Nach sechs Jahren lassen die Sozialdemokraten ihre Co-Generalsekretärin Rebekka Wyler ziehen. Tom Cassee leitet das Zentralsekretariat der SP Schweiz neu allein.
Manchmal wird Jacqueline Badran, die grosse Wütende, ganz sanft. Meistens dann, wenn sie Menschen mag und schätzt. Rebekka Wyler, mit der sie eine Weile lang eine Wohnung teilte, mag und schätzt sie sehr. Als die Zürcher Nationalrätin Ende Februar am Parteitag der SP die Abschiedsrede auf die langjährige Co-Generalsekretärin hielt, brach ihr zwei-, dreimal fast die Stimme.
Rebekka Wyler und Jacqueline Badran haben vieles gemeinsam. Beide kommen aus der Stadt Zürich, beide sind überzeugte Sozialdemokratinnen, beide haben bürgerliche Wurzeln, und beide passen in keine Blase. Rebekka Wyler zog der Liebe wegen in den Kanton Uri und engagierte sich fortan im Gemeinderat von Erstfeld. Dort interessiert sich niemand dafür, ob die Toilettenanlagen im neuen Mehrzweckbau gendergerecht beschriftet werden. Man braucht Platz für die Feuerwehr, einen neuen Gemeindesaal und zusätzliche Tagesstrukturen der Schule. Was zählt, sind pragmatische Lösungen, nicht Ideologien.
Respekt vor allen
Wyler, die so viel über die Geschichte der Sozialdemokratie weiss wie sonst kaum jemand in ihrer Partei, ist keine Ideologin. Sie weiss, dass die Genossinnen und Genossen auf dem Land andere Probleme haben als die in den hippen städtischen Genossenschaftssiedlungen. Für sie erschöpft sich die von der SP gepredigte Diversität nicht in der Rhetorik. Deshalb ist ihr die politische Vielfalt ihrer Partei, die von zornigen Jungsozialistinnen bis zu pragmatischen Stadtpräsidenten reicht, auch nie suspekt. Und deshalb engagiert sie sich für die Arbeit in den Kantonal- und Gemeindeparteien.
Die Gründe für den Abgang Wylers wurden nie kommuniziert
Für Rebekka Wyler seien die Basismitglieder nie bloss eine homogene Masse gewesen, an die sich das Parteikader immer dann erinnere, wenn es darum gehe, Standaktionen und Unterschriftensammlungen durchzuführen, sagte Jacqueline Badran. Wyler habe in jedem Menschen ein unaustauschbares Individuum gesehen und ihn auch so behandelt.
Die Gründe für den Abgang Wylers wurden nie kommuniziert. In einer am Freitag versandten Medienmitteilung wurde lediglich mitgeteilt, dass Tom Cassee, der bisherige zweite Co-Generalsekretär, das Zentralsekretariat in Bern künftig allein führen werde. Rebekka Wyler danke man im Namen des Präsidiums und des Parteirats ganz herzlich für ihren ausserordentlichen Einsatz und die vertrauensvolle Zusammenarbeit in den letzten Jahren. «Für ihre berufliche und private Zukunft wünschen wir ihr alles Gute.»
Doch die Machtkonzentration auf einen Mann spricht für sich selbst. Der Zürcher passt besser zur Strategie der Parteispitze um Mattea Meyer und Cédric Wermuth: Polarisierung, Fokus und Konzentration der Ressourcen. Cassee gilt als Kampagnen-Wizard und Meister des politischen Handwerks. Als Co-Leiter der Konzernverantwortungsinitiative prägte er den härtesten Abstimmungskampf der letzten Jahre. Im Wahljahr 2015 entwickelte er für die SP Schweiz die sogenannte Basiskampagne. Tausende von Parteimitgliedern nehmen seither vor jeder Wahl den Telefonhörer in die Hand und versuchen, Sympathisantinnen und Sympathisanten zum Wählen zu bewegen. Von dieser Mobilisierungsstrategie profitiert die Partei bis heute.
Effizienz schlägt Seele
Cassee ist, was Rebekka Wyler laut Jacqueline Badran weniger ist: strategisch effizient. Sie habe zwar vom frühen Morgen bis kurz vor Mitternacht für die Partei geackert, aber bei ihr sei es stets auch um Achtsamkeit gegangen. Das konnte bedeuten, dass sie im Namen der SP ein krankes Parteimitglied im Spital besuchte.
Die SP-Vizepräsidentin Badran sagt, ihr persönlich sei diese Menschlichkeit stets eine Lehre gewesen: «Jedes Mal, wenn ich in meiner unendlichen Arroganz gebadet habe, hat mich deine schiere Existenz ermahnt, es besser zu machen. Indem du jedes einzelne Mitglied respektiert und wertgeschätzt hast, hast du der SP eine Seele eingehaucht.»
Dem Rest des Parteipräsidiums scheint die Seele weniger wichtig. Nach sechs Jahren Einsatz für alle statt für wenige lässt es Rebekka Wyler ziehen.