Die Stadt gibt viel Geld aus, um ihre Klimabilanz aufzubessern.
Die Idee klingt, als würde sie aus dem Notizheft eines verschrobenen Wissenschafters stammen. Klärschlamm soll getrocknet und verbrannt werden. Aus dem entstehenden Rauch soll CO2 gefiltert werden. Dieses will man in Flüssiggas umwandeln und 1000 Kilometer über Land transportieren lassen. In Nordeuropa soll das Gas in den Meeresgrund gepumpt werden. Und dort soll es bleiben, am besten für immer.
Die Rede ist aber nicht von Planspielen oder einem Pilotprojekt, sondern von der offiziellen Politik der Stadt Zürich. Sie will Millionen investieren, um in der Abwasserreinigungsanlage Werdhölzli CO2 einzusparen. Bis 2040 will die Stadt Zürich klimaneutral sein. Weil sie weiss, dass Beschränkungen und Einsparungen sie nicht ans Ziel bringen werden, ist sie auf die Idee gekommen, CO2 nicht nur einzusparen. Sondern auch welches aus der Welt schaffen, um die eigene Klimabilanz aufzubessern.
Beton oder Meeresboden
Man spricht von Negativemissionen. Gelingt es nämlich, Emissionen zu vermeiden, die nicht fossilen Ursprungs sind, darf man diese in einer Gesamtrechnung vom CO2-Ausstoss abziehen.
Konkret geht es um den Klärschlamm von verschiedenen Gemeinden im Kanton Zürich, den die Stadt auf dem Areal der Abwasserreinigungsanlage Werdhölzli in der Stadt Zürich verbrennt. Die Stadt will, dass der dabei entstehende Rauch nicht mehr unbesehen in die Atmosphäre geblasen wird, sondern dass das CO2 herausgefiltert wird.
Aus 100 000 Tonnen verbranntem Klärschlamm entstehen pro Jahr gut 20 000 Tonnen CO2. Zu einem späteren Zeitpunkt kämen auch die rund 5000 Tonnen CO2-Emissionen der Biogasaufbereitungsanlage hinzu. Dies wären dann 25 000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr, die die Stadt abscheiden könnte.
Das abgeschiedene CO2 soll zur Hälfte in Recyclingbeton von diversen Schweizer Betonwerken permanent gebunden werden. Die andere Hälfte soll in eine Speicherstätte im Ausland eingebracht werden, voraussichtlich in der dänischen Nordsee. Dies per Lastwagen, Zug und Schiff. Das CO2 wird dabei etwa 2000 Meter unter dem Meeresboden unter einer Schicht aus Deckgestein verpresst und verbindet sich dort mit dem Basaltgestein.
Dazu ist allerdings eine teure Umrüstung des Zürcher Klärwerks nötig. 35,5 Millionen Franken beantragt der Stadtrat dem Stadtparlament. Hinzu kommen jährlich wiederkehrende, ebenfalls hohe Ausgaben von 14,2 Millionen Franken. Das letzte Wort wird das Volk an der Urne haben. Schon 2028 soll die neue Anlage in Betrieb sein.
Die Idee, CO2 direkt ab Quelle abzuscheiden, ist nicht neu. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Filtern von CO2 aus der Luft, was technisch äusserst anspruchsvoll ist, und dem Abscheiden quasi direkt ab Fabrikschlot, wie beim Zürcher Klärschlamm geplant. Für den zweiten Ansatz bieten sich typischerweise Kehrichtverbrennungsanlagen oder Zementwerke an.
Diese Technologie existiert schon seit Jahrzehnten und ist gut erprobt: Man weiss, wie das Abscheiden von CO2 funktioniert, und auch, wie man das Gas einlagert. Dennoch gibt es in Europa nur wenig konkrete Projekte. Nach Einschätzung von Experten vor allem deshalb, weil der Preis für die Emission von CO2 noch zu niedrig ist, als dass sich die Ausgaben für Private lohnen würden.
Heute wird CO2 vor allem bei der Erdgasproduktion abgeschieden. Bestrebungen, die mit Zürich vergleichbar sind, gibt es vor allem in Städten skandinavischer Länder.
Mehr als 600 Franken pro Tonne
Dass es sich um eine teure Technologie handelt, illustriert das Zürcher Beispiel gut. Gemessen an den laufenden Kosten gäbe Zürich 568 Franken pro eingesparte Tonne CO2 aus. Die Stadt rechnet sogar mit über 600 Franken, weil sie die einmaligen Kosten für die Umrüstung von 35 Millionen Franken noch mitrechnet. Gemäss Fachleuten ist dies allerdings ein Mehrfaches der üblichen Kosten in Projekten, in denen CO2 abgeschieden wird.
Und für 14,2 Millionen Franken kann die Stadt nur gerade rund zwei Prozent ihres jährlich direkt verursachten CO2-Ausstosses auffangen.
Tobias Nussbaum, ERZ-Mediensprecher, sagt: «Ja, es ist ein vergleichsweise hoher Preis. Aber es handelt sich um echte Kompensation, nicht um ein erworbenes Zertifikat, das auf einer Kompensation irgendwo im Ausland beruht.» Die Stadt habe auf ihrem Gebiet nur wenige Möglichkeiten der Negativkompensation und müsse diese wahrnehmen. Ob man die Investitionen tätigen wolle oder nicht, sei ein politischer Entscheid – das Volk werde an der Urne darüber entscheiden können.
Marco Mazzotti ist Professor für Verfahrenstechnik der ETH Zürich und beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Abscheidung und Speicherung von CO2. Aus seiner Sicht sind die Kosten des Zürcher Projekts gut vertretbar, vor allem wenn man berücksichtige, dass es ein Pionierprojekt sei. Bei den Kosten falle vor allem der Transport ins Gewicht. Die geologischen Voraussetzungen für eine Einlagerung seien nun einmal nur in Nordeuropa gegeben.
Mazzotti lobt das Vorgehen der Stadt. Es sei klug, zunächst in einem kleineren Projekt Erfahrungen zu sammeln und darauf basierend ein zweites, grösseres anzugehen.
Was Mazzotti damit meint: Das Werdhölzli-Projekt ist nur die Vorstufe einer zweiten, ungleich grösseren Investition. Die Stadt will nämlich auch bei der Kehrichtverbrennungsanlage Hagenholz CO2 abscheiden. Dort ginge es dann um 180 000 Tonnen, das Siebenfache des Werdhölzli-Projekts. Auch die Kosten dürften dann nochmals markant höher sein.