Mit Investitionen in Kohle und Gas wurde Daniel Kretinsky zum zweitreichsten Tschechen. Längst setzt er aber auch auf Handel und Logistik. Dabei scheut er vor hohen Risiken nicht zurück.
Daniel Kretinsky hat keine Angst vor grossen Namen und hohen Risiken. Der Milliardär, der wegen seiner Zurückgezogenheit oft als «tschechische Sphinx» bezeichnet wird, machte in den vergangenen Wochen gleich zweimal fette Schlagzeilen mit Investments in ebenso traditionsreiche wie schlingernde Unternehmen. Diese Woche wurde bekannt, dass Kretinsky für umgerechnet knapp 6 Milliarden Franken die Muttergesellschaft der 500 Jahre alten britischen Post Royal Mail übernimmt. Er besitzt bereits 27,5 Prozent der Anteile an der Dachgesellschaft International Distribution Services (IDS), deren Führung nun einem nachgebesserten Übernahmeangebot zustimmte.
Ein paar Tage zuvor billigte der Aufsichtsrat des deutschen Konzerns ThyssenKrupp den Einstieg Kretinskys in die Stahlsparte ThyssenKrupp Steel Europe. Sie ist der Kern der Industrie-Ikone, kämpft aber mit sinkenden Umsätzen und steht vor der Herausforderung, die CO2-intensive Produktion zu dekarbonisieren. In den vergangenen Jahren hatte das Unternehmen vergeblich nach einem Partner für den Stahl gesucht.
Auch die Royal Mail ist im Umbruch, weil immer weniger Briefe versendet werden, sie aber verpflichtet ist, die Post im ganzen Königreich zum gleichen Preis zuzustellen. In beiden Unternehmen drohen zudem Auseinandersetzungen mit mächtigen Gewerkschaften.
Laut «Forbes» der zweitreichste Tscheche
Trotzdem sind die beiden Geschäfte typisch für Kretinsky. Der Selfmade-Milliardär suche stets nach unterbewerteten Anlagemöglichkeiten, kaufe sich günstig ein und halte die Werte dann, wie ein Berater gegenüber der «Financial Times» erklärt. Damit war Kretinsky in den letzten zwanzig Jahren ungemein erfolgreich. Mit der von ihm 2009 mitgegründeten Holding EPH ist er an mehr als siebzig Unternehmen in ganz Europa beteiligt und stieg laut «Forbes» zum zweitreichsten Tschechen auf. Das Magazin schätzt sein Vermögen auf über 9 Milliarden Dollar.
Wie hat der 48-Jährige das geschafft? Der Sohn eines Informatikers und einer ehemaligen tschechischen Verfassungsrichterin studierte in seiner Geburtsstadt Brno (Brünn) Jus und arbeitete kurzzeitig als Anwalt, bevor er 1999 bei der Investmentfirma J&T einstieg. Diese mischte nach der Wende bei den Privatisierungen im Energiesektor in Tschechien und der Slowakei mit. 2009 entstand daraus die EPH, die Kretinsky gemeinsam mit seinem langjährigen Geschäftspartner Petr Kellner gründete. Heute hält er 94 Prozent an der Holding, die zum grössten privaten Energieversorger Zentraleuropas wurde.
Mit einer Beteiligung an der slowakischen Gaspipeline Eustream erwarb die EPH 2013 eine stetige Geldquelle. International bekannt wurde das Unternehmen aber vor allem mit der Strategie, in die unpopulär gewordene Kohleförderung zu investieren – es übernahm unter anderem bedeutende Minen in Deutschland, Grossbritannien, Polen und Frankreich.
Kretinsky ist aber längst nicht mehr allein ein «Kohlebaron», wie er manchmal genannt wird. Wie andere Tycoons in der Region hat er auch in den Mediensektor investiert. Gemeinsam mit seinem Weggefährten Patrik Tkac kontrolliert er die Czech Media Invest, die diverse Titel in Tschechien herausgibt, unter anderem das auflagenstarke Boulevardblatt «Blesk».
Ihr gehören auch die französischen Magazine «Elle» und «Marianne», aufgefallen war aber vor allem eine Minderheitsbeteiligung an der Zeitung «Le Monde». Diese verkaufte Kretinsky im letzten Herbst wieder, er erwarb dafür aber die zweitgrösste französische Verlagsgruppe Editis. Seit einem Auslandsemester in Dijon hat der Tscheche ein Faible für Frankreich, er bezeichnet sich selbst als frankophil.
Sein Engagement in der Medienbranche bringt Kretinsky vor allem in Tschechien auch Kritik ein. Einflussnahme auf die redaktionellen Inhalte wird zwar dementiert. Aber «Blesk» und andere Blätter wenden sich auffallend oft und bisweilen polemisch gegen Umweltschützer oder die europäische Klimapolitik. Viele vermuten die Geschäftsinteressen des Miteigentümers als Motiv dahinter.
Auch Kretinsky setzt inzwischen aber auf «grünen Strom» aus erneuerbaren Energien und Wasserstoff – und darin sieht auch die Führung von ThyssenKrupp die Logik in der umstrittenen Zusammenarbeit mit dem Tschechen. Die energieintensive Stahlproduktion soll ökologischer werden, und Kretinskys Unternehmen planen in Ostdeutschland riesige Wind- und Solarkraftwerke. Dessen Beteiligung an Steel Europe soll mittelfristig ausgebaut werden auf 50 Prozent.
Die Leidenschaft für Fussball wird zum Geschäft
Ein weiterer Sektor, in dem Kretinsky sich engagiert, ist der Handel. Beim deutschen Grosshändler Metro hat er seinen Anteil kürzlich auf knapp die Hälfte aufgestockt, nachdem ein Übernahmeversuch vor fünf Jahren noch gescheitert war. Seit Frühling kontrolliert der Investor mit seinem Konsortium die französische Einzelhandelskette Casino, die vor der Insolvenz stand. Kleinere Beteiligungen hält er zudem in Grossbritannien an Sainsbury’s und in den USA am Sportschuhhersteller Foot Locker.
Energie, Handel, Logistik und Medien – da sind zwar Synergien möglich, aber offensichtlich ist Kretinskys Strategie nicht. Er wolle in die Grundbedürfnisse der Menschen investieren, sagte er einmal der französischen Wirtschaftszeitung «Les Echos». Partner beschreiben ihn als engagiert, smart, langfristig und strategisch denkend. Eine seiner Leidenschaften hat er auch zu seiner Geschäftstätigkeit gemacht: Er ist Mehrheitseigentümer des tschechischen Fussballklubs Sparta Prag und hält einen Anteil am Londoner Traditionsverein West Ham United.
Von Sportanlässen stammen auch die wenigen Bilder, die Kretinsky zusammen mit seiner langjährigen Partnerin Anna Kellnerova zeigen, einer Springreiterin. Die 27-Jährige ist die Tochter von Petr Kellner, Kretinskys einstigem Geschäftspartner, der vor drei Jahren beim Heliskiing in Alaska ums Leben kam. Petr Kellner war als Gründer seiner PPF Group zu Reichtum gekommen, seine Witwe ist heute die reichste Person Tschechiens. Das Glamour-Paar, das sich den Klatschspalten zu entziehen wusste, soll sich letztes Jahr getrennt haben.