Irans Kleriker-Regime befindet sich in einer paradoxen Lage: Es ist der Atombombe näher denn je und zugleich geopolitisch empfindlich geschwächt. Zusammen mit einem Ultimatum aus den USA und israelischen Kriegsplänen ergibt sich eine gefährliche Mixtur.
Sämtliche amerikanischen Präsidenten dieses Jahrhunderts, Republikaner wie Demokraten, haben versucht, die Aussenpolitik ihres Landes neu auszurichten – eher weg vom Nahen Osten und hin zum geopolitisch bedeutenderen Ostasien. Doch alle mussten erkennen, dass der Krisenbogen zwischen Mittelmeer und Golf ihre Aufmerksamkeit stärker in Anspruch nahm als gedacht. Donald Trump ist keine Ausnahme. Nur schon das Ziel seiner ersten langen Auslandreise vergangene Woche, drei erdölreiche, sicherheitspolitisch wichtige Golfmonarchien, zeigte, dass die Verschiebung der Prioritäten nicht so schnell gelingt.
Zwei weitere Ereignisse verstärken diesen Eindruck. Seine erste Militäraktion ordnete Trump im März überraschend gegen die jemenitische Huthi-Armee an. Diese ist ein Störenfried an der Handelsroute durch das Rote Meer, aber kein Akteur auf der Sorgenliste von Trumps Wählerbasis. Der Präsident ging sogar so weit, dass er Truppen von Ostasien in die Golfregion verlegte, darunter ein Flugabwehr-Bataillon und einen Flugzeugträger. Aufsehen erregte auch die Stationierung von B-2-Bombern auf der Insel Diego Garcia südlich der Golfregion.
Dass das Pentagon kurzerhand ein Drittel seiner Tarnkappen-Bomberflotte dorthin verlegte, stand im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Huthi. Aber zugleich war es eine unmissverständliche Botschaft an Iran, die Schutzmacht der jemenitischen Islamistenkrieger. Die B-2-Bomber wären ein probates Mittel, um Irans unterirdische Atomanlagen anzugreifen. Iran muss mit dieser Möglichkeit rechnen: Seit Amtsantritt droht Trump immer wieder mit Krieg, falls Iran sein Atomprogramm nicht einfriert.
Unter Druck verhandelt Iran wieder
Wie ernst es ihm mit dieser Drohung ist, weiss vermutlich nicht einmal Trump selbst. Vorläufig setzt er auf seine diplomatische Allzweckwaffe, den Sondergesandten Steve Witkoff, der einen «Deal» mit Teheran aushandeln soll. Dabei kann Trump schon als Erfolg verbuchen, dass die Iraner unter dem Druck der USA ungewohnten Verhandlungswillen zeigen. Wäre der aussenpolitische Vordenker George Kennan noch am Leben, würde er sich bestätigt fühlen: Es trage «sehr zur allgemeinen Höflichkeit und Annehmlichkeit der Diplomatie bei, wenn man eine kleine, ruhige Streitmacht im Hintergrund» habe, bemerkte Kennan einst.
Doch wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass Trumps «kleine, ruhige Streitmacht» eines Tages in Aktion treten wird? Zweifellos ist das Risiko einer kriegerischen Eskalation gestiegen. Bei früheren Debatten um eine israelisch-amerikanische Militäraktion gegen Irans Atomanlagen führte eine Abwägung der Risiken stets zu demselben Ergebnis: Die Dringlichkeit wurde nicht als hoch genug eingestuft, dafür galt die Gefahr eines Scheiterns und von iranischen Vergeltungsschlägen als zu gross.
Heute jedoch stellt sich die Lage anders dar. Nach glaubwürdigen Berichten hätte Israel schon in diesem Monat zugeschlagen, wenn Ministerpräsident Benjamin Netanyahu von den USA grünes Licht erhalten hätte. Mit gutem Grund will Trump zunächst seiner Verhandlungsoffensive eine Chance geben, aber auch er betont, dass die Zeit drängt. Angeblich hat er Iran eine Frist von zwei Monaten gegeben, die in wenigen Wochen abläuft. Ein Durchbruch in so kurzer Zeit ist unrealistisch.
Die militärische Option rückt zum einen in den Vordergrund, weil Iran der Atombombe näher ist denn je. Das Land nimmt laufend neue, leistungsfähigere Uran-Zentrifugen in Betrieb und produziert damit wachsende Mengen an Uran mit einem Anreicherungsgrad von 60 Prozent. Für solches Spaltmaterial gibt es keine plausible zivile Nutzung, kein anderes Land ohne Atomwaffen reichert Uran auf solch hohe Werte an. Von da aus fehlt nur noch ein kleiner Schritt bis zur Gewinnung von waffenfähigem Uran.
Das Institute for Science and International Security in Washington hat errechnet, dass Iran mit seinen beiden Anlagen in Natanz und Fordo innerhalb eines Monats das Spaltmaterial für zehn Bomben herstellen könnte. Die Anreicherung für die erste Bombe würde weniger als eine Woche dauern. Die Weiterverarbeitung des Urans bis zur Herstellung eines einsatzfähigen Atomsprengkopfs würde danach noch längere Zeit erfordern, laut Experten bis zu einem Jahr. Aber die stark verkürzten Fristen bei der Anreicherung bedeuten, dass Iran einen «Breakout» in Richtung Bombe vollziehen kann, ohne dass dies schnell genug auffällt. Ein solches Damoklesschwert ist inakzeptabel, besonders für Israel, dem das islamistische Regime in Teheran wiederholt mit Vernichtung gedroht hat.
Zum andern haben Anhänger eines Militärschlags Auftrieb, weil Iran geschwächt ist. Die israelischen Luftangriffe vom April und Oktober 2024 legten überraschende militärische Blössen offen. Israel gelang es, mit der Zerstörung von vier russischen S-300-Flugabwehrsystemen Irans Luftverteidigung das Rückgrat zu brechen. Damit erhöhen sich die Erfolgschancen eines Angriffs auf die Atomanlagen.
Zugleich wirkt die iranische Fähigkeit zu einem Vergeltungsschlag stark verringert. Früher ertönte in den Debatten um einen Angriff auf die Atomlagen stets die Warnung, dass Iran heftig zurückschlagen würde, einerseits mit seinem eigenen Raketenarsenal, anderseits mithilfe seiner Verbündeten in der Region. Besonders gefürchtet war das Szenario, dass der proiranische Hizbullah von Libanon aus Tausende von Raketen auf Israel abfeuern könnte. Beides wirkt heute weniger bedrohlich als früher. Israels Raketenabwehr hat sich 2024 bei den beiden grossen iranischen Angriffswellen gut bewährt, zudem wurde der Hizbullah von Israel dezimiert und verfügt nur noch über einen Bruchteil seines einstigen Arsenals.
Trump – ein Kriegspräsident?
Der Zeitpunkt für einen Schlag gegen Iran wirkt daher günstig. Trotzdem bleibt es eine offene Frage, ob Irans Atomanlagen genügend beschädigt werden könnten. Der amerikanische Militärgeheimdienst ist zu der Einschätzung gelangt, dass israelische Luftangriffe das Atomprogramm nur um Monate zurückwerfen könnten.
Mit amerikanischer Beteiligung wären die Zerstörungen vermutlich umfassender. Trotzdem ist klar, dass sich Irans Atomanlagen nicht auf einen Schlag unschädlich machen lassen. Die USA und Israel müssten sich auf eine längere Militäraktion mit wiederkehrenden Bombardements einstellen. Dies ist kaum nach dem Geschmack Trumps, der die «ewigen Kriege» seiner Vorgänger angeprangert hat. Im schlimmsten Fall blieben Teile der Anreicherungsanlagen intakt und sähe sich Iran legitimiert, schleunigst Atombomben zur Abschreckung zu bauen.
Trump handelt daher richtig, wenn er die militärische Option als Druckmittel einsetzt, aber Iran zugleich die Chance für eine friedliche Einigung anbietet. Seine Regierung ist in der Iran-Frage ohnehin gespalten. Hardliner wie Aussenminister Marco Rubio stehen «America first»-Nationalisten wie Vizepräsident J. D. Vance gegenüber, die Militärinterventionen skeptisch beurteilen. Trump neigt trotz seiner kriegerischen Rhetorik Letzteren zu. Sein inzwischen abgesetzter Sicherheitsberater Mike Waltz soll in Ungnade gefallen sein, nachdem er mit den Israeli voreilig über Luftangriffe auf Iran beraten hatte.
Einig sind sich die Regierungsmannschaft und die Republikaner im Kongress derzeit nur in einem Punkt: Ein neuer Atomvertrag mit Iran müsste viel robuster sein als das in der Ära Obama ausgehandelte Abkommen von 2015, das Trump in seiner ersten Amtszeit torpediert hatte. Tatsächlich wäre eine Rückkehr zu jener Vereinbarung keine taugliche Lösung. Dies liegt hauptsächlich an den viel moderneren Anreicherungsanlagen, über die Iran inzwischen verfügt. Selbst wenn Iran im Zuge eines neuen Vertrags seine gesamten Vorräte an hoch angereichertem Uran vernichtet, könnte es in einem knappen Monat genug Spaltmaterial für eine Atombombe herstellen. Die Administration Trump fordert deshalb, dass Iran auf jegliche eigene Anreicherung verzichtet – so wie die allermeisten Kernenergie-Staaten auch. Dies wäre jedoch das Ende von Irans Status als nuklearer Schwellenmacht.
Ohne Druck kein «Deal»
Einen solchen Prestigeverlust wird die Islamische Republik in Verhandlungen nicht akzeptieren – oder höchstens in einer existenziellen Notlage. Die USA müssen deshalb nach weiteren Pfeilen im Köcher suchen. Besonders verwundbar ist Irans kriselnde Wirtschaft: Trump könnte die in den letzten Jahren sprunghaft gewachsenen Erdölexporte – Irans Haupteinnahmequelle – ins Visier von Sanktionen nehmen.
Er sollte aber auch die Zusammenarbeit mit Deutschland, Frankreich und Grossbritannien suchen. Diese Troika hat eine rechtliche Sonderstellung: Sie kann gemäss dem Atomabkommen von 2015 in Eigenregie alle früheren Uno-Sanktionen gegen Iran reaktivieren. Sie muss jedoch bis zu diesem Sommer handeln, um dieses Recht nicht verwirken zu lassen. Das sollte keine schwierige Abwägung sein: Die Europäer müssen dieses Druckmittel nutzen, denn verstärkte Sanktionen werden Iran eher zum Einlenken bringen. Die Alternative, eine amerikanisch-israelische Militäraktion gegen Iran, ist viel riskanter.
Die Uhr tickt deshalb gleich an mehreren Orten: in europäischen Hauptstädten, in Washington mit Trumps Ultimatum, in Israel – aber auch in Irans Nuklearanlagen, die den Golfstaat der Fähigkeit zur atomaren Bewaffnung immer näher bringen. Es ist eine gefährliche Kombination, die schon bald zu einer Zuspitzung des Atomstreits führen kann.