Die grösste Partei des Kantons präsentiert einen Asyl-Aktionsplan. Darunter ist ein Mittel, das zurzeit in Ostdeutschland ausprobiert wird. Was taugt es?
Angesichts der weiterhin hohen Asylzahlen greift die SVP im Kanton Zürich zum verbalen Zweihänder. Seit längerem schon schimpft sie über das «grassierende Asylchaos», nun zieht die Volkspartei gegen das «Asylschlaraffenland Zürich» ins Feld. Mit einer Reihe von politischen Vorstössen plant sie, die «Sogwirkung», die laut SVP im hiesigen System bestehe, zu mindern. Am Montag hat sie einen Aktionsplan vorgestellt.
«Wir müssen jetzt sofort an allen Ecken und Enden Gegensteuer geben», sagt Parteipräsident und Kantonsrat Domenik Ledergerber. Zürich erreiche seine Belastungsgrenze; Gemeinden und Schulen seien heute schon am Anschlag. In den letzten beiden Jahren lag der Asylbestand im Kanton bei über 30 000 Personen (siehe Grafik). Die Asylbewerber stammen grösstenteils aus der Ukraine, aber auch aus Afghanistan, Syrien und Eritrea.
Ende Januar hatte der Kanton angekündigt, die Asylquote noch einmal erhöhen zu müssen. Ab dem 1. Juli muss jede Zürcher Gemeinde 16 Flüchtlinge pro 1000 Einwohner auf ihrem Gebiet unterbringen können.
Was sind die Rezepte der SVP? Unter anderem will sie, dass sich die Zürcher Kantonsregierung beim Bund stärker gegen die Aufrechterhaltung des Schutzstatus S ausspricht – etwas, das der zuständige Asyldirektor Mario Fehr (parteilos) bereits mehrfach getan hat.
Ein originelleres Mittel, das die SVP nach Zürich bringen will, stammt ausgerechnet aus Deutschland – dem Land der einstigen Willkommenskultur. In zwei Landkreisen des Bundeslands Thüringen erhalten Asylbewerber seit einigen Wochen praktisch kein Bargeld mehr ausgezahlt. Stattdessen wird ihnen ein Betrag auf eine Debitkarte gutgeschrieben.
Was soll das nützen? «Die Vorteile liegen auf der Hand», sagt SVP-Kantonsrätin Christina Zurfluh. Sie wird das Anliegen mit einer Motion und einer parlamentarischen Initiative in den Kantonsrat bringen. Unterstützung erhält sie von der FDP-Kollegin Linda Camenisch. «Eine solche Karte ist ein erster Schritt hin zu einer funktionierenden Asylpolitik», sagt Zurfluh.
Heute werde die staatliche, finanzielle Unterstützung zu oft missbraucht, um Geld in die Heimatländer von Migranten zu schicken, kritisiert die SVP-Politikerin. Solche Zahlungen würden in einigen Herkunftsstaaten bis zu 10 Prozent des Bruttoinlandproduktes ausmachen. «Das gilt es zu unterbinden. Es werden falsche Anreize geschaffen.»
Die Bezahlkarte für Asylbewerber soll in der Regel überall dort benutzt werden können, wo auch Kredit- oder EC-Kartenzahlungen möglich sind. Einen grossen Vorteil sieht die SVP aber darin, Einschränkungen machen zu können, wo und wofür die Karte eingesetzt werden kann. Das geht soweit, dass die Asylbewerber «ermutigt» werden sollen, lokal einzukaufen, «was ihre Integration in die Gemeinschaft fördert.» Auch wären die Geldflüsse nachverfolgbar, womit man laut SVP Missbrauch bekämpfen kann.
Führt das nicht zu enorm viel Bürokratie und staatlicher Überwachung? Die SVP wiegelt ab. Bürokratischer als heute werde es nicht unbedingt. Die Idee sei nicht, dass permanente Kontrollen für alle stattfänden. Ziel sei, dass man ein neues Steuerungsmittel erhalte, das man je nach Bedarf ausrichten könne.
Erste Effekte in Ostdeutschland
Eine solche Asyl-Debitkarte wird zurzeit nicht nur in Zürich, sondern auch in anderen Kantonen und auf Bundesebene diskutiert. Die SVP macht mehrgleisig Druck. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) prüft, ob ein Bedarf für solche Karten besteht. Allerdings wird die Sozialhilfe in den Empfangs- und Verfahrenszentren des Bundes heute vorwiegend in Form von Sachleistungen ausgerichtet. In bar erhalten die Asylbewerber nur ihr Taschengeld à 3 Franken pro Tag. Sobald sie den Kantonen zugewiesen werden, ist das SEM nicht mehr zuständig.
In den ostdeutschen Landkreisen, die der SVP zum Vorbild dienen, hatte die Umstellung erste Effekte. So seien in einem Kreis von den dort rund 135 geduldeten Asylbewerbern 35 ausgereist, weil sie explizit auf Bargeldzahlungen beharrt hätten. So teilte es kürzlich der zuständige Landrat gegenüber der NZZ mit. Nun soll die Karte gar in ganz Deutschland eingeführt werden. Doch noch ist es nicht so weit; die Ampelregierung ist sich uneins. Während die SPD des Kanzlers Olaf Scholz und die FDP eine bundesgesetzliche Regelung unterstützen, sperren sich die Grünen dagegen.
Auch im Kanton Zürich gibt es noch einigen Diskussionsbedarf. Die linken Parteien werden die SVP-Vorstösse kaum unterstützen. Aus den Zentrumsparteien gibt es bis jetzt ebenfalls kritische Rückmeldungen.
Linke sprechen von Populismus
Dass die SVP mit ihrer resoluten Asyl-Linie nicht viele Freunde im kantonalen Parlament hat, ist augenfällig. Das zeigte sich am Montag auch in der Diskussion um Stipendien für vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer. Nur die FDP stand der SVP bei. Konkret ging es darum, ob Personen mit Ausweis F neu sofort Anspruch auf Stipendien geltend machen dürfen – und nicht erst nach fünf Jahren Aufenthalt in der Schweiz wie heute.
Obwohl das Geschäft schon vor ein paar Wochen eifrig diskutiert wurde, entbrannte erneut eine hitzige Debatte im Rahmen der normalerweise ruhigen Schlussabstimmung über den genauen Gesetzestext. Der Grund: die SVP kündigte an, das Referendum gegen die Vorlage ergreifen zu wollen. Auch dies ist ein Teil ihres Aktionsplans.
Es gehe nicht an, dass Leute ohne Aufenthaltsgenehmigung umgehend mit solchen Geldern ausgestattet würden, sagte SVP-Kantonsrat Tobias Infortuna. «Wir dürfen den Kanton nicht noch attraktiver machen für abgewiesene Asylbewerber.»
Die zahlreichen Reaktionen von linken Parteivertretern und solchen aus der Ratsmitte liessen nicht lange auf sich warten. «Die SVP will alles tun, damit Integration nicht gelingt», empörte sich etwa die Grüne Jasmin Pokerschnig, welche die Gesetzesänderung ins Rollen gebracht hatte. «Ihr werft jungen Menschen, die lange in unserem Land bleiben werden, absichtlich Knüppel zwischen die Beine. Ich bin entsetzt.»
So ging es weiter: Die SVP agiere «populistisch» und «nationalistisch», wurde kritisiert. Sie politisiere auf Kosten der Schwachen, schüre Ressentiments gegen Ausländer, betreibe ein «abstossendes Framing» und sei mit ihrer Kampagne schlicht an einem neuen Tiefpunkt angelangt.
Obschon sie in diesem Fall die Kritik inhaltlich teilen, geht selbst den Freisinnigen die SVP in vielem zu weit. Dass sie ihr bei der Unterschriftensammlung für das Referendum helfen, ist darum eher unwahrscheinlich. Eine fraktionsinterne Abstimmung dazu soll denkbar knapp ausgefallen sein. Der SVP dürfte das in diesem Fall vielleicht gerade recht sein. So kann sie sich vor den Wählerinnen und Wählern weiterhin als einzig wahre Kämpferin gegen «Chaos» und «Schlaraffenland» präsentieren.