Die Stadt Zürich beschreitet den Rechtsweg – und ist in erster Rekursinstanz unterlegen.
Wer hat in Zürich das Sagen, Stadt oder Kanton? Beim Verkehr stellt sich diese Frage immer deutlicher. Die Stadt hat damit begonnen, auf wichtigen Strassen neue Verkehrsregime einzuführen. Der Kanton lässt dies nicht zu. Er macht Verkehrseinschränkungen zulasten der Agglomeration geltend.
In zwei prominenten Fällen hat die Kantonspolizei der Stadt die Umsetzung solcher Pläne verweigert. In beiden Fällen wehrte sich die Stadt juristisch gegen den abschlägigen Entscheid. Im Norden will der Stadtrat die Rosengartenstrasse mit täglich über 50 000 Fahrzeugen von Tempo 50 auf Tempo 30 herunterbremsen. Im Osten drängt er auf der beinahe ebenso stark befahrenen Bellerivestrasse auf einen versuchsweisen Spurabbau.
In beiden Fällen ist der Zürcher Stadtrat nun in erster Instanz unterlegen. Dies zeigen die Rekursentscheide, die der NZZ vorliegen.
Städtische Freiheiten – und ihre Grenzen
Grundsätzlich steht es der Stadt Zürich frei, Temporeduktionen zu verfügen. Dies im Unterschied zu den anderen Städten im Kanton, wo die Kantonspolizei das Sagen hat. Zürich und Winterthur kommen in den Genuss einer Ausnahmeregelung.
Eine Einschränkung aber gibt es, nämlich den Anti-Stau-Artikel in der Kantonsverfassung. Dieser Artikel wurde 2017 von den Stimmberechtigten im Kanton Zürich angenommen.
Der Artikel verbietet einen Leistungsabbau auf Staatsstrassen; werde hier abgebaut, müsse dies im umliegenden Strassennetz kompensiert werden.
Sobald sich abzeichnet, dass die Leistungsfähigkeit von Staatsstrassen auch ausserhalb des Stadtgebiets eingeschränkt werden könnte, ist der Kanton somit mit von der Partie. Dann müssen Änderungen am Verkehrsregime durch die Kantonspolizei bewilligt werden.
Genau darum drehen sich die Rechtsstreitigkeiten. Bei der Bellerivestrasse verzichtete die Stadt schlicht darauf, ein Gesuch bei der Kantonspolizei einzureichen.
Scheinbar aus dem Nichts heraus kündigte der frühere AL-Stadtrat Richard Wolff an einer Sitzung des Stadtparlaments einen «Verkehrsversuch» an. Ziel der Stadt ist ein Abbau von vier auf zwei Spuren, und dies zugunsten eines Velowegs – «versuchsweise» zwar, aber doch während Monaten.
Aufgrund seines unausgegorenen Vorgehens musste Wolff zurückkrebsen. Die heutige Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) erbte das Geschäft und unternahm einen neuen Anlauf. Sie versprach, den Versuch abzubrechen, sollte es «wider Erwarten» gravierende Verkehrsprobleme geben.
Auch diesem zweiten Versuch erteilte die Kantonspolizei eine Absage. Zu Recht, findet die kantonale Sicherheitsdirektion als erste Rekursinstanz jetzt.
Dies allein deshalb, weil die Stadt auf ein formelles Gesuch für den temporären Spurabbau verzichtet hat. «Für ein zustimmungsfähiges Gesuch genügt die Einreichung verschiedener Pläne und weiterer interpretationsbedürftiger Unterlagen nicht», schreiben die Rekursjuristen der Sicherheitsdirektion in ihrem Entscheid. Nur schon die Möglichkeit einer Einschränkung der Verkehrskapazität mache eine Bewilligung durch die Kantonspolizei zwingend.
Aber es geht um mehr als um Formalitäten. Dass es auf der Bellerivestrasse mit dem Spurabbau zu einer Einschränkung käme, ist gemäss Entscheid offensichtlich. Dies würden die Abbruchkriterien zeigen, die die Stadt festgelegt habe: Der Versuch würde dann beendet, wenn die Reisezeit um sechs Minuten verlängert werde, wobei die Stadt zum Teil widersprüchliche Angaben mache. Das zeige, dass die Stadt «eine erhebliche Leistungsreduktion in Kauf» nehme.
Tatsächlich haben Studien im Auftrag der Stadt schon vor Jahren gezeigt, dass das Risiko eines Verkehrskollapses durch den Spurabbau beträchtlich wäre.
Für unglaubwürdig hält die Sicherheitsdirektion das Argument der Stadt, es gehe beim Verkehrsversuch einzig darum, Erfahrungen für die Sanierung der Bellerivestrasse zu sammeln – eine Sanierung, die so oder so ansteht.
Wörtlich heisst es im gegenwärtigen Entscheid: «Es geht ihr um eine definitive Umgestaltung der Bellerivestrasse und darum, die Akzeptanz dafür zu schaffen.» Wer solche Pläne hege, könne aber den politischen Weg verfolgen, statt einen Verkehrsversuch an die Hand zu nehmen.
Beim zweiten grossen Zankapfel, der Rosengartenstrasse, geht es um Tempo 30. Der Stadtrat wollte auf der vierspurigen Strasse in Zürich Wipkingen das Niedrigtempo bereits im Sommer 2021 einführen – aus Lärmschutzgründen.
In diesem Fall nahm der Stadtrat Abklärungen an die Hand und stellte ein Gesuch an die Kantonspolizei. Er liess ein privates Verkehrsplanungsbüro eine Studie erstellen. Resultat: Die Automobilisten kämen etwas später am Ziel an, aber das sei vernachlässigbar.
Auf einer Strecke von 1,4 Kilometern zwischen Milchbuck und Wipkingerplatz seien es 28 Sekunden mehr. Und Ausweichverkehr sei nicht zu erwarten, denn auf dem kommunalen Strassennetz biete sich keine attraktive parallele Route.
Der Stadtrat nannte dies ein technisch «eindeutiges» Gutachten, das «nicht umstritten sein» werde, wie Stadtrat Andreas Hauri (GLP) damals vor den Medien sagte.
Gutachten lässt Auswirkungen ausser acht
Das hat sich als Fehleinschätzung erwiesen. Der Regierungsrat moniert in seinem Rekursentscheid, das städtische Gutachten beantworte die Frage nach möglichem Mehrverkehr ausserhalb der Stadtgrenzen – konkret auf die Zürcher Nordumfahrung – nicht. Es stütze sich in diesem Punkt auf reine «Mutmassungen».
Hinzu kommt, dass die Stadt mittlerweile an der Rosengartenstrasse weiter geplant hat – ohne den Entscheid des Kantons abzuwarten. Sie sieht zwei neue Querungsstellen für den Fussgänger- und Veloverkehr vor, inklusive Fussgängerstreifen. Durch die neuen Rotlichtanlagen müssten die Automobilisten regelmässig anhalten. Im Gutachten sei das aber nicht berücksichtigt, so die Sicherheitsdirektion. Es sei deshalb unvollständig.
Die beiden Urteile der Rekursabteilung der kantonalen Sicherheitsdirektion unter Regierungsrat Mario Fehr (parteilos) sind also eindeutig. Die Stadt dürfte sie etwa so erwartet haben. Und sie dürfte ihre Hoffnungen auf die nächste Instanz, das Verwaltungsgericht, legen.
Das städtische Sicherheitsdepartement bestätigt auf Anfrage den Weiterzug in beiden Fällen.
So oder so macht die Stadt munter weiter mit ihrer Politik. An der Seestrasse in Wollishofen hat das Sicherheitsdepartement jüngst zwischen Roter Fabrik und der Grenze zu Kilchberg Tempo 30 verordnet, ohne die Kantonspolizei um Erlaubnis zu fragen. Die Kantonspolizei hat diesen Beschluss angefochten.
In all diesen Fällen zeichnen sich lange Rechtsstreitigkeiten ab – darum, wer in der Verkehrsfrage das letzte Wort hat.