaten am Sonntag dazu auf, die Ukraine zum Einlenken zu bringen. Die Kosten, die durch ein Ausbleiben der russischen Gaslieferungen auf Europa zukämen, seien gewaltig. Die europäischen Staaten sollen die Ukraine unterstützen, aber «rational, nicht mit selbstzerstörerischen Gesten, die die EU schwer beschädigen», schrieb Fico.
Russlands Anteil an den gesamten Gasimporten der EU hat seit Kriegsbeginn stark abgenommen, schwankt aber weiterhin zwischen 15 und 20 Prozent. Teile davon sind verflüssigtes Erdgas (LNG), das etwa nach Frankreich oder Belgien verschifft wird. Das Gas aus den durch die Ukraine führenden Pipelines, um das es Fico vordergründig geht, macht rund 5 Prozent der gesamten europäischen Gasimporte aus.
Die EU hat Zeit, die Ukraine nicht
Um die Gasversorgung im Winter zu sichern, haben die EU-Staaten in den vergangenen Monaten ihre Gasspeicher gefüllt. Die Speicher haben sich seit dem Winterbeginn zwar schneller als in Vergleichsjahren geleert, sind EU-weit aber noch zu 74 Prozent gefüllt. In Deutschland liegt der Füllstand bei 81 Prozent.
Verhält sich der Verbrauch ähnlich wie in den vergangenen Wintern, können die Reserven die gesamte Nachfrage der EU-Staaten während zwei bis drei Monaten decken. Wenn andere wichtige Lieferländer wie Norwegen oder die USA die europäischen Staaten weiterhin mit Gas versorgen, sollte ein Wegfall der Transitroute zumindest diesen Winter keine Schwierigkeiten bereiten.
Mittelfristig bleibt Europas Umgang mit russischem Gas allerdings ungeklärt. Den Handel mit russischem Erdöl hat die EU mit Sanktionen belegt, der Import von Erdgas ist allerdings weiterhin erlaubt.
Für die Ukraine hingegen drängt die Zeit. Bereits im September hatte die IEA warnend auf die Gefahr eines Kollapses der Stromversorgung im Winter hingewiesen, Streitigkeiten mit dem westlichen Nachbarn machen die Lage nur noch brenzliger.
Spätestens am Neujahrstag dürfte sich zeigen, wie ernst Robert Fico seine Drohung gemeint hat. Einige polnische Politiker haben bereits versichert, ihr Land werde die Ukraine im Notfall mit zusätzlichem Strom unterstützen. Ob die Stromleitungen zwischen Polen und der Ukraine allerdings einen vollständigen Ersatz der bisherigen Strommengen aus der Slowakei stemmen könnten, ist unklar.