Würde heute gewählt, erhielte die SVP jede dritte Wählerstimme. Die FDP hat den beliebtesten Parteipräsidenten, profitiert aber nicht vom Rechtsrutsch. Die GLP verliert, und Albert Rösti ist der beliebteste Bundesrat. Die jüngste Politumfrage ist eine Wundertüte.
Ein Jahr nach den nationalen Wahlen im Herbst 2023 hat das Meinungsforschungsinstitut Sotomo knapp 5000 Stimmberechtigte gefragt, welche Partei sie wählen würden, falls Wahlen anstünden. Das Resultat dieses Wahlbarometers: Die SVP legt weiter zu, Mitte-links verliert.
Würde heute gewählt, legte die SVP um 2 Prozentpunkte zu. Sie kommt damit auf einen potenziellen Wähleranteil von 29,9 Prozent. Das wäre ein Rekord. Das beste Ergebnis erzielte die Partei bisher 2015 mit einem Wähleranteil von 29,4 Prozent.
Am stärksten verlieren die Grünliberalen. Sie kämen zurzeit auf 6,6 Wählerprozente, was einem Minus von einem Prozentpunkt entspricht. Die Grünen büssen mit 9,5 Prozent lediglich 0,5 Prozentpunkte ein, und die SP hält sich mit 17,8 (–0,5 Prozentpunkte) ebenfalls stabil. Die Mitte und die FDP, erbitterte Gegner im Kampf um einen Bundesratssitz, halten sich in einem Gleichgewicht des Schreckens: Die Mitte liegt nach wie vor bei 14,1 Prozent, die FDP bei 14,3. Die Rechtstendenz nützt also bisher primär der SVP, obwohl der Freisinn sein bürgerliches Profil geschärft hat.
Links abstimmen, rechts wählen
Das gute Resultat der SVP steht in einem gewissen Widerspruch zu den Abstimmungsergebnissen. Denn seit den Wahlen 2023 haben die links-grünen Parteien eine ganze Reihe von Abstimmungserfolgen erzielt. Bei der 13. AHV-Rente, bei der BVG-Abstimmung und jüngst bei den Referenden zum Autobahnbau und zu den Mietrechtsrevisionen. Vorlagen, denen auch ein erstaunlich grosser Teil der SVP-Basis zustimmte.
Doch die Rechtstendenz entspricht einem europäischen Trend, der sich in einer stärkeren konservativen Grundstimmung zeigt. Anders als in den meisten anderen Demokratien erlaubt es die Schweizer Abstimmungsdemokratie den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern, punktuell Gegensteuer zu geben. Die «Polarisierung von Links» (Lukas Golder, Politologe GfS Bern) spiegelt sich demnach primär bei Abstimmungen, nicht bei Wahlen.
Wie in der Schweiz gewählt wird, hat mit der traditionellen Parteibindung zu tun, stärker aber mit der Themenkonjunktur. Die linken Parteien konnten deshalb davon profitieren, dass die hohen Krankenkassenprämien trotz dem Nein zur SP-Prämieninitiative im Juni 2024 für 50 Prozent der Stimmberechtigten zu den drei grössten Problemen zählen. Auf den Plätzen zwei und drei der Sorgenliste folgen zwei Migrationsthemen. Für 33 Prozent der Befragten gehören die Zuwanderung und die Personenfreizügigkeit zu den drei wichtigsten Herausforderungen für die Schweiz. Für 29 Prozent ist es die Asylpolitik.
Eine gegenteilige Entwicklung erfuhr das Thema Klimawandel: Vor zwei Jahren nannten noch 43 Prozent den Klimawandel als eine der grössten politischen Herausforderungen für die Schweiz. Heute sind nur noch 26 Prozent dieser Ansicht. Noch stärker ist der Bedeutungsverlust des Dossiers Versorgungs- und Energiesicherheit. Vor zwei Jahren hatten 36 Prozent Angst vor einem Engpass, heute sind es noch 14 Prozent.
Gefragt wurde im Extra-Wahlbarometer nicht nur nach den wichtigsten politischen Herausforderungen, sondern auch nach den Themenfeldern, bei denen die den Befragten nahestehenden Parteien enttäuschten. Dabei fällt auf, dass vor allem bürgerliche Wählerinnen und Wähler der Meinung sind, dass ihre Parteien beim Thema Krankenversicherung nicht alert sind.
Dasselbe trifft auf die Migrationsthemen zu. Hier sind es insbesondere die Wählenden der FDP, der Mitte und der SP, die finden, ihre Parteien hätten in diesem Bereich Defizite. Geht es um die Beziehungen zu Europa, sind es die Wählerinnen und Wähler der SP, die mit dem Kurs ihrer Partei unzufrieden sind.
Ärger über hohe Boni
Und was ärgert die Befragten am meisten? Für 62 Prozent gehören Managerlöhne und Boni-Exzesse zu den grössten Ärgernissen. Für 61 Prozent sind es Gender- und Wokeness-Auswüchse. Ebenfalls sehr hoch ist mit 59 Prozent der Anteil an Stimmberechtigten, die angeben, sich über «käufliche Politik und Lobbyismus» zu ärgern. Darin spiegelt sich – wie auch beim Nein zu drei von vier Behördenvorlagen am 24. November – ein gewisses Misstrauen gegenüber Parlament und Bundesrat.
48 Prozent der Befragten ärgern sich über Asylmissbräuche. An Bedeutung verloren hat dagegen das frühere Ärgerthema «Klimaaktivismus». Dieser geht noch 36 Prozent der Befragten auf die Nerven. Dies dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass es um die Klimaaktivisten ruhiger geworden ist.
Die meisten Ärgerthemen polarisieren stark zwischen links und rechts. Eine Ausnahme ist das Unverständnis gegenüber hohen Managerlöhnen. Es wird mit Ausnahme der FDP-Basis von einer Mehrheit aller Parteigänger geteilt. Beim Thema «käufliche Politik» sind es eher Wählerinnen und Wähler linker Parteien, die politische Einflussnahme und Lobbyismus für ein grosses Problem halten. Über den «aufgeblähten Staat» ärgern sich vor allem Freisinnige, während die «Aufweichung der Neutralität» nur der SVP-Basis mit 58 Prozent Zustimmung ein Kümmernis ist.
Auffällig sind die Unterschiede nach Geschlecht. Sie zeigen sich vor allem bei Klimathemen und bei sozialen Fragen (Prämienbelastung, soziale Sicherheit). Frauen halten diese Bereiche für ein grösseres Problem als Männer. Umgekehrt halten primär Männer die Zuwanderung und die Annäherung an die EU für eine Herausforderung. Die Asylpolitik wird von Männern und Frauen praktisch gleich beurteilt.
Thierry Burkart fest im Sattel, Dettling muss sich bewähren
Spannende Einblicke in das Innenleben der Parteien gewährt der dritte Teil des Wahlbarometers. Er zeigt auf, mit welchen Augen die Stimmbevölkerung auf die politischen Akteure und die Institutionen schaut. Bei der Frage nach der Bedeutung der Parteipräsidien triumphiert FDP-Präsident Thierry Burkart. 67 Prozent der FDP-Wählerinnen und -Wähler sind der Ansicht, dass Burkart eine positive Wirkung auf seine Partei hat.
An zweiter Stelle folgt Gerhard Pfister (Mitte) mit 62 Prozent positivem Zuspruch. An dritter Stelle kommt die neue Präsidentin der Grünen, Lisa Mazzone, mit 57 Prozent. Damit wird sie von ihrer Basis deutlich positiver eingeschätzt als ihr Vorgänger Balthasar Glättli. Mattea Meyer und Cédric Wermuth, das Duo an der Spitze der SP, erhalten ebenfalls 57 Prozent Zustimmung.
Auf dem letzten Platz landet der neue SVP-Präsident, Marcel Dettling. Rund 27 Prozent der SVP-Basis sagen aus, dass sie sich noch keine Meinung zu ihm zutrauen. Dettling konnte sich in seiner bisherigen Amtszeit also noch kein klares Profil verschaffen. Dass sich die SVP unter seiner Führung auf einem Allzeithoch befindet, liegt daran, dass bei der Schweizerischen Volkspartei die Themen wichtiger sind als die Personen.
Obwohl die SVP-Basis dieses Jahr bei sozialpolitischen Fragen vermehrt vom wirtschaftsliberalen Kurs ihrer Partei abwich, sind nur 15 Prozent der SVP-Wähler der Ansicht, ihre Partei politisiere zu rechts. Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der FDP. Trotz dem Rechtskurs von Thierry Burkart sind nur 14 Prozent der FDP-Basis der Ansicht, die Partei politisiere zu rechts. Am meisten Unzufriedene finden sich bei der SP. 31 Prozent finden, die Partei ihrer Wahl politisiere zu links. 10 Prozent finden, die Partei politisiere zu rechts. Nur 59 Prozent sind mit dem Kurs der SP einverstanden.
Bürgerliche Bundesräte punkten (bis auf einen)
Und welchen Rückhalt haben die Mitglieder des Bundesrats? Bei der Frage nach ihrer Bedeutung zeigt sich seit den nationalen Wahlen von 2023 eine klare Veränderung an der Spitze: Ex-SVP-Präsident Albert Rösti, erst im Dezember 2022 gewählt, verbesserte sich vom dritten auf den ersten Platz und kommt auf 64 Prozent. Auf Platz zwei folgt die Freisinnige Karin Keller-Sutter, der 60 Prozent grossen Einfluss attestieren. Laut Umfrage ist Rösti auch der sympathischste Bundesrat (ihm folgt Verteidigungsministerin Viola Amherd). Karin Keller-Sutter hingegen rangiert in diesem Bereich im Mittelfeld. Der unbeliebteste Bundesrat bleibt Aussenminister Ignazio Cassis.
Auf den hinteren Plätzen landeten die beiden SP-Bundesratsmitglieder Elisabeth Baume-Schneider und Beat Jans. Ihnen ist es nicht gelungen, in die Fussstapfen von Simonetta Sommaruga und vor allem Alain Berset zu treten, die stets Spitzenpositionen besetzt hatten.
Allgemein gelten die linken Bundesratsmitglieder als eher wenig einflussreich. Mit anderen Worten: Im Bundesrat geben die Bürgerlichen den Ton an. Das ist der eher linksstehenden Stimmbevölkerung nicht verborgen geblieben: 39 Prozent der Befragten sind der Ansicht, der Bundesrat sei politisch «zu rechts ausgerichtet».
Dieselbe Tendenz zeigt sich im Ständerat. Seit der ersten Messung von 2019 ist der Anteil derjenigen, die die kleine Kammer für zu links halten, auf 25 Prozent gesunken. Heute sind 41 Prozent der Ansicht, der Ständerat sei zu rechts ausgerichtet. Für den Nationalrat hingegen zeigen sich im Vergleich zum Vorjahr kaum Veränderungen. 41 Prozent empfinden ihn als zu rechts, etwas weniger (37 Prozent) als zu links.
Die Datenerhebung fand zwischen dem 28. Oktober und dem 11. November 2024 statt. Die Befragung erfolgte online, die Teilnehmenden wurden exklusiv über das bestehende Online-Panel von Sotomo rekrutiert. Nach der Bereinigung und Kontrolle der Daten konnten die Angaben von 4467 Stimmberechtigten für die Auswertung verwendet werden. Die Resultate sind repräsentativ für die aktive Stimmbevölkerung.